"Ich würde den Pokal dem Jürgen Grabowski widmen"
Die Eintracht-Legende über spezielle Erinnerungen an den Uefa-Cup-Sieg 1980 und erstaunliche Parallelen zu dem Europa-League-Finale am Mittwoch.

Von Frank Hellmann
Frankfurt. Karl-Heinz Körbel hat mit Eintracht Frankfurt viele historische Abende erlebt. Der Dossenheimer ist nicht nur Rekordspieler, sondern auch Markenbotschafter und Leiter der Fußballschule bei der Eintracht. Der 67-Jährige spricht im Interview über spezielle Erinnerungen an den Uefa-Cup-Sieg 1980 und erstaunliche Parallelen zu dem Europa-League-Finale am kommenden Mittwoch (21 Uhr/RTL), wenn Frankfurt in Sevilla gegen die Glasgow Rangers um den Titel spielt.
Herr Körbel, vom Uefa-Cupsieg 1980 der Frankfurter Eintracht gibt es an einer Häuserfassade im Stadtteil Bockenheim ein riesiges Wandbild. Sie halten darauf den Pokal. Sind Sie mit dem Bild von einem Zusammenschluss künstlerisch versierter Fans namens "Frankfurter Farbe" eigentlich zufrieden?
Ich bin 2020 mit einer Hebebühne hochgefahren worden, um den letzten Pinselstrich zu machen – mit einer Sprühdose. Eigentlich wollten wir uns mit einigen Ehemaligen darunter immer mal zu Kaffee und Kuchen treffen, aber dann kam Corona. Ich stehe für dieses Treffen immer noch im Wort und wollte dazu mit dem Uefa-Pokal kommen – damals wusste ich noch nicht, dass ich jetzt vielleicht sogar die richtige Trophäe mitbringen kann (lacht).
War dieser Sieg im Uefa-Cup 1980 der schönste von Ihren fünf gewonnenen Titeln mit der Eintracht?
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Das schönste Erlebnis war für mich sicher das DFB-Pokalfinale 1975, wo ich erstmals richtig im Blickpunkt stand. Ich erzielte als junger Spieler gegen den MSV Duisburg das Siegtor. Ein Traum. Ich war gerade erst 20 – und schon der Pokalheld. Das habe ich damals gar nicht so gecheckt. Aber natürlich stehen die Uefa-Cup-Sieger in Frankfurt in einer Reihe mit der Meistermannschaft von 1959. Weil das für die Eintracht so selten passiert und nicht so ausgelutscht ist wie bei den Bayern, erinnert man sich bis heute daran. Ich bin diesmal nur froh, dass wir nicht wieder gegen eine deutsche Mannschaft spielen, sondern gegen die Glasgow Rangers.
Auf den Siegerbildern ist immer zu sehen, wie Sie sehr schnell den Pokal an den damals verletzten Jürgen Grabowski weiterreichen.
Das war so geplant! Wir wussten alle, wie er drunter leidet, nicht mitspielen zu können. Wir haben das Ding damals auch für den Jürgen gewonnen. Übrigens hat das David Abraham genauso gemacht, als er 2018 den Pokal an Alex Meier weitergereicht hat, der unter Niko Kovac nicht im Kader stand.
Viele Eintracht-Fans hegen bis heute einen Groll auf Lothar Matthäus, der im März 1980 beim Bundesligaspiel auf dem Bökelberg ein Foul beging, bei dem sich Grabowski jene Bänderverletzung einhandelte, auf die sein Karriereende folgte. Wie blicken Sie auf diesen Vorfall?
Ich komme seit den letzten Jahren prima mit dem Lothar aus. Wir telefonieren auch oft miteinander und daher weiß ich: Das mit ‚Grabi‘ bedrückt ihn heute noch! Er beteuert noch, dass es niemals Absicht war. Bei einem Treffen der Weltmeister ist Lothar mal zu ‚Grabi‘ hingegen und wollte sich entschuldigen – aber ‚Grabi‘ ist aufgestanden und hat Nein gesagt.
Wäre es für die Eintracht etwas Besonderes, so kurz nach Grabowski Tod das zweite Mal im Europapokal zu siegen?
