1899 Hoffenheim

"Hoffe" vernascht müde Bayern

Die TSG triumphiert mit 4:1 gegen die zuvor in 32 Spielen ungeschlagenen Münchner und stürmt an die Tabellenspitze

27.09.2020 UPDATE: 27.09.2020 22:03 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Nationaltorwart Manuel Neuer sitzt auf dem Hosenboden und schaut dem Ball entsetzt hinterher. Munas Dabbur (l.) trifft zum 2:0 für die Kraichgauer. Auch David Alaba (m.) und Jerome Boateng sprinten vergeblich. Fotos: APF

Von Achim Wittich

Sinsheim. Endlich wieder: Als Torwart Oliver Baumann am Sonntagnachmittag zum Warmmachen auf den Rasen der Sinsheimer Arena lief, gab es Applaus von den Rängen. Knapp über 6 000 Fans der TSG Hoffenheim durften gegen den Branchenkönig FC Bayern mit dabei sein. Und die Laune der Anhänger wurde immer besser. "Mut" hatte 1899-Trainer Sebastian Hoeneß gegen die Ausnahmekicker aus München von seinen Profis eingefordert – und konnte dann mit ansehen, wie seine Mannschaft den vermeintlich übermächtigen Gegner am Ende beim 4:1 (2:1) sogar vorführte.

Dabei hatte der Zweifach-Torschütze Andrej Kramaric im Vorfeld ein "Schalke-Ergebnis" (Anm. der Redaktion: Die Königsblauen waren am ersten Spieltag mit 0:8 unterlegen) befürchtet. Sebastian Hoeneß hielt trotz des Husarenstreiches den Ball flach: "Wichtig ist, dass wir cool bleiben", sagte er und gab er die Marschrichtung für die nächste Aufgabe gleich mit vor. "Jetzt muss es darum gehen, den Sieg in Frankfurt zu veredeln."

TSG-Trainer Sebastian Hoeneß schaut ganz genau hin, während Hansi Flick (dieses Bild) am Spielfeldrand mitleiden muss. Foto: APF

Sein Trainerkollege Hansi Flick hatte sich den Luxus erlaubt, Robert Lewandowski eine kleine Verschnaufpause zu gönnen und ließ den Polen erst mal auf der Bank. Auch der Siegtorschütze vom Uefa-Supercup-Sieg am vergangenen Donnerstag gegen den FC Sevilla Javier Martínez und Dampfmacher Leon Goretzka durften nicht von Beginn an ran.

Los ging’s nach dem Gedenken an "Hoffes" verstorbenen Präsidenten Peter Hofmann erwartungsgemäß. Die Rot-Weißen präsentierten sich meist in Ballbesitz und jede erfolgreiche Zerstörungsaktion der Kraichgauer wurde auf den Rängen frenetisch gefeiert. Beim Duell von David gegen Goliath war es vor den spärlich besetzten Rängen zeitweise lauter, als sonst vor ausverkaufter Hütte.

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TSG-Trainer Sebastian Hoeneß schaut ganz genau hin, während Hansi Flick am Spielfeldrand mitleiden muss. Foto: APF

Als Ermin Bicakcic nach einer Viertelstunde sein Köpfchen hinhielt und den Ball ins Münchner Netz beförderte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Der alte Klassiker von den Lederhosen-Ausziehern war schon vorher angestimmt worden.

Während Thomas Müller immer noch moserte, weil er einen Foulelfmeter forderte, ging Munas Dabbur auf der anderen Seite steil und lupfte den Ball lässig an Manuel Neuer vorbei – 2:0 (24.). Die "Quadruple"-Gewinner wussten nicht, wie ihnen am Technik-Museum geschah und Oliver Kahns Titan-Lächeln auf der Tribüne hatte etwas von Selbstironie.

