1899 Hoffenheim ist mitten drin in der Selbstfindung
Hoffenheims Duell mit dem VfL Wolfsburg entpuppt sich als ein 0:0 der besseren Art. Folgt am Dienstag in Darmstadt der erste Dreier?

Die erste von einem Dutzend guter Möglichkeiten: Der Hoffenheimer Nadiem Amiri (r.) scheitert in der vierten Minute an Koen Casteels (l.), Wolfsburgs neuem Stammkeeper. Foto: APF
Von Joachim Klaehn
Sinsheim. Jeder Suchende sucht doch primär nur das Gute. Was soll man nach einem 0:0 der besseren Art denn auch großartig herumkritisieren? Das dachten sich unisono die beiden Trainer der TSG 1899 Hoffenheim und des VfL Wolfsburg nach einer aufregenden Bundesliga-Partie, der nur eines fehlte: die Tore! "Heute war es ein ganz interessantes Spiel, ohne ein Spektakel zu sein", verwies TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann (29) darauf, dass seine Schützlinge deutlich mehr Stabilität als zuletzt beim irrsinnigen 4:4 in Mainz gezeigt hatten. "Ich bin mehr zufrieden als unzufrieden", sagte Amtskollege Dieter Hecking (52), "von der Spielanlage her haben wir im Vergleich zu den ersten beiden Spielen einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht."
Hintergrund
Baumann: Einfach top. Super Reflexe. Brachte die VfL-Stars Gomez und Draxler fast zur Verzweiflung.
Rudy: Umsichtig, ballsicher. Steht aber Hoffenheim auch als Kreativkraft im Mittelfeld gut zu Gesicht.
Süle:
Baumann: Einfach top. Super Reflexe. Brachte die VfL-Stars Gomez und Draxler fast zur Verzweiflung.
Rudy: Umsichtig, ballsicher. Steht aber Hoffenheim auch als Kreativkraft im Mittelfeld gut zu Gesicht.
Süle: Viel beschäftigt, früh verletzt. Danach erfrischender Auftritt im ZDF.
Bicakcic: Flatterte anfangs, steigerte sich aber dank seines Kämpferherzens.
Kaderabek: Seitenverkehrt aufgestellt. Man wünscht sich mehr Impulse.
Polanski: In der Abräumerposition vor der Viererkette. Wacker geackert.
Rupp: Einsatzfreudig. Der Lokalmatador konnte zu selten sein Offensivpotenzial ausschöpfen.
Amiri: Laufwunder im Aufwind. Einen pfeilschnellen Mann wie ihn braucht die TSG bei Kontersituationen.
Uth: Ihm fehlte leider das Glück des Tüchtigen. Zielte knapp - nach formidabler Rudy-Vorarbeit - am kurzen Pfosten vorbei.
Wagner: In der Sturmspitze ein "Tier". Er müsste häufiger mit präzisen Flanken versorgt werden.
Kramaric: Enttäuschte diesmal und übersah seine freien Mitspieler.
Vogt: Sehr zweikampfstark. Ließ als Süle-Ersatz nichts anbrennen.
Demirbay: Ordentliche Premiere. Erste Bewerbung für die erste Elf.
Szalai: Ohne Bewertung. jog
Tatsache ist: Beide Teams hatten jeweils 20 Torschüsse verzeichnet. Normalerweise reicht eine Vielzahl von hochkarätigen Gelegenheiten zu mehr. Doch ein "Teufelskerl" zwischen den Pfosten verhinderte dies. Der Hoffenheimer Keeper Oliver Baumann wurde in Sinsheim zum unumstrittenen Mann des Tages - eine glatte Eins für "Hoffes" Nummer eins. Baumanns Hauptwidersacher Mario Gomez lächelte, wenngleich etwas gequält, in den Katakomben des Stadions: "Das war so ein Tag, wo der Torwart alles rausfischt. Ich musste mindestens einen reinmachen." In insgesamt 236 Einsätzen für den FC Bayern und den VfB Stuttgart hat Gomez 138 Mal eingenetzt. Eine Quote, die er natürlich gerne bei den "Wölfen" aufrechterhalten würde.
