Flutkatastrophe

Verfahren zur Ahrflut: Gravierend gegen Pflichten verstoßen

Kurz vor dem vierten Jahrestag der verheerenden Flutkatastrophe an der Ahr gibt es ein vorläufiges Ermittlungsergebnis im Disziplinarverfahren gegen den Ex-Landrat. Was bedeutet das?

04.07.2025 UPDATE: 04.07.2025 10:08 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden
Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal
Bei der Flutkatastrophe an der Ahr starben 135 Menschen. (Archivbild)

Mainz/Bad Neuenahr-Ahrweiler (dpa) - Fast vier Jahre nach der tödlichen Flutkatastrophe liegt der vorläufige Ermittlungsbericht im Disziplinarverfahren gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) vor – mit schweren Vorwürfen. Der ehemalige Landrat habe während der tödlichen Flutkatastrophe an der Ahr "gravierend gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen".

Der ehemalige Landrat werde zu dem vorläufigen Ermittlungsergebnis derzeit angehört. Dafür sind laut Gesetz vier Wochen vorgesehen, heißt es im Innenministerium. Pföhlers Anwalt Olaf Langhanki weist die Vorwürfe als unbegründet und verfehlt zurück.

Was steht in dem Bericht?

"Die Unterlassungen und Verhaltensweisen vor, während und nach der Naturkatastrophe im Ahrtal werden hiernach als Verstoß gegen das Rechtmäßigkeitserfordernis, gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht sowie die im Beamtenstatusgesetz normierte Einsatzpflicht gewertet", hieß es in der Mitteilung des Innenministeriums zu dem Ermittlungsbericht. 

"Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass vonseiten des Innenministeriums anschließend Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung der Ruhegehaltsansprüche zu erheben ist." Als vorläufige Maßnahme sei beabsichtigt, ein Drittel des monatlichen Ruhegehalts einzubehalten.

Das Disziplinarverfahren gegen den ehemaligen Landrat war im August 2021 eingeleitete worden. Es sollte prüfen, "inwieweit im Kontext der Naturkatastrophe im Ahrtal gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen wurde", schreib das Innenministerium.

Was sagt Pföhler dazu?

Pföhlers Anwalt Langhanki schreibt auf Anfrage: "Es ist skandalös und unterstreicht die Befangenheit der Behörde, dass eine Pressemitteilung erfolgt, bevor Herr Dr. Pföhler angehört und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde". Es handele sich um ein taktisches Manöver des Ministeriums, mit dem die Öffentlichkeit getäuscht und vom "Versagen der damaligen Landesregierung, des damaligen Innenministers und der ADD" abgelenkt werden solle, heißt es. Er werde für Pföhler innerhalb des Disziplinarverfahrens zu den unbegründeten Vorwürfen Stellung nehmen. 

Mit Anträgen werde er dafür sorgen, "dass das Versagen der damaligen Landesregierung, des damaligen Innenministers und der ADD ganz konkret in den Blick gerät". Man werde aufzeigen, dass Pföhlers Ruhegehalt nicht antastbar sei.

Was ist vor vier Jahren passiert?

Rückblick: Bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021 waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und einer im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst. 

Der damalige Landrat war seit August 2021 krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst und wurde im Oktober 2021 auf eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Was sagen Hinterbliebene zu dem Bericht?

Die Eltern einer bei der Ahr-Flut verstorbenen jungen Frau halten eine Disziplinarmaßnahme gegen den Ex-Landrat für ein längst überfälliges Signal. "Doch sie ersetzt keine strafrechtliche Aufarbeitung", sagte Ralph Orth der Deutschen Presse-Agentur. Orths Tochter Johanna starb in der Flutnacht im Sommer 2021.

"Die Mitteilung aus dem Innenministerium bestätigt, was die Bürger seit Jahren wissen: Pföhler hat in der Flutnacht versagt", sagte Orth. Es brauche endlich Konsequenzen, die dem Leid der Todesopfer gerecht würden. "Und ein klares Signal an aktuell Verantwortliche: Bei Katastrophen muss rechtzeitig gewarnt und evakuiert werden."

Gibt es keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft?

Doch, die Staatsanwaltschaft Koblenz hat gegen Pföhler und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab ermittelt. Die Vorwürfe lauteten fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen. Diese Ermittlungen wurden Mitte April 2024 eingestellt. 

Ein hinreichender Tatverdacht habe sich nicht ergeben, hatte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler, damals gesagt. Pföhler und auch der Mitarbeiter seien zwar in der Nacht zuständig gewesen. Aber einzelne Maßnahmen hätten nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zur Rettung einzelner konkreter Menschen geführt.

Pföhlers damaliger Anwalt hatte danach gesagt: "Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine strafrechtliche Verantwortung von Herrn Dr. Pföhler unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt." Für sie sei die Angelegenheit abgeschlossen.

Wie trat Pföhler im Untersuchungsausschuss auf?

Pföhler machte in dem Landtagsgremium im Juli 2022 – sichtlich mitgenommen – unter Berufung auf die damals noch laufenden strafrechtlichen Ermittlungen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Seinen Antrag, nicht vor dem Ausschuss erscheinen zu müssen, hatte dieser zuvor abgelehnt. 

Was wurde in dem Ausschuss über Pföhlers Verhalten bekannt?

Zahlreiche Zeugen, Ermittler, Nachbarn und Mitarbeiter haben sich im Laufe von 42 öffentlichen Sitzungen dazu geäußert, wo Pföhler in der Flutnacht wann war - und wo nicht. Er soll einige Nachbarn gewarnt, aber wenig unternommen haben, um die Katastrophe abzuwenden, hieß es immer wieder. Sein roter Porsche soll sogar anders als sonst noch am späten Abend weggefahren worden sein. Einer Freundin zufolge soll sich der inzwischen 67-Jährige vor allem in seinem Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler aufgehalten haben. 

Wie hat der Ausschuss das Verhalten bewertet?

Quer durch alle Parteien kritisch. Der CDU-Obmann Dirk Herber sagte jetzt: "Von Anfang an war und bis heute ist das Versagen von Landrat Pföhler unbestritten – das steht außer Frage." 

Der Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung, Frank Roselieb, hatte als geladener Sachverständiger gesagt: "Die Hauptverantwortung lag beim Landrat." Dieser habe sich aber mit einem Attest quasi selbst freigestellt. Als politischer Verantwortlicher habe er die Leitung auch nicht einfach an einen Feuerwehrmann oder Verwaltungsbeamten abgegeben dürfen. 

Ein ermittelnder Beamter des Landeskriminalamts hatte gesagt: "Spätestens ab 22.00 Uhr müsste ihm (Pföhler) die Lage im Ahrtal und was da möglicherweise auf Bad Neuenahr-Ahrweiler zukommt, einigermaßen bekannt gewesen sein." Nach 23.00 Uhr seien in Bad Neuenahr und Sinzig noch 87 Menschen gestorben.

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