„Jede Reparatur verdoppelt die Haltbarkeit eines Schuhs“: Schuhmacher Jürgen Bootz in seiner Werkstatt. Foto: Friederike Hentschel
Von Barbara Klauß
Heidelberg. Sandalen und Halbschuhe stapeln sich in einem Regal hinter Jürgen Bootz in seiner kleinen Schuhmacherwerkstatt. Ein Traditionsbetrieb im Heidelberger Stadtteil Neuenheim. Seit 1949 werden in diesem Hinterhof Schuhe repariert: über zwei Generationen von der Familie Gugau, seit 1996 von Jürgen Bootz, der selbst aus einer Schuhmacherfamilie stammt. Es ist ein Geschäft, dass sich über die Jahrzehnte stark verändert hat, wie Bootz (57) erzählt. Und nun hat auch noch die Corona-Pandemie alles durcheinander gewirbelt.
Der Lockdown hat den Schuhmachern in Deutschland herbe Einkommensverluste beschert, teilte der Zentralverband des Deutschen Schuhmacher-Handwerks (ZDS) kürzlich mit. Und auch seit dessen Ende läuft das Geschäft nur langsam wieder an. Insbesondere bei den Reparaturen, dem Hauptgeschäft der Schuhmacher, seien die Aufträge noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor der Pandemie, sagte Falk Dossin, Geschäftsführer des ZDS.
Der Heidelberger Schuhmacher Bootz hatte während des Lockdowns seinen Laden zwar nicht geschlossen – auch weil er als Ansprechpartner da sein wollte für seine Stammkunden im Viertel – doch kamen nicht viele Menschen in dieser Zeit, erzählt er. "Es war ja niemand unterwegs." Und auch jetzt hat er wesentlich weniger Kunden als vor der Krise. "Die Leute haben in den letzten Monaten ihre guten Schuhe nicht abgelaufen."
Zu Hause, im Homeoffice, haben sie nun mal eher Socken oder Hausschuhe getragen. Im Moment schätzt er das Minus in der gesamten Branche auf 40 bis 50 Prozent. "Das ist schon ein tiefer Einschnitt." Für manche, die keine großen Ersparnisse hätten, könne das existenzbedrohend werden. "Es wird bestimmt eine wesentliche Ausdünnung von Schuhmachereien geben", meint Jürgen Bootz.
Er selbst bleibt gelassen. Er hat ein Polster, von dem er zehrt. Und er kann der Situation etwas Positives abgewinnen: Früher sei er nie länger als zwei Wochen im Urlaub gewesen, sagt er. Jetzt habe er mal mehr Zeit für sich und seine Frau.
Doch ist auch beim Verband die Rede davon, dass einige große Schuhmacher-Unternehmen stark unter Druck geraten seien – darunter der Reparatur- und Service-Dienstleister Mister Minit, der Ende April Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet hat. Das Unternehmen machte schon vor der Corona-Krise Verluste und plant nun, rund 30 seiner 148 Filialen in Deutschland zu schließen. Die Insolvenz sei für das Schuhmacher-Handwerk, das typischerweise aus kleinen Unternehmen mit zwei bis fünf Mitarbeitern bestehe, keine gute Nachricht, sagte ZDS-Geschäftsführer Dossin. "Wir sehen uns als Gesamtheit des Handwerks. Je mehr Schuhmacher da sind, umso mehr denken Kunden auch über das Thema nach."
Seit Jahren schon geht dem Verband zufolge die Zahl der Menschen zurück, die ihre Schuhe reparieren lassen. Bei den rund 2022 Schuhmacher-Betrieben, die es laut Statista im vergangenen Jahr in Deutschland noch gab, machen die Reparaturen laut ZDS inzwischen nur noch 75 Prozent des Umsatzes aus. Tendenz fallend. Viele böten daher auch anderes an – wie maßgefertigte Schuhe oder Einlagen.
Könnte die Pandemie nicht eine Trendwende bringen? Immerhin war während des Lockdowns viel die Rede von bewussterem Konsum. Schuhmacher Bootz merkt davon bislang nichts. Und auch, dass das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren viel diskutiert wurde, kommt bislang nicht an.
Einer Greenpeace-Umfrage aus dem Jahr 2015 zufolge werden Schuhe schnell aussortiert. In erster Linie aus modischen Gründen. Etwa jeder Achte trägt sie weniger als ein Jahr. Und Aussortiertes wird laut Studie meist weggeworfen oder anonym gespendet.
Zur Mode, die sich inzwischen rasend schnell ändert, kommt aus Bootz’ Sicht, dass die heutigen Modelle oft schnell und preiswert produziert und nicht unbedingt auf Haltbarkeit ausgelegt sind. Die gigantischen Müllberge, die dadurch entstehen (rund 380 Millionen Paar Schuhe landen Schätzungen zufolge jährlich in Deutschland im Müll), ließen sich seiner Überzeugung nach deutlich reduzieren – wenn man auf jedes Paar Schuhe einen neuen Absatz machen ließe, statt es zu entsorgen. Doch nur jeder Siebte bringt seine Schuhe der Greenpeace-Studie zufolge regelmäßig zur Reparatur. Dabei gibt gravierende Unterschiede zwischen den Generationen: Unter den 18-bis 39-Jährigen hat das die Hälfte noch nie getan.
Auch Bootz’ Kunden sind vor allem ältere Leute aus dem Viertel, die er zum Teil schon seit Jahrzehnten kennt. Ein paar junge kämen auch – meist mit einem kaputten Rucksack. "Die sehen dann, dass man wegen einer kaputten Naht für ein paar Euro nicht gleich einen neuen Rucksack kaufen muss", erklärt Jürgen Bootz.
Trotz allem: Er macht seinen Beruf noch immer gerne. "Das ist keine Fließbandarbeit", sagt er. "Jede Aufgabe ist anders, für jedes Problem muss man eine neue Lösung finden." Zudem sei es immer wieder schön zu sehen, wie glücklich manche Leute seien, wenn sie ihr Lieblingsstück wieder haben. "Ein neues Lieblingsstück zu finden ist nämlich nicht so einfach."