Die Deutsche Bahn stellte wegen des Warnstreiks gestern Morgen bundesweit den Fernverkehr ein. Foto: dpa
Von Markus Sievers, RNZ Berlin
Berlin. "Hier werden die Fahrgäste bestreikt" - so kritisiert Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, die massiven Warnstreiks bei der Bahn. Bundesweit hatten gestern Pendler und Fernreisende mit überraschend starken Beeinträchtigungen zu kämpfen. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) pocht auf ein verbessertes Angebot. "Die Wucht der Streiks macht deutlich, wie groß die Verärgerung der Kollegen darüber ist, dass weiter kein abschlussfähiges Angebot vorliegt", sagte ein EVG-Sprecher. Hintergründe zu einem Tarifkonflikt mit großen Auswirkungen auf das Alltagsleben von Millionen Menschen.
Ausgefallene und verspäte Züge in Schleswig-Holstein, starke Beeinträchtigungen in Baden-Württemberg, fast überall in Bayern Stillstand auf der Schiene bis auf die S-Bahn in München, eine Berliner S-Bahn im Notbetrieb: Unerwartet hart traf am Montagmorgen der Ausstand der größten Eisenbahner-Gewerkschaft Millionen Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zu anderen Orten. Die Bahn stellte den Fernverkehr bundesweit ein. Und auf den Autostraßen bildeten sich riesige Staus - allein auf Autobahnen von Nordrhein-Westfalen in einer Länge von 430 Kilometern.
Zwar erklärte die EVG den um fünf Uhr in der Frühe begonnenen Warnstreik um neun Uhr für beendet - die Auswirkungen aber waren den ganzen Tag zu spüren. Immerhin verständigen sich beide Seiten am Mittag darauf, die unterbrochenen Tarifverhandlungen am Dienstag fortzusetzen. Damit besteht Hoffnung, dass den Bahnreisenden und den mittelbar betroffenen Autofahrern eine Wiederholung zumindest in der Weihnachtszeit erspart bleiben könnte.
Besonders ärgerlich für viele Reisende: Nicht nur die Züge standen am Montag still, auch die Information über die aktuelle Lage funktionierte während des Ausstands so gut wie gar nicht mehr. Vom Ausfall betroffen waren die Informationstafeln auf den Bahnhöfen genau wie die Internetangebote der DB wie www.bahn.de/aktuell oder die App DB-Navigator. Denn die EVG hatte nicht nur Fahrdienstleister und Instandhalter zum Ausstand aufgerufen, sondern auch die Mitarbeiter der Informationsabteilungen.
Als "handzahme Hausgewerkschaft" der Bahn hat einmal die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Konkurrenz von der EVG verspottet, die bisher meist auf Arbeitskämpfe verzichtete. Doch nun zeigte die EVG ihre Krallen und ihre Muskelkraft. Immerhin verhandelt sie für 160.000 Beschäftigte aus den unterschiedlichsten Sparten der Bahn. Insgesamt bringt sie es auf 190.000 Mitglieder, zu denen auch Busfahrer und Binnenschiffer gehören. Die deutlich kleinere, auf eine Berufssparte konzentrierte GDL hatte 2015 mit dem längsten Bahnstreik der bundesdeutschen Geschichte die Republik lahmgelegt. Derzeit ist sie aber noch durch eine Schlichtungsvereinbarung mit der Bahn verbunden.
Tarifverhandlungen laufen aber mit beiden Gewerkschaften, sowohl mit der GDL als auch der EVG. Beide waren mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung um 7,5 Prozent in die Gespräche gegangen. Die Bahn, die unter allen Umständen ein einheitliches Ergebnis in den getrennt laufenden Runden erreichen möchte, bietet nach eigenen Angaben eine Lohnerhöhung in zwei Stufen um insgesamt 5,1 Prozent und eine Einmalzahlung von 500 Euro. Zudem sollen die Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, statt der Tarifanhebung in der zweiten Stufe mehr Freizeit zu wählen.
Dieses so genannte Wahlmodell war bereits bei der letzten Tarifrunde 2016 vereinbart worden. Anschließend nutzten es zur Überraschung des Bahnvorstands so viele Eisenbahner zur Arbeitszeitreduzierung, dass sich der ohnehin eklatante Fachkräftemangel des Konzerns noch verschärfte. Die Gewerkschaften bestehen aber darauf, dass die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld und mehr Freizeit ausgebaut wird.
Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn verwies im Gespräch mit der Berliner RNZ-Redaktion vor allem auf die Nöte der Pendler. "Ihnen entsteht ein unmittelbarer Schaden, der dem gewerkschaftlichen Gedanken der Solidarität widerspricht", so Naumann. Zudem warf er der Gewerkschaft vor, die betroffenen Passagiere schlecht über ihre Absichten informiert zu haben. "So schadet sie den Bahnkunden, die eigentlich auf ihrer Seite stehen." Der Fahrgast-Vertreter sprach sich dafür aus, in Deutschland das italienische Modell zu übernehmen. Dort vereinbaren die Tarifparteien in Friedenszeiten Streikfahrpläne, so dass sich die Bürger darauf einstellen können, welche Züge fahren und welche nicht.