Hoffenheim gegen Olympique Lyon

K.o.-Phase der Champions League ist kaum mehr zu erreichen

Nah dran und doch so fern - TSG und Olympique verbindet die Zerbrechlichkeit

08.11.2018 UPDATE: 09.11.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 3 Sekunden

Lyons Torwart Anthony Lopes am Boden und der Ball im Netz der Franzosen: Pavel Kaderabek (Nr. 3) dreht nach seinem Tor zum 2:2 in der Nachspielzeit jubelnd ab und rettet seiner Mannschaft einen glücklichen Punkt. Foto: AFP

Von Joachim Klaehn

Lyon. Nach diesem dramatischen Finish herrschte bei den Hauptprotagonisten in den Katakomben von Groupama vor allem Unbehagen und Verdrossenheit vor. Schon das Mienenspiel, und teils auch die Körpersprache, sprachen für sich. Bruno Génésio und Julian Nagelsmann waren nach dem 2:2 (2:0) zwischen Olympique Lyon und 1899 Hoffenheim in der Champions League restlos bedient. Der eine wetterte über das Versäumnis, einen sicher geglaubten Erfolg nicht über die Ziellinie gebracht zu haben, der andere vermochte sich kaum an diesem Parforceritt in Unterzahl zu erfreuen.

"Bei uns herrscht Frustration und Enttäuschung", sagte der in der Stadt der Lichter höchst umstrittene Génésio, der mit seiner talentierten Mannschaft nicht die Ergebnisse einfährt und den Glanz verbreitet, wie man sich das von den stolzen "Löwen" wünscht. Duplizität der Ereignisse: Wie bereits beim 3:3 im Hinspiel fingen sich die allzu lässigen Franzosen einen Treffer in der Nachspielzeit ein. Vor etwas mehr als zwei Wochen war es der Brasilianer Joelinton (90.+2), diesmal fungierte der Tscheche Pavel Kaderabek (90.+2) als Spielverderber, der OL bis ins Mark erschütterte.

Am späten Mittwochabend trafen zuvor Nabil Fekir (20.) und Tanguy Ndombele (28.) für die Hausherren, Andrej Kramaric (65.) hatte mit einem "Kullerball" für das 2:1 gesorgt und somit "Hoffes" Hoffnungen am Leben gehalten. Während der Großteil der 53.850 Zuschauer in der riesigen Betonschüssel fassungslos nach Hause schlich, stimmten die mitgereisten 1600 TSG-Fans im Überschwang der Gefühle ihre Triumph-Gesänge an.

Im krassen Kontrast dazu stand die Laune von Julian Nagelsmann. "Man darf sich nichts vormachen, das ist ein glücklicher und unverdienter Punkt, weil Lyon seine vielen Chancen nicht genutzt hat", grantelte der TSG-Cheftrainer, "eine große Freude werde ich jedenfalls nicht entwickeln - da bin ich ganz ehrlich!" Nagelsmann sah vielmehr eine rundum unzureichende Defensivleistung seiner Schützlinge. Er monierte schonungslos: "Wir haben teilweise gar nicht mehr verteidigt. Es ist der Schlüssel, gut zu verteidigen. Wir haben das in den ersten 20 Minuten generell gut gemacht - und dann überhaupt nicht mehr unseren Plan durchgeführt."

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Kasim Adams Nuhu beispielsweise ließ sich von Fekir und Co. schwindlig spielen. Die Ampelkarte für den überforderten Ghanaer (51.) war buchstäblich eine mit Ansage. Warum er Adams nicht frühzeitig rausgenommen habe, wurde Nagelsmann folgerichtig gefragt. "Für mich wirkte Kasim nicht überfordert. Er hat zwei Fouls begangen und dafür zwei Gelbe Karten gekriegt", antwortete Nagelsmann mit Trotz in der Stimme. Sein Motiv war klar: Er wollte den 23-jährigen Innenverteidiger hernach schützen, der sich nicht zum ersten Mal als Sicherheitsrisiko Nummer eins erwiesen hatte.

Ähnlich unnachgiebig wie Nagelsmann argumentierten in der Mixed Zone die Hoffenheimer Profis - der Frust dominierte über die Lust am vermeintlichen Happy End. "Dieses Unentschieden ist sehr glücklich und fühlt sich wie eine Niederlage an", konstatierte Torhüter Oliver Baumann, dem die TSG mit den Teilerfolg zu verdanken hatte, "der Ärger überwiegt, trotz der Aufholjagd. Dieses Spiel muss dringend eine Lehre sein!" Nationalverteidiger Nico Schulz beklagte die Naivität bei "zwei dummen Gegentoren. Wenn Lyon vor unserem Tor nicht so blind gewesen wäre, schießen die uns ab. Das 2:2 war mehr Glück als alles andere."

Moderater und diplomatischer drückte sich lediglich Kevin Vogt aus. "Hoffes" Kapitän war darum bemüht, Ausgewogenheit bei aller berechtigten Kritik miteinfließen zu lassen. Vogt in Klassensprecher-Manier: "Bei mir sind es gemischte Gefühle. Wir freuen uns auch über die tolle Moral, es ist ja nicht selbstverständlich, mit zehn Mann so zurückzukommen." Stimmt. Im Endeffekt darf das erneute Remis auf das Phänomen und Aufeinandertreffen zweier fragiler Gebilde zurückgeführt werden.

Ganz realistisch betrachtet stellt sich nach beiden total verrückten Duellen mit Olympique die Ausgangslage vor den TSG-Abschlusspartien gegen Schachtar Donezk (27. November) und bei Manchester City (12. Dezember) so dar: "Hoffe" besitzt lediglich noch eine Minimalchance, hat den direkten Vergleich bei abschließendem Punktepari gegenüber OL verloren und hält das Schicksal nicht mehr in den eigenen Händen. Metaphorisch formuliert: Die K.o.-Runde der Königsklasse ist nah - und doch so fern.

TSG-Manager Alexander Rosen legte zu mitternächtlicher Stunde den Fokus auf eine pragmatische Herangehensweise. "Wir haben nicht mehr so viele Variablen. Unsere Aufgabe ist es jetzt, mit einem Heimsieg über Donezk die Europa League zu sichern und dadurch die Chance auf ein Endspiel gegen ManCity zu haben, das dann vielleicht schon durch ist." Ergo: Ein Funke Resthoffnung bleibt.

Grundvoraussetzung dafür sind freilich zwei Siege (Nagelsmann leicht ironisch: "Es ist ratsam, beide Spiele zu gewinnen") - sowie die Schließung der betriebsinternen Baustellen. Gemessen nach dem neuerlichen Abwehrchaos bei der Dienstreise nach Lyon genügt die Hoffenheimer Abteilung Abwehr allenfalls bedingt höchsten internationalen Ansprüchen. Was den Kontrahenten phasenweise an Handlungsräumen überlassen wird, grenzt an Flatterhaftigkeit, Leichtsinn und Fahrlässigkeit.

Die Tageszeitung Le Progrès aus Lyon schrieb in ihrer Donnerstagausgabe verstört und sorgenvoll über "L’art du gâchis", die Kunst der Vergeudung, bei Olympique. Vergleichbares darf "Hoffe" attestiert werden. Génésio und Nagelsmann treibt das Laissez-faire fast zur Verzweiflung.

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