Heidelberg-Wahnsinn geht mit 95:90-Sensations-Sieg weiter (Update)
Die MLP Academics sind nicht zu stoppen. Weil sie nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben.

Von Nikolas Beck
München. Wie soll man eine Mannschaft besiegen, die nichts zu verlieren hat? Diese Frage stellt sich seit Sonntagabend auch der große FC Bayern Basketball. Der amtierende Champion, der Hauptrunden-Sieger, das EuroLeague-Team. Der Topfavorit auf den Titel, der in Spiel eins der Halbfinalserie zumindest für diese 40 Minuten seinen Meister fand. In den MLP Academics Heidelberg. In einer Mannschaft, für die sich alles, was sie seit nunmehr drei Wochen erleben darf, wie ein Bonus anfühlt.
Darin, da war sich Marcel Keßen nach dem sensationellen 95:90-Auftakterfolg im Münchner SAP Garden sicher, lag der Schlüssel für den Heidelberger Paukenschlag. "Wir sind wirklich ohne Druck ins Spiel gegangen, haben einfach unser Ding durchgezogen", sagte der 28-Jährige hinterher im Gespräch mit der RNZ genauso cool, wie er zuvor auf dem Parkett agierte hatte. Die ersten Heidelberger Punkte überhaupt im neuen deutschen Basketball-Mekka markierte der Center, der schnell zwei Dreier folgen ließ und sich neben seinen insgesamt 17 Punkten auch noch durch elf Rebounds auszeichnete.
Keßen machte den Anfang, Kapitän Ryan Mikesell die allermeisten seiner ebenfalls 17 Zähler in ganz entscheidenden Momenten – und als es zählte, zu Beginn des vierten Viertels siebenmal in Folge die Führung wechselte, liefen DJ Horne (26 Punkte/6 Dreier) und Michael Weathers (23/3) zur Hochform auf.
"Das war ein absoluter Teamerfolg", schwärmte Sportchef Alex Vogel einmal mehr von den vier "S", die gut genug waren für den sechsten Sieg aus den vergangenen sieben Partien: "Wir spielen mit Selbstvertrauen, Selbstverständnis und vor allem mit wahnsinnig viel Spaß, aber trotzdem der nötigen Seriosität."
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Keßen sah es ähnlich: "Es ist bereits Juni. Normalerweise wären wir seit drei Wochen im Urlaub. Aber ich glaube, wir haben einfach so viel Spaß innerhalb der Mannschaft, dass wir wollen, dass es niemals endet. Wir wollen, dass es einfach weitergeht."
Aber wohin soll die Reise dieser Academics denn noch führen? "Auch wenn wir einige Jungs vermissen und eine kurze Rotation haben ...", sagte Head Coach Danny Jansson, der abermals auf Osun Osunniyi und Mateo Seric verzichten musste, "... gibt es irgendetwas mit diesen sieben, acht Jungs, was einfach klickt und funktioniert."
Michael Weathers, der wie kein anderer sein Spiel in der entscheidenden Saisonphase auf ein noch höheres Level schrauben konnte, ist sich des historischen Ausmaßes des Heidelberger Höhenflugs durchaus bewusst. "Ich glaube, wir können aus dieser Saison etwas ganz Besonderes machen, etwas erreichen, was es in Heidelberg so schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat."
Alex Vogel will so weit noch nicht vorausblicken. Wenngleich die Münchner um Center-Koloss Devin Booker bangen, der vor der Halbzeitpause verletzt vom Feld humpelte, warnt der 34-Jährige mit Blick auf Spiel zwei, das am Mittwoch (20 Uhr/Dyn) im Heidelberger SNP Dome ausgetragen wird: "Die Bayern werden brutal physisch ins Spiel starten, mit einem ganz anderen Intensitätslevel als heute."
