Nach dem 2:1 gegen Hertha ist für die TSG 1899 Hoffenheim der Klassenerhalt greifbar nahe
Ehe Hopp das traditionelle "Zicke-zacke-hoi-hoi-hoi" mit den "Nagelsmännern" in der Kabine intonierte, sagte er mit fester Stimme: "Ich bin sehr erleichtert.

Hoch ins obere Eck: Fabian Schär (2.v.r.) köpft zum 1:1 für "Hoffe" aus abseitsverdächtiger Position ein. Berlins Torhüter Rune Jarstein hat keine Abwehrchance. Foto: APF
Von Joachim Klaehn
Sinsheim. Es ist schon eine ganze Weile her, dass Hoffenheims Mehrheitsgesellschafter Dietmar Hopp in der Mixed Zone kurz stehen blieb, um einen Plausch mit den Medienvertretern zu halten. Diesmal aber schien der Boss und größte Fan des Kraichgauklubs dies für angemessen zu halten. Nach dem 2:1 (1:1) über Hertha BSC Berlin huschte ein entspanntes Lächeln über sein Gesicht. Ehe Hopp das traditionelle "Zicke-zacke-hoi-hoi-hoi" mit den "Nagelsmännern" in der Kabine intonierte, sagte er mit fester Stimme: "Ich bin sehr erleichtert. Aufgrund der Ergebnisse von Bremen, Augsburg und Darmstadt war der Sieg heute gegen Berlin sehr wichtig."
Nach dem vierten Dreier im fünften Heimspiel unter Jungtrainer Julian Nagelsmann zweifelt fast keiner mehr am Klassenerhalt der TSG 1899, doch Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Noch ist vieles denkbar, selten in der Bundesliga-Historie betraf das Abstiegsdrama acht oder neun der insgesamt 18 Teams. Also wurde Hopp rhetorisch gefragt, ob die Rettungsmission somit quasi gelungen sei? "Nein, aktuell war’s das noch nicht. Noch ein Sieg, dann müsste es eigentlich reichen", gewährte Hopp einen Einblick in seine persönlichen Rechenspiele, die den Blick auf den ersten direkten Abstiegsrang implizieren, "wir haben uns von Frankfurt abgesetzt - Gott sei Dank!" Symbolisch faltete er dabei die Hände und richtete seinen Blick für einen Wimpernschlag nach oben. Ein kleines Dank- oder Stoßgebet in andere Sphären.
Der 75-jährige Hopp hat - Stand Mitte April - wie alle "Hoffe"-Fans eine turbulente und nervenaufreibende Saison erlebt. Viele enttäuschende Resultate, zwei Trainerwechsel, eine Trennung auf höchster Geschäftsführer-Ebene, und bereits seit dem Erstliga-Aufstieg 2008 jede Menge Kritik gegen den Entwicklungsverein - das nagt am Patron. So auch am Samstag vor offiziell 27 745 Augenzeugen in der Rhein-Neckar-Arena. Wüste Schmähungen der rund 2 000 Hertha-Anhänger gab’s in der 52. Minute und nach Spielschluss. Hopp ließ das nicht kalt, emotionalisiert meinte er: "Das war die richtige Antwort auf dem Feld - für die. Unfassbar, dass solche Fans auch noch über einen Hedgefonds finanziert werden."
Die Hoffenheimer Mannschaft feierte lange auf der gegenüberliegenden Seite mit ihren Getreuen. Siegtorschütze Mark Uth (85.) wurde zum Zaunkönig, während Nagelsmann als stiller Genießer und stolzer Beobachter abseits der kollektiven Orgie einen kräftigen Schluck aus einer Wasserflasche nahm. Die Serie von Nagelsmann wird langsam unheimlich, aus zehn Spielen hat das Team 20 Punkte gesammelt. Bei aller Euphorie bleibt der Architekt jener sagenhaften Aufholjagd jedoch realistisch. "Da unten bleibt es kuschelig. Vor dem Kamin ist kuschelig schön - in der Tabelle ist kuschelig aber eher ungünstig."
Nach den drei Toren von Niklas Stark (26.), Fabian Schär (33.) und Mark Uth (85.), allesamt resultierend aus Standardsituationen, war Nagelsmann rundum zufrieden. "Hoffe" hatte ein Topteam in die Knie gezwungen. Mit Kompaktheit, Entschlossenheit, Kampfgeist, solidem Ballbesitz, Spielglück - und diesmal sehr viel Geduld gegen eine bestens organisierte Hertha. "Jeder Sieg ist für uns psychologisch wichtig. Heute war auch die fußballerische Leistung klasse", strahlte Nagelsmann.
In zweierlei Hinsicht betätigte sich Nagelsmann in einer "kuscheligen" Journalistenrunde als Hobby-Mathematiker, zumal seine "Jungs" eine bislang eher verkümmerte, versteckte Stärke ans Tageslicht brachten. "Wir haben heute ausnahmsweise gute Standards getreten", sagte er, "es ist ja so, dass generell 33 Prozent aller Tore durch Standards passieren." Nagelsmann plauderte anschließend aus dem Nähkästchen: Wie schwierig diese Komponente, erst recht in einer akuten Abstiegsgefahr, zu trainieren sei; wie Nadiem Amiri aus eigenem Antrieb in der vergangenen Woche Zusatzschichten in Sachen Ecken und Freistöße eingelegt habe.
Unterm Strich freilich sprach Nagelsmann über den "wesentlich wichtigeren Faktor Gier" sowie über eine "mentale Stabilität des Teams". Mit Nagelsmann und der TSG-Erfolgsserie ist alles peu à peu gewachsen. "Julian hat uns gut im Kopf erreicht", bestätigte der herausragende Abwehrchef Niklas Süle, "wir haben einfach einen guten Lauf."
Wie sehr Mannschaft und Trainer brennen, ist sowohl auf dem Rasen als auch in den jeweiligen Analysen zu registrieren. Im feinen Unterschied zu Hopp sagte Nagelsmann forsch und megaehrgeizig: "Wir bleiben drin, wenn wir alle vier Spiele gewinnen." In eine ähnliche Kerbe schlug Schlitzohr Uth: "Wir haben gezeigt, dass wir eine Spitzenmannschaft schlagen können. Wir brauchen vor niemandem Angst zu haben."
"Hoffe" ist wieder wer in der Liga. Das spüren alle. Das Team tanzt, Nagelsmann packt die "Säge" aus, die Fans singen, Hopp jubelt in der Loge ausgelassen, Manager Alexander Rosen bleibt bis zum letzten Spielzug auf der Tribüne, und "Marga", die Gattin von Präsident Peter Hofmann, bearbeitet freudig ihre Pappklatsche, während Hertha-Keeper Rune Jarstein nach dem 2:1 von Uth wütend auf den Torpfosten einprügelt.
Die TSG ist kurz vor dem Ziel. Hopp wird wissen, wem er eine glückliche Wendung zu verdanken hat.