Wir wünschen uns das alle. Ich hatte das Glück, 20 Jahre lang mit ihm zusammenzuspielen. Bernd Nickel, Bernd Hölzenbein und er – das war die Achse der Eintracht in all den Jahren. Ich habe als junger Spieler bis zum Ende unglaublich viel von jenen drei profitiert. Mein persönliches Anliegen ist, dass wir uns bei aller Euphorie an die Tradition dranhängen. Er hat die Eintracht mit seiner Art Fußball zu spielen verkörpert wie kein anderer. Das wissen ja heute nur noch die wenigsten, wie gut diese Generation war. Wenn wir den Pokal holen sollten, würde ich das auf jeden Fall dem Jürgen Grabowski und auch dem Bernd Nickel widmen.
Mit den erwähnten Spielern hatte sich Trainer Friedel Rausch überworfen.
Es hatte sich über all die Jahre kein Trainer, nicht mal Gyula Lorant, getraut, sich mit diesen Spielern anzulegen. Friedel Rausch war ein emotionaler Typ, und einmal nach einer schlechten Vorbereitung hatte er der Bild-Zeitung gesagt, es könne sein, dass ein Jürgen Grabowski oder Bernd Nickel mal auf der Bank sitzen – das war, übertrieben formuliert, für den Trainer tödlich. ‚Grabi‘ hat mit ihm ein halbes Jahr kein Wort geredet – der konnte wirklich nachtragend sein (lacht).
Es gibt eine Parallele: Damals wie heute war die Eintracht in Europa hui, in der Bundesliga pfui.
Ich war diese Saison manchmal sprachlos, wenn ich die Mannschaft gegen Fürth, Bielefeld oder Bochum gesehen und dagegen die Auftritte in der Europa League erlebt habe: dieselben Spieler, aber zwei Gesichter. Aber offenbar ist das einfach so. Das geschah auch beim DFB-Pokalsieg 1988: Wir hatten keine gute Saison gespielt, aber damit wurde alles übertüncht. Oder 2018: Da hat die Mannschaft im Endspiel gegen die Bayern alles reingeworfen und ist über sich hinausgewachsen so wie jetzt im Viertelfinale gegen Barcelona.
Was war bei dieser Traumreise durch Europa das prägendste Erlebnis?
Ich bin in London vor dem Halbfinale bei West Ham zum Fernsehinterview vor der weißen Wand an Fans vorbeigelaufen. Auf einmal hat mich einer erkannt und ‚Charly‘ Körbel gerufen – das ging dann zehn Minuten. Dort hat auch der Pokal bereits gestanden, es ist ja immer noch dieselbe Trophäe, die wir 1980 gewonnen haben. Ich habe sie in London getragen, das Ding war so schwer, das wusste ich gar nicht mehr. Die Szene haben auch Kevin Trapp und Martin Hinteregger gesehen. Es muss jetzt einfach klappen, dass sie den Pokal bekommen.
Was würde dem Verein dieser Titel bedeuten?
Dieser besondere Spirit für die Europa League wurde nicht von heute auf morgen geboren, sondern er ist mit den letzten Jahren gewachsen. Bei unserem Auswärtsspiel in Rom 2018 waren auf einmal 25 000 Eintracht-Fans dabei. Ich bin an jenem Morgen raus in die Stadt und dachte mir: Drehen wir hier einen neuen Film ‚Kampf um Rom‘? (lacht). Daher ist unvorstellbar, dass wir jetzt nur 10 000 Karten bekommen. Aber die Uefa konnte ja nicht damit rechnen, dass es zu solch einem Traditionsduell wie Frankfurt gegen Glasgow kommt.
Wer könnten denn in Sevilla die neuen Helden der Eintracht werden?
Das Paradebeispiel ist für mich Kevin Trapp. Wie er sich als Persönlichkeit entwickelt hat, ist bemerkenswert. Für mich geht kein Weg dran vorbei: Er ist momentan der beste Torwart in Deutschland. Wie er sich gibt, wie er mit der Mannschaft umgeht: Das ist eine ganz tolle Entwicklung. Und ich muss auch Sebastian Rode erwähnen: ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn beide Knie bei dir kaputt sind, aber wie er gegen Barcelona gespielt hat, das war Wahnsinn. Wir können auch über Tuta oder Rafael Borré reden. Einer wird jetzt hoffentlich zu einer neuen Legende, denn für uns als Verein wäre das die Krönung einer riesigen Entwicklung. Wir haben gerade zuletzt auch mit der Traditionsmannschaft einen unglaublichen Zuspruch erfahren. Ich bin jetzt 50 Jahre im Verein: So etwas wie jetzt habe ich noch nie erlebt!