Schnell und leise bewegt sich der Druckroboter auf einem Schienensystem vorwärts, fährt immer wieder den Grundriss entlang und setzt dabei aus seiner Düse Schicht um Schicht zentimeterdicke Betonwülste aufeinander – immer den Plänen folgend, die zuvor am Computer entworfen wurden. In Rekordzeit wachsen so Wände in die Höhe und lassen erkennen, was hier gerade entsteht: ein Haus aus dem 3D-Drucker. Einen Quadratmeter Wand schafft das Gerät in fünf Minuten. Stein auf Stein war gestern. Auch eine Schalung ist hier nicht mehr notwendig.
In Dubai, den USA, Mexiko, Dänemark und Russland gab es solche gedruckten Gebäude bereits, nun hat das schwäbische Unternehmen Peri im September mit diesem Verfahren im nordrhein-westfälischen Beckum ein zweigeschossiges Einfamilienhaus gebaut, das Vorbildfunktion haben soll für innovatives Bauen sowie die Digitalisierung und Automatisierung der Baubranche.
Und gerade erst ist im schwäbischen Wallenhausen im Landkreis Neu-Ulm der Rohbau eines kompletten Mehrfamilienhauses aus dem 3D-Betondrucker fertig geworden: ein Gebäude mit 380 Quadratmetern Fläche, mit fünf Wohnungen auf drei Stockwerken, das nach Angaben des Bauzulieferers Peri aus Weißenhorn das größte gedruckte Wohnhaus Europas sein soll.
Das Druckmaterial für beide Gebäude kommt vom Baustoffkonzern HeidelbergCement. Rund 170 Tonnen des neuartigen Baustoffs "i.tech 3D", der von der Tochter Italcementi speziell für den 3D-Druck entwickelt wurde, haben man für das Haus in Schwaben geliefert, wie der Konzern mitteilte. "Mit dem zweiten Projekt in Deutschland gehen wir den nächsten Schritt und zeigen, dass unser Baustoff auch für den Druck größerer Wohneinheiten und Mehrfamilienhäuser geeignet ist", erklärte Jennifer Scheydt, Leiterin der Abteilung Engineering & Innovation bei HeidelbergCement Deutschland, in einer Mitteilung des Unternehmens. "Die Zukunft hat begonnen", fügte sie hinzu. "Der innovative Baustoff für den 3D-Druck erlaubt Anwendungsbereiche in sämtlichen Größenordnungen und Formen. Wir sind überzeugt, dass sich diese neue Art des Bauens in den nächsten Jahren durchsetzen wird."
Häuser zu drucken, spart Zeit und damit auch Geld. Aus Sicht der Beteiligten bietet es aber auch weitere Vorteile: "Die Baustelle der Zukunft ist leise, sie ist aufgeräumt, sie braucht nur wenig Material", erklärt Scheydt in einem Video auf der Unternehmens-Website. "Es ist flexibel und schnell in der Verarbeitung", fügt Enrico Borgarello hinzu, Director Global Product Innovation bei HeidelbergCement und verantwortlich für die Entwicklung von "i.tech 3D". Zudem sei diese Art zu bauen sicher und nachhaltig. "Mit dem 3D-Druck bieten wir eine Lösung an, die gegenüber der herkömmlichen Bauweise 50 Prozent CO2-Emissionen einspart", so Borgarello.
Wie diese Ersparnis zustande kommt, hat HeidelbergCement-Chef Dominik von Achten kürzlich im RNZ-Interview erklärt: "Einerseits benötigt man für diese Art zu bauen weniger Beton, da dieser nur noch dort platziert wird, wo er tatsächlich benötigt wird", sagte der Vorstandsvorsitzende. "Andererseits ist der Druckbeton durch seine spezielle Zusammensetzung sehr hochwertig trotz seines vergleichsweise geringen Zementgehalts. Hierdurch können signifikant CO2-Emissionen eingespart werden."
Zudem zeige sich hier auch, was mit Beton alles möglich sei, meint von Achten: "Es gibt keinen Baustoff, der so vielfältig eingesetzt werden kann."
In einer Endlosschleife bewegt sich der Druckkopf immer wieder auf der Spur des Grundrisses entlang – und produziert so viele runde Ecken. Viele der Häuser, die in den vergangenen Jahren in anderen Ländern der Welt entstanden sind, fallen durch ihre runden Formen auf. Diese Art zu bauen und der neue Baustoff böten neue Freiheiten in der Formgebung und mehr Vielfalt, da jedes Bauteil individuell gestaltet werden könne, heißt es bei HeidelbergCement. So sei der Baustoff geeignet für den Druck von geraden oder geschwungenen Bauteilen, von Säulen, Fassaden oder Treppen.