Umso wichtiger wird es sein, diese Physis anzunehmen und dagegenzuhalten. Aber dabei eben auch locker zu bleiben, nicht zu verkrampfen, im Moment zu leben. "Danny hat gerade schon noch mal betont, das wir das zweite Spiel nicht gewinnen müssen. Wir mussten die Partie heute auch nicht gewinnen", berichtet Keßen. Es seien bis zu fünf Begegnungen in der Halbfinalserie – "und mein Bauchgefühl sagt mir, wir werden auch über fünf Spiele gehen." Dass eine erneute Finalteilnahme zumindest kein Selbstläufer wird, wissen spätestens seit Sonntag auch die Bayern und ihr Weltmeister-Coach Gordie Herbert. Der gratulierte hinterher fair und bilanzierte: "Sie haben mit Selbstvertrauen agiert, wir haben bis zu einem gewissen Zeitpunkt nur so gespielt, nicht zu verlieren." Herberts Problem: Er trifft auf einen Gegner, der dagegen nur noch gewinnen kann.
Tatsächlich auch den Titel?
München: Lucic 22 (5 Dreier), Weiler-Babb 18 (4), Napier 14 (2), Harris 8, Obst 8 (2), Voigtmann 7 (1) Giffey 5 (1), Hollatz 4, Booker 2, White 2.
Heidelberg: Horne 26 (6), Weathers 23 (3), Mikesell 17 (3), Keßen 17 (2), Dibba 7, Zipser 5 (1), Ersek, O’Brien, Würzner.
Stenogramm: 10:7 (5.), 16:16 (8.), 23:23 (1. Viertel), 25:29 (13.), 31:35 (15.), 43:40 (18.), 48:45 (Halbzeit), 61:51 (25.), 63:62 (28.), 65:64 (3. Viertel), 72:77 (34.), 84:88 (38.), 87:93 (39.), 90:95 (Endstand).
Update: Sonntag, 1. Juni 2025, 20.43 Uhr
Von Nikolas Beck
München. Der Wahnsinn geht weiter! Die MLP Academics haben das schier Unmögliche möglich gemacht und die Halbfinal-Serie gegen den amtierenden Champion Bayern München mit einem Paukenschlag begonnen. 95:90 (45:48) hieß es am Ende für die Heidelberger, die in dieser Saison einfach nicht zu stoppen sind.
Auch nicht vom Branchenprimus. Auf zusammen 15 nationale Meistertitel kommen die beiden Gründungsmitglieder der Basketball-Bundesliga, der FC Bayern und die MLP Academics. Die Münchner haben vier ihrer sechs Titel seit 2014 geholt, die Heidelberger ihren bis dato letzten von neun 1977. Am Sonntagnachmittag trafen sich beide im neuen deutschen Basketball-Mekka, dem SAP Garden in München, zu Spiel eins der "Best of five"-Serie im Halbfinale.
Dort, wo die Münchner seit 2013 immer standen – und die Academics zum ersten Mal seit 50 Jahren. Auf dem Papier war’s also nicht unbedingt ein Duell auf Augenhöhe. Doch das Schöne in dieser aus Sicht der Heidelberger so historisch speziellen Saison: Den Jungs vom Neckar war das mal wieder ziemlich schnuppe.
"Wir fühlen uns richtig wohl in der Rolle des Underdogs", hatte Paul Zipser angekündigt. "Wir sind voll fokussiert und hauen alles rein." Gesagt, getan. Doch der Reihe nach: Jansson startete zum zweiten Mal hintereinander mit Kapitän Ryan Mikesell auf der Zwei sowie mit den nach wie vor in Abwesenheit von Osun Osunniyi beiden verbliebenen großen Jungs Marcel Keßen und Paul Zipser am Brett. Dazu Bakary Dibba und DJ Horne. Mehr Länge geht nicht mit diesem dezimierten Heidelberger Kader.
Dennoch sprach alles für die Hausherren von Weltmeister-Trainer Gordie Herbert. Zumal die Münchner vor allem von jenseits der Dreipunktelinie von Beginn an Feuer fingen. Nach dem vierten Dreier in den ersten fünf Minuten nahm Jansson eine Auszeit und erinnerte seine Schützlinge daran, was man sich vorgenommen hatte – und welche Sportart man ausübe. Basketball wolle er sehen, schimpfte der 45-Jährige, kein Handball.
"Er macht einen großartigen Job in Heidelberg", hatte Herbert sein Trainer-Pendant vor der Partie in höchsten Tönen gelobt. "Er denkt ,outside the box’, geht in einer Liga, in der normalerweise jeder jeden kopiert, unkonventionelle Wege." Wesentlich kreativer als er selbst sei Jansson, grinste Herbert.
