Von Barbara Klauß
Heidelberg. Am Donnerstag, wenn HeidelbergCement zur virtuellen Hauptversammlung lädt, wollen Aktivisten der Klimaschutzbewegung Fridays for Future gemeinsam mit anderen Organisationen vor der neuen Konzernzentrale im Heidelberger Stadtteil Neuenheim protestieren. Über die Kritik an einem der größten Baustoffkonzerne der Welt und Demos in Zeiten von Corona spricht Line Niedeggen, 23 Jahre alt und Physik-Studentin, im RNZ-Interview.
Frau Niedeggen, Fridays for Future wirft HeidelbergCement vor, den Klimaschutz zu untergraben. Der Konzern aber betont, nicht gegen, sondern für den Klimaschutz zu arbeiten. Unter anderem will HeidelbergCement seinen CO2-Fußabdruck bis 2030 um 30 Prozent gegenüber 1990 senken.
"Klimaschutz muss wieder ins Zentrum der Debatte"Es sollte selbstverständlich sein, dass sich die Zementindustrie ihre Rolle in der Klimakrise eingesteht. Immerhin ist sie für acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Es ist schön und gut, dass HeidelbergCement Emissionsminderungsziele hat. Die reichen aber nicht nachweisbar aus, um das 1,5-Grad-Ziel einhalten zu können. Daher können wir das nicht ernst nehmen und betrachten es als pures Greenwashing.
Sie meinen das Ziel, den globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Aber was müsste HeidelbergCement denn Ihrer Meinung nach tun? Das Unternehmen kann ja nicht aufhören, Zement zu produzieren …
HeidelbergCement muss viel mehr auf Recycling setzen. Zudem gibt es mittlerweile Betonmischarten, bei denen wesentlich weniger CO2 freigesetzt wird. Die energieintensive Produktion muss umgestellt werden. Unter anderem geht es auch darum, wie der Strommix aussieht. HeidelbergCement müsste sich zum Beispiel auch für Ökostrom einsetzen.
Generell muss eine Trendwende in der Zementindustrie stattfinden. Die Unternehmen müssen jetzt Lösungen finden – und nicht nur sagen, Sie wollen irgendwann CO2-neutralen Beton. Wir können nicht ewig die Natur und Menschen ausbeuten, um neue Fußballstadien oder Wohnungen zu bauen.
Aber die Verantwortlichen bei HeidelbergCement erklären doch, dass sie mehr auf Recycling und auf Biomasse setzen, dass sie die Produktion umbauen, dass ein großer Teil des Forschungsbudgets dafür eingesetzt wird.
Damit betreibt HeidelbergCement sehr viel Marketing. Das Unternehmen hat einen langen und ausführlichen Nachhaltigkeitsbericht, der Schönrechnerei betreibt und keine absoluten Reduktionszahlen nennt. Das reicht nicht.
HeidelbergCement sagt auch: Beton ist der weltweit am häufigsten eingesetzte Baustoff. Alternativen wird es wohl nicht zum selben Preis geben. Ein Unternehmen wie HeidelbergCement muss ja auch wirtschaftlich handeln.
Das Argument mit der Wirtschaftlichkeit hören wir ständig. Das Unternehmen muss selbst dafür sorgen, nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch zu handeln. Wir sehen eher, dass die Zementindustrie von den Emissionszertifikaten profitiert, die in Europa ausgestellt werden.
Die Alternative kann natürlich nicht sein, dass wir komplett aufhören, neue Wohnungen zu bauen. Natürlich können wir nicht alle auf einmal in superteuren alternativen Holzhäusern wohnen. Aber ein globales Unternehmen muss jetzt mit gutem Beispiel voran gehen und sich mehr auf die klimagerechten Alternativen konzentrieren – und nicht nur den Profit der Aktionäre und des Vorstands im Blick haben.
Es geht ja aber nicht nur um den Profit, sondern auch um Arbeitsplätze.
Ja, das stimmt, an HeidelbergCement hängen viele Arbeitsplätze. Wir sehen aber auch, dass die Arbeiter zum Beispiel aus Indonesien seit Jahren gegen Indocement, eine Tochterfirma von HeidelbergCement, protestieren. Und das Unternehmen erklärt nur, es könne da nichts machen. Sind die Menschen hinter den Arbeitsplätzen nichts wert? Dass ein deutsches Unternehmen seine internationale Verantwortung so ignoriert, ist einfach nicht gerecht. Wir stehen ja nicht nur für Klimaschutz, sondern für Klimagerechtigkeit.
