Die TSG Hoffenheim und Olympique Lyon zeigten ein dramatisches Spiel
Hüben wie drüben eine Achterbahnfahrt der Gefühle

Von Joachim Klaehn
Sinsheim. Es war mitreißend, aufregend, großartig, was beide Mannschaften am Dienstagabend zu später Stunde in der Champions League leisteten. Eine Ballnacht im Hurrastil! Dramaturgisch bot der deutsch-französische Vergleich der beiden letztjährigen Drittplazierten der Ligue 1 und der Bundesliga alles, was die Herzen der Fußballfans höher schlagen lässt.
Doch sowohl die Protagonisten der TSG 1899 Hoffenheim als auch von Olympique Lyon wussten nach einem Hitchcock-Thriller und einem rasanten 3:3 (1:1) vor knapp 24.500 Zuschauern in der Rhein-Neckar-Arena nicht so recht, ob sie das Remis als Erfolg oder vertane Chance einstufen sollten.
"Es war fußballerisch sensationell, was wir geboten haben - ein unglaublich attraktives Spiel für die Zuschauer", geriet TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann ins Schwärmen. Und ebenso kritisch und letztlich realistisch äußerte sich der ehrgeizige Oberbayer zur tabellarischen Konstellation in der Gruppe F. "Wenn wir in Lyon gewinnen, ist alles möglich, Ansonsten sieht es sehr düster aus. Das ist leicht auszurechnen."

In der Tat: Am Mittwoch, 7. November, steigt ab 21 Uhr das (erste) "Endspiel" im vereinseigenen Parc OL in Décines-Charpieu um den zweiten Gruppenplatz, der zum Einzug ins lukrative Achtelfinale berechtigt, während sich der Dritte nach der Winterpause weiterhin in der rangtieferen Europa League international bewähren darf. Noch ist für den Kraichgauklub nichts verloren, aber angesichts des Restprogramms brauchen die "Nagelsmänner" wohl zwei Dreier in Lyon und am 27. November im heimischen Stadion gegen Schachtar Donezk. "Es ist im Leben nicht so, dass nach sich von der Vergangenheit etwas kaufen kann", tat Nagelsmann das einzig Richtige in einem für sein Team schwer zu verarbeitenden Moment, die Flucht nach vorne zu ergreifen.
Auch interessant
Allein die Torfolge drückte die Achterbahnfahrt der Gefühle aus: Traoré (27.), Kramaric (33. und 47.), Ndombélé (59.), Depay (67.) und Joker Joelinton in der Nachspielzeit trafen jeweils für ihre Farben. Die französische Sportbibel L’Équipe schrieb in ihrer Mittwochausgabe, Lyon sei dank des späten Ausgleichs "hängen geblieben" und bezeichnete das turbulente Auf und Ab in Sinsheim treffend als "match fou" (verrücktes Spiel).
Aus Sicht der Lyoneser war das Ende bitter, da sie sich nach zwei Führungen bereits als Sieger wähnten. "Ich bin natürlich etwas enttäuscht, dass wir die drei Punkte nicht mit nach Hause genommen haben", grantelte Olympique-Trainer Bruno Génésio. Ohne ihren verletzten Star und Weltmeister Nabil Fekir zeigten die Gäste sämtliche Facetten ihres Leistungsvermögens. Schwindelerregend schnell und ballsicher präsentierten sich die Männer in leuchtendem Orange, aber eben auch schlampig und verwundbar. Ein Team voller Kontraste, im Nirgendwo zwischen Himmel und Hölle anzusiedeln.

Zu den Koordinaten eines rundum offenen Schlagabtauschs gehört auch, dass die Hoffenheimer nicht nur mehr Ballbesitz, sondern ein klares Chancenplus verzeichneten. Insgesamt wies die Statistik 26:12-Torschüsse aus, wenn man primär die hochkarätigen Möglichkeiten als Maßstab nimmt, waren es deren 12:4. "Es ist sehr ärgerlich, dass wir nicht gewonnen haben", ließ Torhüter Oliver Baumann den Spielfilm Revue passieren, "es war überragend, was wir an Chancen herausgespielt haben. Deshalb ist es bitter, nur einen Punkt zu haben."
Das Empfinden, trotz formidabler Vorstellungen mit leeren Händen dazustehen, kennt "Hoffe" hinlänglich. Die unzulängliche Chancenverwertung gilt bis dato als Spiegelbild dieser Saison, noch dazu wettbewerbsübergreifend im Bundesliga-Alltag sowie im Bonusgeschäft der europäischen Königsklasse. Dass sich die Debütanten des weiteren gleich drei Fauxpas von Kapitän Vogt, Keeper Baumann und Innenverteidiger Akpoguma erlaubten, ist auf diesem hohen Niveau ein fragwürdiger Luxus.
Mehr denn je steht Hoffenheim vor Wochen der Wahrheit. Stuttgart, Leipzig im DFB-Pokal, Leverkusen, Lyon, Augsburg, Hertha und Donezk - zum Durchatmen besteht, bis auf die letzte Länderspielpause des Jahres kaum Gelegenheit. Nagelsmann sprach über Joelintons spätes Tor von einem "guten Punch, der tabellarisch vielleicht noch Bedeutung hat." Wetten, dass es in zwei Wochen im atmosphärischen Parc OL ähnlich fesselnd zugehen dürfte ...