Spätestens zu Beginn des zweiten Abschnitts war die Miene der Trainerlegende aus Kanada, die auch die finnische Staatsbürgerschaft besitzt, wesentlich ernster. Angeführt vom wieder einmal überragenden Michael Weathers, lagen die Heidelberger plötzlich vier Punkte in Front (29:25/13. Minute).
Weil sie kontinuierlich aufs Tempo drückten und mit bärenstarker Trefferquote von 55 Prozent aus dem Feld (darunter 8 von 14 Dreiern) die sieben Offensivrebounds und daraus resultierenden zweiten Chancen der Münchner egalisierten.
Der amtierende Champion ging zwar mit einer knappen Führung in die Kabine (48:45/Halbzeit). Das Momentum schien aber nach den ersten 20 Minuten eher auf Seiten der Heidelberger. Nicht nur, weil der Ex-Münchner Paul Zipser per wunderschönem Step-Back-Dreier vollendete und Marcel Keßen mit der Schlusssirene der ersten Hälfte seine Zähler neun und zehn markierte.
Sondern auch, weil die Roten, die weiterhin auf ihren Topstar Carsen Edwards verzichten müssen, eine Schrecksekunde durchlebten. Devin Booker, der Center-Koloss, verdrehte sich im Zweikampf mit Zipser zwei Minuten vor Ende der ersten Hälfte das rechte Knie und humpelte, gestützt von Betreuern und Teamkollegen vom Feld.
Dementsprechend bedient war auch Münchens Justus Hollatz im Pausen-Interview: "Es war so, wie wir es erwartet haben. Heidelberg will schnell spielen und wir haben nicht einen ihrer Fastbreaks gestoppt", ärgerte sich der 24-Jährige und gelobte Besserung für die 11.500 Zuschauer.
Doch die Heidelberger, bei denen DJ Horne Hälfte zwei mit drei Dreiern in Folge eröffnete, ließen sich auch von einem zwischenzeitlichen zweistelligen Rückstand nicht entmutigen (51:61/25.), kämpften sich durch einen 9:0-Lauf wieder ran.
Mit 64:65 aus Sicht der Gäste ging’s in den Schlussabschnitt – und fortan hin und her. Sieben Führungswechsel waren es alleine in den ersten drei Minuten der finalen zehn Minuten. Doch dann? Waren es tatsächlich die Academics, die sich absetzen konnten. Die nächsten beiden Dreier von Horne, es waren Nummer fünf und sechs, stellten auf 77:72 für die Academics (34.). Nicht nur die rund 250 aus Heidelberg mitgereisten Schlachtenbummler rieben sich jetzt verblüfft die Augen.
Als Ryan Mikesell auf 83:79 stellte, zog Bayern-Coach Herbert die Notbremse und bat seine Korbjäger zur Krisensitzung. 3:15 Minuten vor Schluss lag die Sensation in der Luft – und die Academics machten einfach weiter. Michael Weathers ließ es krachen, DJ Horne machte es mit viel Gefühl. Ab dann herrschte Schockstarre im Garden – und die pure Ekstase auf Seiten der Heidelberger. Wo soll der Academics-Wahnsinn denn eigentlich noch hinführen?
München: Lucic 22 (5 Dreier), Weiler-Babb 18 (4), Napier 14 (2), Harris 8, Obst 8 (2), Voigtmann 7 (1) Giffey 5 (1), Hollatz 4, Booker 2, White 2.
Heidelberg: Horne 26 (6), Weathers 23 (3), Mikesell 17 (3), Keßen 17 (2), Dibba 7, Zipser 5 (1), Ersek, O’Brien, Würzner.
Stenogramm: 10:7 (5.), 16:16 (8.), 23:23 (1. Viertel), 25:29 (13.), 31:35 (15.), 43:40 (18.), 48:45 (Halbzeit), 61:51 (25.), 63:62 (28.), 65:64 (3. Viertel), 72:77 (34.), 84:88 (38.), 87:93 (39.), 90:95 (Endstand).