Eine gewisse Eingewöhnungsphase muss neuen Kräften zugestanden werden. Nagelsmann spürt das und setzt deshalb dosiert auf die Neuzugänge. Bisher sind lediglich Sandro Wagner und Lukas Rupp für die Startformation gesetzt. Eine bewusste Maßnahme, Hoffenheims Cheftrainer will gerade neue Protagonisten nicht frühzeitig "verheizen", sondern schrittweise ans TSG-Spielsystem heranführen.
Vorgestern durften mit Kevin Vogt (45-minütiger Auftritt gegen Lepizig) und Kerem Demirbay zwei weitere Zugänge ran. Vogt (37.) kam für Niklas Süle, der nach einem heißen Strafraumduell mit Gomez wegen einer Beckenprellung passen musste. Demirbay (66.) ersetzte den mitunter zu eigensinnigen Kroaten Andrej Kramaric und brachte bei seinem 1899-Debüt frischen Schwung auf den Rasen. "Der Trainer entscheidet. Ich vertraue ihm da hundertprozentig", sagte Demirbay über die Qual der Wahl von Nagelsmann, "wir haben einen großen, starken Kader. Irgendeinen muss es halt erwischen."
Zu den Eckpfeilern der Nagelsmannschen Fußballphilosophie zählen Personalrochaden und taktische Finessen, jeweils angepasst an die Fähigkeiten des Gegners. Gegen die hoch veranlagten Individualisten der Wolfsburger entschied sich der innovative TSG-Trainer für den lauffreudigen Nadiem Amiri im Mittelfeld, zog somit Sebastian Rudy nach rechts und Pavel Kaderabek nach links hinten, womit er mehr Ballsicherheit und Kompaktheit erreichen wollte. Dass ein Rechtsfuß links agiert, hält Nagelsmann für normal: "Auch ein Philipp Lahm hat Jahre lang auf der vermeintlich falschen Seite gespielt."
Der Schockmoment schlechthin war das vorzeitige Aus von Süle. Der lange Innenverteidiger hatte sich im Sechzehner mit Gomez verhakt (31.). Gomez wertete die Blessuren als Indikator für einen ihm verweigerten Strafstoß ("Das ist symptomatisch: Er muss mit einem Hüftschaden raus und meine Pobacke ist doppelt so dick wie vorher"), Süle hingegen widersprach im "Aktuellen Sportstudio" des ZDF energisch: "Ich weiß wirklich nicht, wo man da Elfmeter pfeifen muss."
Süle ist hoffnungsfroh, am Dienstagabend (20 Uhr/Sky) im kniffligen Auswärtsmatch bei Darmstadt 98 wieder eingreifen zu können. Für "Hoffes" Statik wäre dies enorm wichtig, wenngleich Kevin Vogt den Innenverteidigerjob gegen die Niedersachsen ohne Fehl und Tadel erledigte.
Insgesamt fällt eine Einschätzung des Hoffenheimer Leistungsvermögens und einer idealtypischen Aufstellung momentan noch reichlich schwer. "Eine Entwicklung einer Mannschaft ist ja nicht am dritten Spieltag vorbei", bemerkte Nagelsmann mit leichtem Sarkasmus.
Den offiziell 23.295 Augenzeugen - realistisch betrachtet waren unter 20.000 Zuschauer in der Arena - war nicht entgangen, dass die neu zusammengestellte Profitruppe des Dorfvereins noch mitten drin in der Selbstfindung steckt. Vor allem Nagelsmann selbst sucht das beste System und die besten Spieler dafür. Gar nicht so einfach, Typen wie Vargas, Hübner und Co. bei Laune zu halten.
Ein 2:2 gegen Leipzig, 4:4 gegen Mainz und 0:0 gegen Wolfsburg machen zweifellos Appetit auf mehr. Morgen in Darmstadt sollte allerdings der erste Dreier gesucht und gefunden werden.