Christoph Baumgartner hätte nach einer halben Stunde gar auf 3:0 stellen müssen. Was sich schon vorm Anpfiff in den Gesichtern und der Körperspannung bei den Stars von der Isar gezeigt hatte, spiegelte sich auf dem Platz wider. So richtig bei der Sache waren Müller und Co. nicht, was auch Vorstandschef Karlheinz Rummenigge mit finsterer Miene mit ansehen musste.

Ermin Bicakcic. Foto: APF

Doch während dann Ermin Bicakcic wenige Meter weiter auf dem Spielfeld lag, holte Joshua Kimmich sein Zauberfüßchen raus und zirkelte das Runde perfekt ins Eckige (36.). Sollte das der Aufwecker für die reise-und spielgestressten "Mia-san-Mia"-Fußballer sein? Torgigant Andrej Kramaric traf erst mal noch die Latte (45.) – für ausreichend Unterhaltung war gesorgt.

Noch wechselte Flick nicht, behielt seine Asse im Ärmel. Die Wachsamkeit seiner Profis hatte in der Halbzeitpause nicht zugenommen, Munas Dabbur streckte verzweifelt die Arme in die Höhe, weil er gleich zweimal fahrlässig das 3:1 vergeben hatte (50./51.).

Flick reichte das müde Ballgeschiebe jetzt endgültig, er brachte Lewandowski und Goretzka im Doppelpack (57.). Skov musste die Vorentscheidung schaffen, doch Manuel Neuer hatte etwas dagegen (74.) . Kaum hatte Stadionsprecher Mike Diehl unter frenetischem Applaus ein mit 6 034 Zuschauern "ausverkauftes Haus" vermeldet, gab es kein Halten mehr. Andrej Kramaric machte dem Rekordmeister den Garaus (77.) und setzte in der Nachspielzeit per Elfmeter noch das i-Tüpfelchen drauf (90+2).

Hintergrund

Tragischer Held

Vom umjubelten Mann, der mit seinem Kopfball den Torreigen eröffnete, wurde er zum tragischen Helden. Ermin Bicakcic krümmte sich gerade am Boden, als Münchens Joshua Kimmich mit seinem Anschlusstreffer eine vermeintliche

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Tragischer Held

Vom umjubelten Mann, der mit seinem Kopfball den Torreigen eröffnete, wurde er zum tragischen Helden. Ermin Bicakcic krümmte sich gerade am Boden, als Münchens Joshua Kimmich mit seinem Anschlusstreffer eine vermeintliche bayrische Aufholjagd einläutete. Die gab es dann doch nicht, was "Eisen Ermin" nicht getröstet haben dürfte. Denn der Innenverteidiger wird wohl länger ausfallen. Der 30 Jahre alte Bosnier musste kurz vor der Pause mit einer Knieverletzung vom Platz. "Das ist ein Riesen-Wermutstropfen", sagte Trainer Sebastian Hoeneß. "Wir müssen aktuell davon ausgehen, dass es eine schlimmere Verletzung ist." Eine genaue Diagnose gab es am Sonntagabend noch nicht. Bicakcic hatte sich wie so oft schon wieder in die Startformation gekämpft und ließ damit Gerüchten um einen Wechsel zum 1. FC Köln keinen Platz. Für "Hoffe" bitter: Mit Kapitän Benjamin Hübner fehlt derzeit ein weiterer Innenverteidiger. (awi)

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"Über allem steht, dass wir eine herausragende Leistung gebracht haben", freute sich 1899-Manager Alexander Rosen. Das konnte Hansi Flick von seiner Mannschaft wirklich nicht behaupten. Dennoch nahm der gebürtige Heidelberger seine Schützlinge tapfer in Schutz. "Die Mentalität nach den 120 Minuten von Donnerstag war top", gab er sich mit seinen zuvor in 32 Spielen ungeschlagenen Dauersiegern gnädig.

Top aber war nur "Hoffe" – und fährt als Spitzenreiter zu den Hessen.

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