RNZ-Forum Heidelberg

Gerda Tschira hatte ein bewegtes Leben (plus Video/Podcast)

Die 84-Jährige begeisterte beim RNZ-Forum im Theater. Mit Herz und Humor erzählte sie von ihrer Arbeit als Stifterin.

17.06.2025 UPDATE: 17.06.2025 20:00 Uhr 4 Minuten, 18 Sekunden
Die Chemie stimmte zwischen der Stifterin Gerda Tschira und RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel auf der Bühne des Heidelberger Theaters. Screenshot: Reinhard Lask

Von Benjamin Auber

Heidelberg. Auf Tuchfühlung mit einer bemerkenswerten Mäzenin. In einem inspirierenden Gespräch mit RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel gewährt die Museumsgründerin und Heidelberger Mäzenin Gerda Tschira Einblicke in ihr bewegtes Leben, ihre vielfältigen Projekte und ihre unermüdliche Leidenschaft für Kultur, Wissenschaft und soziale Gerechtigkeit.

Mit ihrer charmanten Art, ihrer Lebensfreude und einem großen Herz für die Gemeinschaft zeigt sie beim RNZ-Forum, wie man auch im höheren Alter (frische 84) noch voller Tatendrang die Welt ein bisschen besser machen kann.

 

Geboren in Göttingen, wuchs Gerda Tschira in einer Zeit auf, die geprägt war von Krieg und Flucht. "Ich hatte keine Eltern im klassischen Sinne", erzählt sie offen. Ihr Vater fiel in den letzten Kriegstagen. Ihre Mutter, die Tschira als tapfer beschreibt, zog mit ihr und den Geschwistern nach Nordhessen, um vor den Kriegswirren zu fliehen.

Trotz aller Widrigkeiten prägten sie vor allem die Fürsorge ihres Großvaters, der für sie wie ein zweiter Vater war. "Er hat mich sehr geliebt und ich habe immer gedacht, er ist mein Ein und Alles", erinnert sie sich. Ihre Wurzeln im badischen Odenwald und Nordhessen prägten sie. Die Liebe zur Natur und zum Wandern ist ihr bis heute geblieben.

Nach ihrer Schulzeit in Karlsruhe, wo sie eine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin absolvierte, lernte sie als 15-Jährige ihren späteren Ehemann Klaus Tschira (damals 18) kennen – auf ungewöhnliche Weise: bei den Mormonen, wie sie erzählt. "Das war eine schöne, aber auch spannende Geschichte", sagt sie mit einem schelmischen Grinsen.

Gemeinsam zogen sie nach Karlsruhe, heirateten und gründeten eine Familie. Trotz bescheidener Anfänge mit Möbeln, die sie selbst gebaut hatten, und einem schlichten Haushalt bewahrte sie stets den Blick für das Wesentliche: Bildung, Kultur und soziale Verantwortung.

"Wir waren arm wie die Kirchenmäuse", beschreibt sie die Anfangszeit. Doch ihre gemeinsame Leidenschaft fürs Kochen gab ihr Halt. "Kartoffelsalat nach badischer Art ist mein legendäres Gericht", verrät sie. Den "German Potato Salad" liebt auch ihre Schwester, die in Kanada lebt. Tschirabesucht sie einmal im Jahr. Diese Liebe zum Kochen und Teilen hat sie auch an ihre Kinder und Enkel weitergegeben.

Im Jahr 1972 wagte Klaus Tschira den großen Schritt: Zusammen mit Hasso Plattner, Dietmar Hopp und anderen gründete er die Softwarefirma SAP – damals noch in Weinheim. Für Gerda war das eine mutige Entscheidung, die viele Nerven kostete.

"Ich habe versucht, meinen Mann davon zu überzeugen, dass das kein guter Weg ist", erinnert sie sich. Doch der widersprach seiner Ehefrau. "Das war ein einziges Mal, aber in diesem Fall war es gut so", zitiert diese ihren Mann. Später war sie stolz auf dessen Erfolge und die Entwicklung von SAP, das ja bis heute weltweit erfolgreich ist.

Tschira plauderte gern aus dem Nähkästchen und Welzel entlockte ihr geschickt auch einige Geheimnisse. Etwa dieses: Als fast alle Ersparnisse langsam aufgebraucht waren, bestückte Hopp einen Besprechungsraum in Mannheim mit teuren Ledersesseln. Das Motto: "Wir sind keine kleine Klitsche."

Oder, dass die SAP-Gründer zu Beginn mit einem überdimensionalen Atlas "bezahlt" wurden, Geld floss erst viel später. Auch sehr eindrücklich waren die Erzählungen rund um die Villa Bosch und den liebevollen Aufbau des Carl-Bosch-Museums, das sie mit Herzblut vorantrieb und sich so dem Leben des Chemie-Nobelpreisträgers und BASF-Managers akribisch näherte.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2015 übernahm Gerda Tschira zunehmend Aufgaben in den von ihm initiierten Stiftungen – insbesondere in der Klaus Tschira Stiftung, die sich der Förderung von Naturwissenschaften verschrieben hat. Doch dabei beließ sie es nicht: Mit wachem Geist erweiterte sie das Spektrum um kulturelle und soziale Projekte, die ihr am Herzen liegen.