HeidelbergCement erklärt dazu, der Konzern halte sich in allen Ländern, in denen er aktiv sei, an nationales und internationales Recht.
Nur weil etwas erlaubt ist, ist es ja nicht unbedingt gut. Ein Unternehmen kann sich doch nicht einfach aus der Verantwortung ziehen. Stattdessen muss es eigene Maßstäbe aufstellen.
Hatten Sie schon mal ein Gespräch mit jemandem von HeidelbergCement?
Wir hatten nur einen kurzen Email-Austausch.
Würden Sie denn gerne mal zu einem Gespräch eingeladen?
Das kommt auf die Bedingungen an. Klar haben wir HeidelbergCement viel zu sagen. Und wir sind auch offen für Gespräche. Wir wollen uns aber nicht anhören, was alles schon passiert. Das hören wir uns jetzt schon lange genug an.
Da die Hauptversammlung in diesem Jahr nur virtuell stattfinden wird, werden nicht viele Aktionäre Ihren Protest vor der neuen Hauptverwaltung wahrnehmen. Haben Sie Sorge, dass er untergehen könnte?
Natürlich haben wir Sorge, dass das untergeht. Wir haben seit Jahren das Gefühl, dass Klimaschutz und Klimagerechtigkeit nicht genug Beachtung finden. Das Thema steht nicht einmal auf der Tagesordnung der Hauptversammlung. Deshalb müssen wir es auf die Tagesordnung schreiben. Deshalb müssen wir da stehen und laut sein. Wir sind außerdem in Kontakt mit dem Dachverband der kritischen Aktionär*innen, die einen Antrag eingereicht haben gegen die Entlastung des Vorstands. Da werden unsere Fragen mit aufgenommen.
Eigentlich hat eine Demo bei einer Hauptversammlung auch das Ziel, den Aktionären, also den Eignern eines Unternehmens, etwas zu sagen. Was würden Sie ihnen denn sagen, wenn sie sie sehen würden?
Dass sie alle Klimagerechtigkeit auf die Tagesordnung setzen und ihre Verantwortung wahrnehmen sollten.
Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie?
Mit ein paar hundert. 250 haben wir angemeldet. Wie viele es werden, ist schwer vorherzusagen, vor allem unter den momentanen Bedingungen. Wir halten uns natürlich streng an alle Corona-Maßnahmen. Aber wir wollen zeigen, dass wir besonders in dieser Zeit ein Zeichen setzen können.
In den vergangenen Wochen ist das Thema Klima ziemlich aus der öffentlichen Diskussion verschwunden.
Ja, weil auf einmal eine Krise vor uns steht, die uns persönlich betrifft. Die Klimakrise fühlt sich noch nicht so nah an wie die Corona-Krise. Allerdings haben wir in dieser Krise gesehen, dass die Politik schnell handeln kann, wenn sie möchte. Und dass sie in der Lage ist, konsequent Maßnahmen durchzusetzen, die vorher undenkbar schienen. Wir haben jetzt die Chance, Änderungen einzuleiten. Aber wir müssen sicherstellen, dass der Klimaschutz jetzt wieder ins Zentrum der Debatte rückt – wenn es um Strukturänderungen geht, wenn riesige Konjunkturpakete geschnürt werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Belange der Gesellschaft gehört werden – die seit vergangenem Jahr laut nach Klimaschutz schreit, nun aber zu Hause bleiben muss, während die Autoindustrie ins Kanzleramt geladen wird.
Manche Wirtschaftsvertreter fordern genau das Gegenteil: Dass die Unternehmen in dieser schwierigen Zeit nicht auch noch zusätzlich durch Klimaschutzvorgaben belastet werden …
Klimaschutz ist nachweislich auch ökonomisch sinnvoll für die Wirtschaft. Wer heute anfängt, Klimamaßnahmen einzuhalten, hat andern Unternehmen in fünf bis zehn Jahren viel voraus. Die Einsicht, dass konsequenter Klimaschutz unausweichlich wird, sollte so langsam jeden Vorstand treffen.
Auch Sie demonstrieren in Zeiten von Corona nicht nur auf der Straße, sondern auch digital. Sehen Sie darin auch eine Chance? Können Sie so womöglich sogar mehr Menschen erreichen?
Einerseits ja. Wir haben das bei unserem großen Onlinestreik im April gesehen. Andererseits hat man aber nicht diese Straßenöffentlichkeit, die man auf einer Demo hat. Deswegen gehen wir wieder raus. Aber wir nutzen die Ressourcen jetzt anders und kommen zu ganz anderen kreativen Protesten. Mitmachen ist jetzt einfacher denn je.