Seit Anfang des Jahres ist beim „Mediahaus“ in Ahaus die erste neue Speedmaster XL 106-6+L der Heidelberger Druckmaschinen bei einem Verpackungsdrucker installiert. Foto: ZG
Ahaus/Heideberg. Oft kommt es anders als man denkt. Kurz nachdem Druckereichef Heinz Walfort 2008 rund fünf Millionen Euro in neue Maschinen investiert hatte, darunter fast anderthalb Millionen in eine Heidelberg Speedmaster CD 102 mit Lackwerk, brach die große Wirtschafts- und Finanzkrise aus – und der Druckmarkt fast zusammen. Lage und Aussichten in der Branche waren zu dieser Zeit schlichtweg katastrophal. Walfort, heute 67, und sein Sohn Jan Hendrik als damaliger Juniorchef steckten den Kopf aber nicht in den Sand. Im Gegenteil, sie machten aus der Krise eine Chance.
Bis dahin war ihre Firma "Mediahaus" im münsterländischen Ahaus, nur wenige Kilometer von der holländischen Grenze entfernt, ein klassischer sogenannter Akzidenzdrucker. Der Familienbetrieb druckte Zeitschriften, Kataloge, Geschäftsdrucksachen, Kalender, Broschüren, Plakate, Flyer und andere Werbematerialien. In Zeiten knapper Kassen wurden diese Produkte aber zunehmend eingespart oder wanderten ins Internet. "Mit diesem Geschäftsmodell hätten wir mit unserer Größe nicht überleben können", blickt der heute 35-jährige Geschäftsführer Jan Hendrik Walfort auf diese schwierige Zeit zurück.
Senior und Junior schwenkten um, setzen zunehmend auf das Bedrucken von Verpackungen. Ganz im Gegensatz zum Werbedruck ist dieser gegen Konjunkturschwankungen ziemlich unempfindlich. In der Wahrnehmung von Otto Normalverbraucher findet der Verpackungsdruck kaum statt, obwohl Otto & Co. als Konsument vor den Regalen von Supermärkten tagtäglich damit konfrontiert wird. Lebensmittel, egal ob fest oder flüssig, unabhängig von Karton, Glas oder Blech, Körperpflegeprodukte, Duftstoffe, Medikamente, Konsum- und kleinere Investitionsgüter jeder Art – allesamt sind sie verpackt und in irgendeiner Form auch bedruckt. Der Jahresumsatz aller Druckdienstleister weltweit beläuft sich auf jährlich rund 400 Milliarden Euro. Auf den Verpackungsdruck entfällt dabei rund ein Drittel. In den vergangenen Jahren legte der Umsatz in diesem Segment pro Jahr um etwa 3 Prozent zu.
Und sein Anteil steigt weiter. Eine wachsende Mittelschicht in Schwellenländern sorgt dafür, dass der Markt dort regelrecht boomt. Aber auch in den Industrienationen haben die Hersteller vor allem von Konsumartikeln die starke Kommunikationswirkung von Verpackungen längst erkannt. Bei vergleichbarem Preis und ähnlicher Qualität entscheidet vor dem Supermarktregal häufig der sogenannte "Greifreflex" – und über den bestimmt in hohem Maße das Aussehen der Verpackung. Getrieben wird der Markt zudem vom Trend zu immer kleineren, aufwendig gestalteten Packungen, häufig veredelt durch spezielle Haptik- oder Glanzeffekte. Auch der e-Commerce-Boom trägt einen guten Teil zum Wachstum bei: jedes verschickte Produkt ist verpackt – und jede Verpackung in irgendeiner Form bedruckt.
Die Heidelberger Druckmaschinen AG folgt diesem Trend schon seit Jahren und richtet den Fokus immer stärker auf den Verpackungsdruck. Heute macht das Unternehmen rund die Hälfte seines Umsatzes mit Bogenoffset-Druckmaschinen, die auf die speziellen Anforderungen dieses Segments zugeschnitten sind. "Für Verpackungsdrucker sind wir weltweit der wichtigste Partner", erklärte Firmenchef Rainer Hundsdörfer kürzlich anlässlich der (virtuellen) Hauptversammlung. Für das Bedrucken von Faltschachteln, Kartons oder Etiketten liefere Heidelberg so viele Druckwerke wie alle seine Wettbewerber zusammen.
"2008 war unsere Investition die absolut richtige Entscheidung zum komplett falschen Zeitpunkt", blickt Firmenchef Walfort zurück. Zwölf Jahre später schien sich die Geschichte zu wiederholen. Dem prosperierenden Mediahaus Ahaus, inzwischen ein fast reiner Verpackungsdrucker, war die Maschine aus Wiesloch zu klein geworden. Die Druckerei zählte mittlerweile 80 Mitarbeiter, der Umsatz lag bei rund 6 Millionen Euro.
Nach vielen Diskussions- und Strategierunden entschieden sich Jan Hendrik Walfort und seine Führungsmannschaft für die Neuanschaffung einer Druck- und einer Stanzmaschine im Gesamtwert von 4,5 Millionen Euro. Der Löwenanteil, nämlich rund 3 Millionen, entfiel dabei auf eine Heidelberg Speedmaster XL 106 mit sechs Farben und einem Lackwerk. Ein "Trümmer", wie Walfort sie nennt: 22 Meter lang, sechs Meter breit, drei Meter hoch, 72 Tonnen schwer.
Arnd Westermann, Produktmanager bei Heideldruck, nennt sie lieber die "intelligenteste und automatisierteste Speedmaster aller Zeiten". Die XL 106 der neuesten Generation verfügt über zahlreiche Komponenten speziell für den Verpackungsdruck. Bis zu 18.000 Bogen in der Stunde flitzen durch die Maschine, fünf pro Sekunde. Dank einer Sonderausstattung lassen sich Kartons mit einer Stärke bis zu 1,6 Millimeter bedrucken. Es war die erste Maschine dieser Art aus dem Neuheitenprogramm von Heidelberg, das eigentlich im Juni auf der Branchenleitmesse drupa hätte vorgestellt werden sollen. Hatte da nicht Corona einen Strich durch die Planung gemacht: die Messe fiel aus.
Kaum war die Maschine geliefert, installiert und in Betrieb genommen, legte die Corona-Pandemie nahezu schlagartig die deutsche Wirtschaft lahm. Wie schon zwölf Jahre zuvor bekam Jan Hendrik Walfort auch diesmal – wie viele andere Unternehmer – wieder kurzzeitig Schnappatmung. Recht schnell aber konnte er wieder erleichtert durchatmen. "Bei Kunden, deren Produkte an den Fachhandel gehen, sah es zwar düster aus", bilanziert Verkaufsleiter Markus Bröker. "Bei Kunden dagegen, die den Lebensmittelhandel und hier vor allem Discounter beliefern, hat es während des Lockdowns förmlich geboomt." Und diese Kundengruppe fiel merklich ins Gewicht: Trotz Corona und des Anlaufs der neuen Maschine wuchs der Druckerei-Umsatz im ersten Halbjahr 2020 um rund 5 Prozent. Für das Gesamtjahr ist der Firmenchef entsprechend optimistisch.
Setzt auf Drucktechnologien von Heideldruck: Jan Hendrik Walfort. Foto: Pfennig