Heidschnucken helfen Ronald Linder bei der Arbeit im Weinberg. Allerdings dürfen sie erst nach der Lese in die Reben. Foto: Veigel
Von Thomas Veigel
Im Herbst, wenn die Weinlese beendet ist, dürfen die Schafe in den Weinberg. Die Heidschnucken von Ronald Linder fressen die Blätter der Reben und die Gräser und Kräuter am Boden. In der Vegetationszeit sind sie in den Böschungen unterwegs, die es in Endingen, am nördlichen Fuß des Kaiserstuhls, reichlich gibt. Hühner lässt Linder auch dann in die Reben, wenn die Trauben reifen. Sie sollen dann Insekten, vor allem die Kirschessigfliege dezimieren.
Innerhalb von drei Jahren machen die Schafe aus verwilderten Böschungen kräuterreiche, von Brombeeren befreite Wiesen. Kräuter pflanzt Roland Linder auch in den Weinbergen. Jede Menge und viele verschiedene: Lavendel, Thymian, Rosmarin, Salbei und Kamille gehören dazu. Er arbeitet nach dem Prinzip der Permakultur. Diese geht davon aus, dass die Natur ein sich selbst regulierendes und erhaltendes System ist. Der Mensch muss nicht eingreifen. Nun ist Weinbau kein Naturphänomen, sondern eine kulturelle Errungenschaft. Wer guten Wein machen will, muss etwas dafür tun. Aber man kann darauf hinarbeiten, möglichst wenig in die natürlichen Abläufe einzugreifen.
Ronald Linder ist ein Quereinsteiger. Der Medieningenieur und angehende Filmemacher übernahm Anfang der 2010er Jahre das elterliche Weingut in Endingen am Kaiserstuhl und stellte den Betrieb nach und nach auf biologisch-dynamische Wirtschaftsweise um, die meisten Weine sind mittlerweile Demeter und Ecovin zertifiziert.
Schritt für Schritt hat sich Ronald Linder in die biodynamische Wirtschaftsweise hineingearbeitet. Mit zunehmender Konsequenz. Der hohe Aufwand im Weinberg und das trockene Wetter machten es im Jahr 2019 sogar möglich, erstmals auf das Spritzen von Kupfer zu verzichten. Leichte Schäden durch falschen Mehltau (Peronospora) nahm er in Kauf.
2017 gelang ihm der erste Weißwein ohne zugesetzten Schwefel, ein Chardonnay. Im Jahrgang 2018 folgten weitere Sorten. Mittlerweile sind auch verschiedene Jahrgänge von roten Naturweinen im Verkauf. Und auch die Auszeichnungen mehren sich. Im November wurde der Winzerhof Linder vom Heidelberger Weinführer Eichelmann als "Entdeckung des Jahres" gefeiert.
Im Dezember erhielt der 2018er Grauburgunder mit dem Namen "Dr Grau natür" bei der Grauburgunder Trophy des Magazins Falstaff mit 92 Punkten die zweithöchste Punktzahl von 142 eingereichten Weinen. Ronald Linder freut sich, dass sein trüber, ungeschwefelter, aprikosen-farbiger Naturwein mit so vielen klassisch ausgebauten Weinen mithalten kann. Es sei für ihn eine Bestätigung, "dass wir mit den Naturweinen auf der richtigen Spur sind". Der zweite Platz zeige auch, wie sehr die Naturweine mittlerweile im Mainstream angekommen seien.
Die Naturweine von Ronald Linder sind spontan, zum Teil auf der Maische angegoren oder vergoren, ungeschönt, unfiltriert und ohne zugesetzten Schwefel direkt von der Vollhefe abgefüllt.
"Dr Grau" zeigt sich in trübem Orange, er ist zupackend, füllig, konzentriert, hat eine sehr gute, von Gerbstoffen, Frucht und Säure getragene Struktur. Der Wein ist eine sogenannte Kellercuvée. Die Trauben wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten gelesen und vergoren. Ein Teil gärte vier Monate auf der Maische, also mit den Beerenschalen. Ein Teil wurde direkt abgepresst, eine weitere Fraktion bekam eine kurze Maischestandzeit. Ein Teil wurde in neuen Barriquefässern vergoren. Nach der Gärung wird aus den einzelnen Fraktionen der füllfertige Wein zusammengesetzt.
Wenn man etwas kritisieren wollte, dann sind es die gut drei Gramm Restzucker. Sie sind aber nicht zugesetzt, sondern nach der Gärung übrig geblieben. Der Wein hätte den Zucker nicht gebraucht, aber er stört auch nicht, insgesamt passt alles zusammen.
Die Naturweine von Ronald Linder werden als "Deutscher Wein" bezeichnet, das ist die unterste Güteklasse nach dem Weingesetz, früher hieß das "Tafelwein". Weil ungefilterte und damit meist trübe Weine in den allermeisten Fällen kein Qualitätswein-Siegel erhalten würden, legen die Winzer keinen Wert darauf.
Das war schon einmal so, als in den 80-er Jahren die letzte Generation der Erneuerer damit anfing, Spätburgunder und auch weiße Rebsorten in neuen, kleinen Holzfässern auszubauen. Diese Barrique-Weine wurden in den ersten Jahren von der Qualitätsweinprüfung abgelehnt. Das führte dazu, dass einige der damals teuersten deutschen Weine als "Tafelwein" verkauft wurden.
Besonders skurril ist heute – wie so vieles im Weingesetz, dass Ronald Linder nicht einmal die Rebsorte "Grauburgunder" auf das Etikett seines "Dr Grau natür" schreiben darf. Das ist wegen des Wortbestandteils "Burgund" nach EU-Recht verboten.