Da es sich um eine vollkommen neue Bautechnik handelt, mussten vor Baubeginn Genehmigungen eingeholt werden. Doch wurden alle behördlichen Genehmigungsprozesse nach Angaben der Beteiligten problemlos durchlaufen. Mit Blick auf das Haus in Beckum heißt es etwa auf der Website der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: "Ehe der Startschuss für den Bau des zweigeschossigen Einfamilienhauses mit etwa 80 Quadratmetern Wohnfläche pro Geschoss gegeben werden konnte, wurde das Pilotprojekt intensiv unter die Lupe genommen." Und weiter: "Im Rahmen von Einzelfallentscheidungen der obersten Bauaufsicht mussten insbesondere Kennwerte zur Bestimmung der Standsicherheit bestimmt werden." Dazu hätten in der TU München zahlreiche Materialprüfungen stattgefunden.
Das Land NRW hatte das Projekt in Nordrhein-Westfalen mit 200.000 Euro gefördert. "Von dem Pilotprojekt in Beckum werden Ergebnisse und Erfahrungen erwartet, die beispielgebend für die gesamte Baubranche sein dürften", teilte das Bauministerium des Landes im September mit. Das Gebäude in Beckum soll zeigen, was technisch und rechtlich funktioniert. Und was auch an anderen Orten umsetzbar ist.
Nach kurzer Zeit standen die ersten Wände des Mehrfamilienhaus mit rund 380 Quadratmetern Wohnfläche, das das größte gedruckte Wohnhaus Europas sein soll.Da die 3D-Bauweise inzwischen verschiedenen Bundesländern eine behördliche Zustimmung erlangt habe, spreche nichts dagegen, "dass Häuser aus dem 3D-Drucker auch in größerem Stile entstehen können", sagte HeidelbergCement-Chef von Achten im November.
Und auch Thomas Imbacher, Geschäftsführer Innovation & Marketing der Peri GmbH, die die Häuser in Beckum und in Wallenhausen gedruckt hat, zeigt sich in einer Mitteilung überzeugt, "dass das Drucken mit Beton in den nächsten Jahren in bestimmten Marktsegmenten an Bedeutung gewinnen wird und erhebliches Potenzial hat." Weitere Wohnhaus-Druckprojekte in Deutschland seien bereits in der Vorbereitung. Bislang war das Familienunternehmen Peri, das derzeit weltweit gut 9500 Mitarbeiter beschäftigt, insbesondere als Hersteller von Baugerüsten bekannt, das zudem Schalungssysteme fertigt, die bei der klassischen Herstellung von Betonelementen benötigt werden.
Mit dem Mehrfamilienhaus im schwäbischen Wallenhausen, dessen Druck am letzten Oktoberwochenende begann und das einem Unternehmenssprecher zufolge am 10. Dezember seinen letzten Drucktag hatte, wolle Peri seine Position als führendes Unternehmen im Bereich 3D-Betondruck festigen, sagte Imbacher. Vor zwei Jahren hatte Peri sich an einem Hersteller von 3D-Betondruckern in Dänemark beteiligt. Im vergangenen Sommer hatte Peri dann den ersten eigenen Betondrucker zur Herstellung von Fertigbauteilen ausgeliefert.
Gedruckte Häuser sollen wesentlich günstiger sein als konventionell gebaute. Mit welchen Kosten Interessenten rechnen müssen, dazu machen die Beteiligten aber zunächst keine Angaben. Das wäre auch noch zu früh, erklärte ein Sprecher von Peri – immerhin seien erst zwei Häuser dieser Art gedruckt worden. Ein paar Projekte müsse man noch abwarten.
Im Ausland aber gibt es – allerdings sehr kleine – gedruckte Häuser bereits für ein paar tausend Euro (s. Hintergrund).
Der Drucker, der beim Mehrfamilienhaus zum Einsatz kam, wird von zwei Arbeitern bedient. Dennoch müsse auf der Baustelle niemand Angst um seinen Arbeitsplatz haben, betonte Bauherr Fabian Rupp im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk (BR). Er gehe davon aus, dass die Technologie in den kommenden Jahren mehr Jobs schaffen werde. "Vielleicht können wir hier durch die moderne Bauindustrie mehr junge Leute anlocken, die sich dann wieder auf dem Bau weiterbilden möchten", sagte Rupp dem BR. Zumal der 3D-Drucker dem Sender zufolge nur Wände bauen kann. Wenn es an Böden, Decken, Treppen, Dämmung und Dach gehe, müsse ganz konventionell gearbeitet werden.
Der Architekt des Hauses in Borkum, Waldemar Korte, zeigte sich gegenüber der "Welt" dennoch begeistert: Für ihn als Planer sei es das Größte, auf der Baustelle zu stehen und zu sehen, wie sich der Grundriss wie von Hexenhand geriere; wie das, was er geplant habe, wie im Zeitraffer entstehe.
Enrico Borgarello von HeidelbergCement erklärt: "Wir haben den traditionellen Baustoff Beton an die Möglichkeiten angepasst, die uns die Digitalisierung bietet."