Pfeile auf dem Boden, Absperrband an den Gerät: Im vereinseigenen Fitnessstudio der TSG Rohrbach trainierten vor der Corona-Pandemie täglich 500 Menschen. Seit der coronabedingten Schließung im November ist es allerdings menschenleer. Foto: Müller
Von Christoph Offner
Heidelberg. Es ist wenig los an diesem trüben Februarnachmittag im Herzen Rohrbachs. Ein paar Spaziergänger drehen ihre Runden, eine schwer beladene Paketbotin müht sich ab. Auf dem Parkplatz des FiTROPOLIS, dem Fitnessstudio der TSG Rohrbach, herrscht gähnende Leere. Vor der Corona-Pandemie stemmten dort täglich 500 Menschen Gewichte, spulten Kilometer auf dem Hometrainer ab und trainierten Bauch, Beine und Po. Die Pfeile auf dem Boden, die Absperrbänder an jedem zweiten Gerät und die im Raum verteilten Desinfektionsspender sind Relikte aus der Zeit, in der auch unter Pandemiebedingungen noch Sport getrieben wurde. Seit November aber sind die Türen des FiTROPOLIS geschlossen. Der größte Sportverein Heidelbergs mit 3200 Mitgliedern in 16 Abteilungen steht im zweiten Lockdown still. Oder etwa nicht? "Wer denkt, es gibt nichts zu tun, hat sich getäuscht", lacht TSG-Geschäftsführer Jochen Michel.
Jochen Michel. F: RitterVor allem administrative Aufgaben fallen an: neue Corona-Verordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Sport prüfen, Corona-Hilfen beantragen und den Kontakt zu den Mitgliedern halten. "Tatsächlich haben wir sogar mehr Arbeitsaufwand als vor der Corona-Pandemie", sagt Michel: "Für die aktuelle Situation gibt es keine Routinen, keine Blaupausen."
Eine Umfrage der Deutschen Sporthochschule Köln unter mehr als 20.000 Amateur- und Breitensportvereinen hat unlängst ergeben, dass 52 Prozent der Befragten in den nächsten zwölf Monaten eine existenzbedrohende Lage erwartet. Diese Angst gibt es bei der TSG Rohrbach nicht. "Wir zehren von unseren Rücklagen und davon, dass wir in den vergangenen Jahren gut gewirtschaftet haben", sagt der Vorsitzende Thomas Müller: "Aber die Unsicherheit bleibt." Wie viele andere Vereine, hat auch die TSG mit einem Mitgliederrückgang zu kämpfen.
Im Vergleich zum Vorjahr kehrten knapp 10 Prozent der Mitglieder – in Zahlen ausgedrückt 330 – dem Verein den Rücken. "Das Problem sind nicht die Austritte. Das Problem ist, dass wir keine Möglichkeit haben, neue Mitglieder zu gewinnen. Wir können seit vier Monaten kein Vereinsleben und nur eingeschränkt Sport anbieten. Das macht es sehr schwer", beklagt Michel. Dabei sind die ersten Monate des neuen Jahres traditionell die, in denen besonders viele Neueintritte zu verzeichnen sind.
Thomas Müller. F: RitterDie Perspektivlosigkeit nagt an den Verantwortlichen. Während Friseure ab März wieder öffnen dürfen und in der Politik auch über die baldige Öffnung des Einzelhandels diskutiert wird, liegt der Sportbetrieb brach. "Dabei haben die Sportvereine im vergangenen Jahr gezeigt, dass sie mit der Situation umgehen können und der Sport kein Pandemietreiber ist", sagt Müller. Man kann leicht den Anschein gewinnen, dass der Sport und seine Vereine von vielen Entscheidungsträgern nicht als systemrelevant betrachtet werden. Dabei kommt ihnen eine enorme gesellschaftliche Bedeutung zu. Sport kann integrieren, Sport kann inkludieren und Sport kann soziales Miteinander fördern.
Christoph Breuer, Sportökonom und -soziologe an der Sporthochschule Köln warnt deshalb eindringlich: "Je länger Sportvereine ihrem Zweck nicht nachkommen dürfen, desto schwächer wirken sie als stabilisierendes Element der Gesellschaft. Es geht viel sozialer Kitt verloren". Das sehen auch Müller und Michel so: "Es ist das Vereinsleben, das Miteinander, das uns auszeichnet." Den Kopf in den Sand steckt bei der TSG dennoch niemand: "Die Konzepte liegen in der Schublade. Wir werden zu 1 000 Prozent da sein, sobald wir wieder dürfen", sagt Michel, der sich im Klaren darüber ist, dass Sport pandemiebedingt in der nächsten Zeit vornehmlich unter freiem Himmel oder in Hybridformen stattfinden wird.
Bis es so weit ist, versuchen Michel und Müller andere, digitale Wege zu gehen. Auf ihrer Homepage bietet die TSG zwei Mal in der Woche ein Livetraining an, das aus dem FiTROPOLIS gestreamt wird. Gemäß dem Leitbild der TSG "Ein Sportverein für Alle", können auch Nicht-Mitglieder daran teilnehmen.
Am nächsten Morgen um 9.30 Uhr steht der Kurs Bauch, Beine, Po mit Trainerin Uschi an. Ich bin gespannt, was mich erwartet – normalerweise bin ich im Fitnessstudio eher bei den Gewichten anzutreffen. Ausgerüstet mit Yoga-Matte schalte ich mich zu.
Zur dröhnenden Zumba-Musik machen wir Kniebeugen, Ausfallschritte, Sit-Ups und noch mehr Kniebeugen. Nach einer guten halben Stunde fragt Uschi gut gelaunt in die Runde, ob alle noch fit seien: "Daumen hoch oder runter!" Während die anderen Teilnehmerinnen allesamt erhobene Daumen in die Kamera strecken, kauere ich – froh, dass meine Kamera aus ist – erschöpft auf der Matte. Eine weitere halbe Stunde später – ich spüre Muskeln, die ich noch nie zuvor gespürt habe – ist das Workout vorbei.
"Es ist toll, sich wenigstens zu hören und zu sehen. Dieses kleine Miteinander fehlt mir sehr", sagt Uschi. Auch die anderen Teilnehmerinnen stimmen der Trainerin zu: es habe "viel Spaß gemacht" sich auszupowern, der Kurs sei "eine schöne Abwechslung" im ansonsten eher "tristen Corona-Alltag", für den man die Arbeit im Home Office gerne "einfach mal stehen und liegen lässt".