Artenvielfalt im Reagenzglas

Statt Fische zu fangen untersuchen Forscher Wasserproben im Labor

Umwelt-DNA könnte in Zukunft alle Lebewesen in einem Ökosystem nachweisen

28.04.2017 UPDATE: 29.04.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 22 Sekunden

Von Andreas Lorenz-Meyer

Das Monitoring von Meereslebewesen ist eine umständliche und teure Angelegenheit. Denn was da unten lebt, entzieht sich dem Blick; ab 200 Metern Tiefe ist alles stockdunkel. Um die im Wasser lebenden Arten aufzuspüren, braucht man Schleppnetze, die den Meeresgrund abgrasen. Mit dem Fang lassen sich dann Vorkommen und Häufigkeit ungefähr bestimmen. Es geht aber auch einfacher und billiger. Statt Fische zu fangen und dann zu zählen, entnimmt man dem Ozean eine Wasserprobe und extrahiert im Labor die darin vorhandene DNA. Das Wasser ist voll von DNA-Fragmenten, die zum Beispiel von den Schuppen oder vom Kot der Meeresbewohner stammen. Umwelt-DNA oder eDNA (environmental DNA) heißen diese genetischen Rückstände.

Philip Francis Thomsen und seine Kollegen von der Universität Kopenhagen waren genau diesen Rückständen auf der Spur, als sie letztes Jahr an Bord des Forschungsschiffs Paamiut mitfuhren. Die Paamiut wirft zwecks Fisch-Monitoring ihre Schleppnetze in der Davisstraße südwestlich von Grönland aus. Thomsen nahm dort Wasserproben an 21 Stellen in Tiefen zwischen 188 und 918 Metern und bestimmte damit die Fischarten. Die Ergebnisse des Fangs und der DNA-Fragmente stimmten weitgehend überein. Ins Schleppnetz gingen Fische aus 28 Familien. Von diesen waren auch 26 in den Wasserproben aufzuspüren; dazu drei Familien, die dem Schleppnetz entgangen waren.

Beide Methoden ergaben, dass der Heilbutt in dem Meeresgebiet am häufigsten vorkommt. Widersprüchliche Resultate zeigten sich dagegen beim Grönlandhai. Ins Schleppnetz ging nur ein Exemplar, während die DNA 18 Haie signalisierte. Das DNA-Ergebnis könnte in diesem Fall treffender gewesen sein. Denn große Fische lassen sich nicht so leicht fangen, mutmaßt Thomsen. Möglicherweise waren einige Grönlandhaie den Netzen der Paamiut entgangen.

Umwelt-DNA ist eine recht neue Technik. Zuerst war es damit nur möglich, einzelne Arten zu bestimmen. Dazu isoliert man kleine DNA-Abschnitte, die nur bei der gesuchten Art vorkommen. Mittlerweile sind die Forscher schon weiter. Beim Metabarcoding nehmen sie eine Gensequenz, die bei allen Lebewesen vorhanden ist. Wobei es kleine Abweichungen gibt, so dass die Arten einzeln unterscheidbar sind. Metabarcoding steht noch am Anfang der Entwicklung, hat aber großes Potenzial, findet Florian Altermatt von der Abteilung Aquatische Ökologie des schweizerischen Wasserforschungsinstituts Eawag: "Damit lassen sich potenziell alle Lebewesen nachweisen, die in einem Ökosystem vorkommen, von Bakterien bis zu Wirbeltieren".

Altermatts Metabarcoding-Versuch fand nicht draußen auf dem Meer statt, sondern in der Glatt, einem Fluss im Kanton Zürich. Altermatt und Kollegen sammelten dort an acht Stellen jeweils einen Liter Wasser in Kanistern und extrahierten anschließend die DNA aus diesen Punktproben. Gesucht wurden nicht nur Fische, sondern alle im Fluss vorkommenden Organismen. Vor allem die DNA von kleinen Lebewesen, Insekten und Krebstiere, fanden die Forscher. Aber auch ein Biber hatte eine Spur hinterlassen. Insgesamt konnten die Signale von 296 Arten nachgewiesen werden. Nicht nur die von Lebewesen im Fluss, sondern auch die von am Ufer lebenden Tieren.

"Ein Fließgewässer transportiert DNA-Fragmente fünf bis zehn Kilometer weit", erklärt Altermatt. Eine Probe, an irgendeinem Punkt des Flusses gesammelt, enthält also Informationen über mehrere Quadratkilometer Einzugsgebiet. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für den Naturschutz. Die Messungen der chemischen Wasserqualität könnten auch zur Überwachung der Artenvielfalt eingesetzt werden. Monitoring ließe sich dann viel häufiger durchführen, die Bedrohung einer Art würde früher erkannt.

Einfach und schonend

Beschränkungen hat die Technik jedoch auch. Die Wasserprobe gibt keine verlässliche Auskunft über die Häufigkeit einer Art. Der Flusskrebs könnte seinen Kot ja direkt an der Entnahmestelle abgelegt haben. Das wirkt dann so, als gäbe es sehr viele Flusskrebse. Eine große Menge DNA bedeutet aber nicht automatisch, dass eine Art häufig vorkommt. Zudem sagt die Umwelt-DNA nichts über die Alterszusammensetzung aus, zum Beispiel aus wie vielen Jungtieren und aus wie viele ausgewachsenen Fischen eine Population besteht. Zu wenige fortpflanzungsfähige Fische können zu ihrem Zusammenbruch führen - was aus der DNA aber nicht abzulesen ist.

Die Vorteile überwiegen jedoch für Altermatt. Die DNA-Methode ist nicht-invasiv. Im Gegensatz zur Schleppnetzmethode lässt sich die Artenvielfalt bestimmen, ohne einen einzigen Fisch zu fangen. Zudem kann man mit einer Wasserprobe alle Arten nachweisen, ob Kieselalge, Fisch oder Wasserschnecke. Die herkömmlichen Methoden sind dagegen vergleichsweise umständlich. Um in einem Fluss die Kieselalgen zu sammeln, muss man zum Beispiel den Biofilm von Flusssteinen abkratzen.

Auch die Zählung von Kleintieren im Labor ist sehr mühsam. Die Umwelt-DNA spart also Zeit. Und sie spart Kosten, "denn alle Analyse-Schritte können automatisiert werden", so Altermatt. Das heißt, viele Wasserproben lassen sich gleichzeitig untersuchen. Eine Probe zu analysieren kostet so viel wie 100 zu analysieren. Je mehr Proben, desto mehr Kosteneinsparung. Die Umwelt-DNA zeigt nicht alle, sondern 60 bis 80 Prozent der Lebewesen im Ökosystem an. Herkömmliche Methoden erreichen ähnliche Werte, so Altermatt. Allerdings sei klassisches Monitoring nicht mehr verbesserbar, während die DNA-Methode weiterentwickelt werden könne. Will man eine einzelne Art bestimmen, weiß man also genau, wonach man sucht, dann führe sie jetzt schon zu genaueren Ergebnissen.

Das könnte bei unerwünschten Eindringlingen nützlich sein, etwa bei den aus Asien eingeschleppten Karpfen, die das Ökosystem der Großen Seen in Nordamerika gefährdeten. Durch Umwelt-DNA wies man sie trotz der Größe der Gewässer sehr früh nach, sogar noch bevor die ersten Exemplare überhaupt gesichtet wurden. Altermatt sieht die Wasserproben-Methode daher auch als effektives Früherkennungssystem bei invasiven Arten. Werden sie per Umwelt-DNA früh entdeckt, solange die Population noch klein ist, dann kann man schneller etwas gegen Störenfriede unternehmen.