Das hatte sich der Trainer der Löwen ganz anders vorgestellt: Kristjan Andresson (r.) blickte nach Abpfiff ins Leere. Foto: Steffen Hoffmann
Von Tillmann Bauer
Nürnberg. Kristjan Andresson stemmte die Arme in die Hüften, biss sich auf die Lippen und blickte ins Leere. In der Nürnberger Arena herrschte eine Stimmung wie im Festzelt, die Fans auf der Tribüne flippten förmlich aus, bejubelten das völlig überraschende 29:29-Unentschieden des HC Erlangen in der Handball-Bundesliga gegen die Rhein-Neckar Löwen. Und Coach Andresson stand mittendrin. Er war bedient.
Carsten Lichtlein, der Torhüter der Franken, befand sich nur ein paar Meter weiter. Er streckte seine langen Krakenarme in die Höhe und formte seine rechte Hand zu einer Faust - er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die Gemütslagen beider Akteure hätten kaum unterschiedlicher sein können.
Gefühlte Niederlage
"Wir sind so enttäuscht, dass wir hier nicht gewinnen konnten", sagte Andresson. Gerade war er aus der Kabine der Badener gekommen und hatte seine Ansprache gehalten: "Dieser Punkt fühlt sich wie eine Niederlage an." Weil es die Löwen nicht schafften, eine Drei-Tore-Führung, die sie sich noch fünf Minuten vor dem Ende herausgespielt hatten, über die Zeit zu bringen, mussten sie einen echten Dämpfer im Kampf um die Spitze einstecken. Erlangen feierte den Punkt dagegen wie einen Sieg.
Auch wegen Routinier Lichtlein, der zwar über die gesamte Dauer der Partie keine überdurchschnittlich gute Leistung zeigte, in der entscheidenden Phase aber zwei Siebenmeter von Uwe Gensheimer parierte. "Das zeichnet unsere Mannschaft dieses Jahr aus, denn wir geben nie auf, selbst wenn wir deutlich zurück liegen", sagte Lichtlein. Brisant: Löwen-Linksaußen Gensheimer hatte zuvor alle seine zwölf Würfe versenkt und schien unaufhaltbar.
Er als Leitfigur versuchte seine Kollegen nach jedem seiner Treffer etwas wachzurütteln. Er schrie, deutete immer wieder auf seine Brust und klatschte aufmunternd in die Hände. Hat dem Kapitän der Nationalmannschaft vielleicht etwas das Feuer gefehlt? "Klar ist, wenn wir so viele Zweikämpfe verlieren, dass wir einfach nicht aggressiv genug auf den Beinen waren. Deshalb habe ich schon versucht, die Jungs noch mal mitzunehmen", sagte der Publikumsliebling, der nun im zweiten Spiel in Folge 13 Mal traf und die Torschützenliste der Handball-Bundesliga mit mittlerweile 75 Treffern anführt. Nur ein Gensheimer alleine reichte diesmal nicht, um Erlangen zu schlagen.
Auffällig war, dass beim zweifachen Deutschen Meister vor allem die Durchschlagskraft aus dem Rückraum fehlte. Andy Schmid überzeugte zwar im Zusammenspiel mit dem Kreis, die beiden Neuzugänge Romain Lagarde und Niclas Kirkelokke waren aber zu ungefährlich, um Tore aus der zweiten Reihe erzielen zu können. Der 39-jährige Routinier Alexander Petersson, der angeschlagen nur auf der Bank saß, fehlte auf der rechten Seite - vor allem in der Abwehr - an allen Ecken und Enden.
Die löchrige Löwen-Defensive hatte zur Folge, dass sowohl Mikael Appelgren als auch Andreas Palicka in der ersten Halbzeit kaum einen Ball hielten. "Das tut schon weh", sagte Palicka. Eigentlich, so der schwedische Schlussmann, habe man das Spiel am Ende im Griff gehabt: "Dann haben wir es aber selbst verspielt. Wir verlieren unser Konzept und laden Erlangen zum Gegenstoß ein." Das, so Palicka, dürfe auf diesem Niveau nicht passieren. So hat man nach den Niederlagen in Flensburg und Melsungen nun bereits fünf Minuspunkte - genau wie eben diese beiden Teams - auf dem Konto.
Lediglich zwei Mannschaften der Liga mussten sich bisher erst einmal geschlagen geben: der Meisterschaftsfavorit aus Kiel und das Überraschungsteam aus Hannover.
Man kann sich also denken, dass wenn die Löwen bereits am Donnerstag (19 Uhr) in Hannover antreten müssen, nicht gerade eine leichtere Aufgabe auf sie wartet. Weitere Minuspunkte sollte man sich zum aktuellen Zeitpunkt der Saison wohl nicht erlauben.