Sie gründete die ODWIN-Stiftung, deren Name eine liebevolle Reminiszenz an ihren Mann ist. Klaus Tschira wusste nämlich viel, aber nicht alles. Und so war stets sein Spruch: "Oh, Des Weiß I Ned." Der wohl kreativste Stiftungsname der Republik, wie der aufmerksame Welzel lächelnd bemerkte.

"Ich wollte nicht einfach nur verwalten, ich wollte gestalten", betont Tschira mit Nachdruck. So entstanden in den Folgejahren zahlreiche Initiativen, darunter Bildungsprojekte für benachteiligte Kinder, die Unterstützung von alleinerziehenden Müttern, aber auch Programme zur Erhaltung regionaler Kulturgüter. Oft liest Gerda Tschira in der RNZ über Projekte, für die sie sich begeistern kann. Darunter der Wasserturm in Ladenburg oder die Jugendherberge auf dem Dilsberg. "Die Projekte suche ich komplett selbst aus", sagt Tschira selbstbewusst.

Es gibt Menschen, die durch Lautstärke auffallen – und es gibt Menschen wie Gerda Tschira. Sie verändert die Welt mit einem Lächeln, mit einem warmen Händedruck, mit echtem Interesse an ihrem Gegenüber. Ihre Revolution ist leise, aber wirksam. Sie findet in Klassenzimmern statt, in Forschungslaboren und in kleinen Kulturhäusern, – und in der Art, wie sie zuhört. "Ich kann nicht alles ändern", sagt sie zum Abschied. "Aber ich kann helfen, dass sich etwas bewegt." So endete ein überaus harmonischer Abend, weil die Chemie zwischen Tschira und Welzel einfach stimmte. Das Publikum bedankte sich mit einem starken und warmen Applaus.



Die Zitate des Abends

Im Zusammenspiel mit RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel war Mäzenin Gerda Tschira um schlagfertige Zitate nicht verlegen. Eine kleine Auswahl:

Gerda Tschira...

> ...über ihre Kindheit:  "Aus Sicht von Hessen ist Niedersachsen das feindliche Ausland."

> ...über badische Begrifflichkeiten: "Badener, nicht Badenser."

> ...über die Kochkünste ihres Mannes: "Am Anfang kochte er immer Spaghetti mit Tomatensoße – aber ohne Päckchen. Nach ein paar Wochen musste ich ihm sagen: bitte ’nicht immer Spaghetti’."

> ... über gemeinsame Scrabble-Abende: "Beim Scrabble hat Klaus versucht, zu schummeln, und einfach Wörter erfunden. Dann habe ich den Duden gezückt."

> ...über das Leben zu Hause: "Auf meine Werkzeuge habe ich immer Wert gelegt, aber sie wurden mit der Zeit weniger. Mittlerweile verstecke ich meinen Werkzeugkasten."

> ...über die Anfänge bei SAP: "Die wollten, dass ich im Büro in Mannheim putze. Aber das habe auf keinen Fall gemacht, denn dann wäre ich den Job nie wieder losgeworden."

> ...über das Carl-Bosch-Museum: "Als leidenschaftliche Museumsgängerin habe ich mich gefragt, warum Museen immer montags geschlossen haben. Im Carl-Bosch-Museum ist deshalb am Donnerstag der Ruhetag."

> ...über Angebote für das Museum: "Jemand wollte mal ein altes verrostetes Fahrrad vorbeibringen. Da habe ich mir gedacht, dass wir doch kein Kruschtelladen sind."

> ...über ihr Selbstverständnis:  "Selbst ist die Frau."

> ...über ihre Stiftungsarbeit:  "Ich suche die Förderprojekte danach aus, dass möglichst viele Menschen davon profitieren können."

> ...über ihre Bauvorhaben: "Wir bauen nichts ohne Fahrstuhl, denn auch ältere Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, müssen einen Zugang haben."

"Die Architekten wollen sich immer selbst verwirklichen, aber da fahren die bei mir natürlich schlecht."

> ...über die RNZ-Weihnachtsaktion:  "Es freut mich sehr, wenn die Beträge des Tannenbäumchens steigen."

> ...über das Hopp-Kindertumorzentrum: "Hopp fehlte noch Geld (Anm. d. Red.: erst 5, dann 35 Millionen Euro), dann sind wir eingesprungen, weil es ein tolles Projekt ist. Mein Name steht nicht im Vordergrund, aber das ist mir nicht wichtig."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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