Von Ingeborg Salomon
Die Situation ist paradox: Obwohl die Ärzte immer mehr Möglichkeiten haben, individuell auf den Patienten und seine Krankheit zu reagieren (Stichwort: personalisierte Medizin), drohen Kranke im Massenbetrieb der Kliniken verloren zu gehen. Die Patienten, deren Schicksal Prof. Tsvetomir Loukanov, Chefarzt der Kinderherz-Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg, in seinem Buch "Hand aufs Herz" beschreibt, haben Namen. Elena, Birgit und Vladimir stehen für viele Kinder, die Loukanov in über 20 Berufsjahren operiert hat.
Der 1968 in Bulgarien geborene und seit 2004 am Universitätsklinikum Heidelberg tätige Loukanov hat zwei befreundeten Kollegen seine Geschichten erzählt, Dr. Christoph Jaschinski, ebenfalls Kinderherz-Chirurg in Heidelberg, und die ehemalige Pressesprecherin des Universitätsklinikums Heidelberg, Dr. Annette Tuffs, haben sie aufgeschrieben. Jetzt haben die Autoren ihr Werk im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg (DAI) vorgestellt. Die 130 Seiten lesen sich spannend, sind gut verständlich und vermitteln viel Wissenswertes über das Herz und seine Krankheiten.
So erinnert sich Loukanov gut an den ersten kleinen Patienten, den er operiert hat. Nach einer langen Lehrzeit stand der Chirurg im Jahr 2000 im Nationalen Herzzentrum in Sofia erstmals an der anderen Seite des OP-Tischs. Nicht mehr als Assistent, sondern als verantwortlicher Operateur. Der sechsjährige Kyrill - das lang ersehnte Wunschkind eines schon älteren Ehepaares - hatte einen Vorhofseptum-Defekt, also ein Loch in der Wand zwischen den beiden Vorhöfen des Herzens. Loukanov operierte ihn mit Hilfe einer Herz-Lungen-Maschine. Alles ging gut. 20 Jahre später bekam Loukanov eine Ansichtskarte aus dem Himalaja-Gebirge mit einem 8000er auf dem Foto. Kyrills Vater schrieb, dass sein Sohn nun ein begeisterter Bergsteiger sei.
Die Geschichten in "Hand aufs Herz", gehen dem Leser unter die Haut, ist doch jedes Kinderschicksal verbunden mit dem Hoffen und Bangen der Eltern. Da ist beispielsweise Fajar. Der Junge kam viel zu früh in der 23. Schwangerschaftswoche auf die Welt und wog nur 360 Gramm. Einen Herzfehler hatte er nicht, aber seine Luftröhre war nicht ganz dicht, sodass ständig Luft in seinen winzigen Brustkorb strömte und dort auf Herz und Lungen drückte. Loukanov operierte ihn noch im Brutkasten auf der Intensivstation, öffnete die Luftblase und vernähte die undichte Stelle. Fajar erholte sich schnell und entwickelte sich gut. Bis heute ist er der kleinste Patient, den der Kinderherz-Chirurg jemals hatte.
Nicht viel größer waren die Drillinge, die Loukanov im April 2014 operierte. Hannah, Ida und Süske kamen 15 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin in Bad Kreuznach zur Welt, alle Drei hatten einen offenen Ductus: Da im Mutterleib das Blut nicht in die Lunge des Fetus fließen darf, hat die Natur eine Art Umleitung zwischen Schlagader und Lungenarterien angelegt. Wenn sich die Lungenflügel nach der Geburt mit dem ersten Schrei entfalten, verschließt sich dieser Ductus meistens von alleine. Doch extrem Frühgeborene werden intubiert und beatmet, ihr Ductus bleibt offen. Da die Drillinge nicht transportfähig waren, fuhr Loukanov nach Bad Kreuznach und operierte die Mädchen. Sie erholten sich schnell, nach drei Monaten durften sie nach Hause. Alle drei sind heute putzmunter, und Loukanov wünscht sich nur eins: "Ein Foto von ihrem ersten Schultag."
Doch der engagierte Mediziner verschweigt auch nicht, dass es immer ein großes Risiko ist, ein Kinderherz zu operieren. Die weitaus meisten Operationen gelingen, aber jede, die nicht gelingt, ist eine zuviel. "Patienten, die gestorben sind, begleiten uns ein Leben lang", weiß Loukanov. So kann der Kinderherz-Chirurg auch Johanna nicht vergessen. Das Mädchen litt an einer besonders schweren Form von Herzmuskelschwäche und brauchte dringend ein Spenderherz.
Als Einjährige kam sie als Notfallpatientin ins Heidelberger Uniklinikum - und blieb fast ein Jahr. Zuerst bekam sie ein Kunstherz in Miniaturformat, um die Wartezeit auf ein Spenderherz zu überbrücken. Das funktionierte ganz gut, das aufgeweckte kleine Mädchen war bald der Liebling der Station. Alle hofften, dass Johanna es schaffen würde. Doch eines Nachts starb die kleine Patientin an Hirnblutung. "Die Natur und die Krankheit waren am Ende stärker als die Hoffnung auf ein neues Herz", erinnert sich Loukanov.
"Hand aufs Herz" ist packend geschrieben, ein Anhang mit Fakten zum Herz, ein Glossar sowie Zeichnungen ergänzen das Buch. Ein eigenes Kapitel ist dem Versorgungsnetzwerk für Kinder mit einem angeborenen Herzfehler und deren Eltern gewidmet.
Info: Tsvetomir Loukanov, Christoph Jaschinski, Annette Tuffs: "Hand aufs Herz", Verlag Books on Demand, Norderstedt, 2017, 14,95 Euro, ISBN: 978-3744815079. Am Samstag, 18. 11., ab 15 Uhr Signierstunde bei Schmitt & Hahn, Heidelberg, Hauptstr. 8.