Bei Freudenberg sollen 176 Stellen wegfallen - Kritik von Gewerkschaft (Update)
Wegen "massiver Marktveränderungen" wird Teil der Produktion nach Italien verlagert - IG BCE kann Pläne nicht nachvollziehen

Von Matthias Kros
Weinheim. Die Gewerkschaft IG BCE kritisiert den Mischkonzern Freudenberg für seine Pläne, Produktion nach Italien zu verlagern und dadurch in Weinheim 176 Stellen zu streichen. Zwar sei das Geschäft in dem betroffenen Bereich Performance Materials Apparel, der Einlagen für alle Segmente der Bekleidungsindustrie produziert, tatsächlich zuletzt schwieriger geworden, sagte Steffen Seuthe, Bezirksleiter der Gewerkschaft am Dienstag in Mannheim. Aber Freudenberg habe mit der vor Jahren getroffenen Entscheidung, Investitionen in diesen Bereich zu stoppen, das Problem selbst verschärft. "Das Unternehmen ist nicht mehr innovativ am Ball geblieben", meint Seuthe. "Und das rächt sich jetzt."
Der Weinheimer Mischkonzern hatte seine Verlagerungspläne Ende vergangener Woche vorgestellt und mit massiven Marktveränderungen begründet. Der Bereich Performance Materials Apparel bereitet dem Unternehmen schon länger Sorgen. Weil die Auslastung stetig sinkt, hatte es im Herbst 2020 bereits Überlegungen für einen Stellenabbau gegeben. Die Corona-Krise mit Homeoffice und dem damit verbundenen Trend zu legerer Kleidung ohne Einlagen habe die schwierige Lage noch verschärft. Deshalb soll die Produktion nun bis spätestens Ende 2022 nach Italien verlagert werden.
Dieses Heranziehen der Corona-Pandemie als Begründung für den Stellenabbau ärgert Seuthe ganz besonders. "Da versucht Freudenberg auf eine Welle aufzuspringen", schimpfte der Gewerkschafter. Das Corona-Argument sei nur vorgeschoben und diene der Geschäftsführung als fragwürdige Rechtfertigung für den Stellenabbau. Wenn Freudenberg schon nicht mehr an den Bereich glaube, wäre es doch besser gewesen, zu investieren und dann einen Käufer zu suchen, findet er. Stattdessen habe das Unternehmen in den vergangenen Wochen staatliche Hilfe wie Kurzarbeit in Anspruch genommen und verlagere die Arbeitsplätze nun ins billige Ausland
Bis zum Start der Verlagerung soll zunächst in Weinheim unverändert weiterproduziert werden – mindestens das gesamte Jahr 2021. Parallel werden Management und Arbeitnehmervertreter nach sozialverträglichen Lösungen für die betroffenen Mitarbeiter suchen müssen. Seuthe erinnerte den Arbeitgeber dabei an seine Verantwortung. "Es reicht nicht, hier einfach Geld in die Hand zu nehmen", sagte er. Mitarbeiter aus der Produktion hätten es in Corona-Zeiten besonders schwer, einen anderen Job zu finden. "Es wäre daher ein wichtiges Signal, wenn Freudenberg den Kollegen innerhalb des Konzerns andere Stellen anbieten würde."
Update: Dienstag, 26. Januar 2021, 20.27 Uhr
Von Matthias Kros
Weinheim. Der Mischkonzern Freudenberg verlagert Produktion von Weinheim nach Italien und spart dadurch am Stammsitz voraussichtlich 176 Stellen ein. Das teilte das Unternehmen am Freitag mit. Betroffen ist der Bereich Freudenberg Performance Materials Apparel, der Einlagen für alle Segmente der Bekleidungsindustrie produziert. Einlagen für den europäischen Massenmarkt stellt das Unternehmen bisher am Standort Weinheim her, hochwertige Plackeinlagen für den europäischen Luxusmarkt an seinem Standort im süditalienischen Sant´Omero. Plackeinlagen sorgen beispielsweise für einen guten Sitz von Sakkos.
Aufgrund massiver Marktveränderungen plane das Unternehmen nun, sich in Weinheim auf die Herstellung von Basismaterial für Einlagen zu konzentrieren, heißt es in einer Presseinformation. Die Veredelung und Beschichtung von Basismaterial solle dagegen in Sant´Omero gebündelt werden. Hierzu werden Anlagen von Weinheim nach Italien verlagert. Diese Maßnahme soll bis Ende 2022 erfolgen. Bis zum Start der Anlagenverlagerung würde in Weinheim unverändert weiterproduziert – mindestens das gesamte Jahr 2021. Am Standort Weinheim wären bis zum Abschluss aller Maßnahmen die Arbeitsplätze von voraussichtlich 176 Mitarbeitern betroffen. Freudenberg Performance Materials Apparel hat bereits Gespräche mit dem Betriebsrat aufgenommen, um sozialverträgliche Lösungen zu finden. In Sant´Omero würden im Zuge der Verlagerung 50 neue Arbeitsplätze entstehen.
Insbesondere der Massenmarkt im mittleren Preissegment sei in den vergangenen Jahren stark rückläufig, heißt es weiter. Immer mehr Verbraucher folgten dem Trend zu legerer Kleidung, die in der Regel nur wenige oder gar keine Einlagen enthielten. Die weltweite Corona-Pandemie habe diese Entwicklung "extrem beschleunigt". Statt Anzug im Büro sei lockere Kleidung im Home-Office angesagt. Zudem leidet die Bekleidungsindustrie durch die Pandemie grundsätzlich unter einem starken Nachfrageeinbruch, von dem sie sich voraussichtlich erst in einigen Jahren erholen werde. Tatsächlich hatten zuletzt mehrere Modeketten aufgrund der Corona-Krise Insolvenz angemeldet, zuletzt Adler Moden mit rund 170 Filialen. Und die Perspektiven sind schlecht: Nach einer aktuellen Befragung der Unternehmensberatung PWC wollen 29 Prozent der Konsumenten auch in Zukunft weniger für Kleidung und Schuhe ausgeben.
Obgleich die Bekleidungsindustrie seit vielen Jahren aus Deutschland und Europa abgewandert sei, habe Freudenberg Performance Materials Apparel stets versucht, den Produktionsstandort Weinheim zu stärken, teilte das Unternehmen weiter mit. So habe man immer wieder Initiativen durchgeführt, um das Kerngeschäft mit Einlagen für den Massenmarkt im mittleren und unteren Preissegment erfolgreich von Weinheim aus zu betreiben. "Die massiven Marktveränderungen konnten jedoch nicht vollständig aufgefangen werden", heißt es. "Die Einlagenproduktion in Weinheim ist daher seit mehreren Jahren nicht ausgelastet." Die Pandemie habe die Situation nun nochmals deutlich verschlechtert: Allein im Jahr 2020 habe Freudenberg Performance Materials Apparel für seine Einlagenproduktion am Standort Weinheim einen Volumenrückgang im deutlich zweistelligen Bereich verzeichnen müssen.
Mit dem Ziel, das europäische Einlagengeschäft zukunftsfähig aufzustellen, plane Freudenberg Performance Materials Apparel nun, seine Technologien in Kompetenzzentren zu bündeln. In Weinheim solle das bestehende Know-how für Basismaterial weiterentwickelt werden.
Update: Freitag, 22. Januar 2021, 20 Uhr