Corona-Prävention

"Jeder kann etwas tun, um sein Immunsystem scharf zu stellen"

Kurt Mosetter rät dazu, die eigene physiologische Körperabwehr auf Trab zu bringen - Mit gesunder Ernährung, Sport und viel Schlaf

12.03.2020 UPDATE: 13.03.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 50 Sekunden
Prof. Dr. Kurt Mosetter: „Das Coronavirus regt alle zum Nachdenken an.“ Foto: privat

Von Frank Hellmann

Frankfurt. Der mit der Bundesliga vernetzte Arzt Kurt Mosetter empfiehlt, dass jeder Einzelne sein Immunsystem im Kampf gegen das Coronavirus scharf stellt: Neben einer gesunden Ernährung spielen guter Schlaf und sportliche Aktivität eine Schlüsselrolle.

Wann haben Sie zum ersten Mal bei den Meldungen zum Coronavirus gedacht, dass könnte jetzt für die Menschheit gefährlich werden?

Man wusste eigentlich mit der ersten Nachricht aus China, dass wir uns schnell um Menschen mit geschwächten Immunsystemen oder mit Immunsuppressionen kümmern mussten. Vor allem Menschen, die Schwachstellen haben, sind dem Coronavirus ausgeliefert. In den meisten Fällen verläuft die Erkrankung ganz milde. Viele merken es gar nicht. Wie sich diese Krankheit beschleunigt, hat man auch als Mediziner sicher nicht geahnt. Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht in zu kurzer Zeit zu viele Menschen krank werden.


Kurt Mosetter leitete das Zentrum für interdisziplinäre Therapie (ZiT) in Konstanz. Seit längerem ist der 55-Jährige eng mit Ralf Rangnick verbunden, den er bereits aus der Zeit bei der TSG Hoffenheim kennt. Mosetter baute ab 2015 die medizinische Abteilung bei RB Leipzig auf, wo er sich bis heute um personalisierte Ernährungsfragen, Mikronährstoffanalyse oder Darmgesundheit kümmert. Von 2011 bis 2016 war er unter Jürgen Klinsmann Teamarzt des US-Nationalteams. (fh)

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Mittlerweile scheint der gesamte Weltsport infiziert, es hagelt Absagen auf der ganzen Welt: In Deutschland findet nun erstmals ein gesamter Spieltag der Fußball-Bundesliga ohne Publikum statt. Ist das angemessen?

Ich hätte nicht gedacht, dass das notwendig ist. Aber es herrscht viel Unsicherheit, und die Vorsicht muss im Vordergrund stehen. Keiner möchte mehr etwas Falsches sagen oder tun, nachdem das Thema, auch medial, eine solche Fahrt aufgenommen hat. Ich halte es für nachvollziehbar, dass zum Schutz der anfälligen Personen die Fußballaktivitäten ins zweite Glied zurücktreten. Dazu braucht es aber auch eine positive Aufklärung, dass es schon deutlich dramatischere Erkrankungen gab, an denen viel mehr Menschen gestorben sind. So hoffe ich, dass auch bei uns in Europa die Welle abflacht, wenn wir uns achtsam verhalten.

Einige Verbände wollen mit Geisterspielen den Wettbewerb bis zum Ende durchziehen. Was ist im Fall, dass ein Spieler oder ein Mitglied aus dem "Staff" erkrankt? Dann hieße es doch sofort "game over", weil alle vorübergehend in Quarantäne müssten.

Absolut! Bei mir sind Mitarbeiter, die sich in Quarantäne befinden, weil sie in Südtirol Ski gefahren sind. Es wäre ein Wunder, wenn sich keine Sportler in nächster Zeit infizieren würden.

Hintergrund

Prof. Dr. Kurt Mosetter leitete das Zentrum für interdisziplinäre Therapie (ZiT) in Konstanz. Seit längerem ist der 55-Jährige eng mit Ralf Rangnick verbunden, den er bereits aus der Zeit bei der TSG Hoffenheim kennt. Mosetter baute ab 2015 die

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Prof. Dr. Kurt Mosetter leitete das Zentrum für interdisziplinäre Therapie (ZiT) in Konstanz. Seit längerem ist der 55-Jährige eng mit Ralf Rangnick verbunden, den er bereits aus der Zeit bei der TSG Hoffenheim kennt. Mosetter baute ab 2015 die medizinische Abteilung bei RB Leipzig auf, wo er sich bis heute um personalisierte Ernährungsfragen, Mikronährstoffanalyse oder Darmgesundheit kümmert. Von 2011 bis 2016 war er unter Jürgen Klinsmann Teamarzt des US-Nationalteams. fh

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Die Bundesligisten haben teilweise verfügt, dass die Spieler nicht mehr mit Fans oder Journalisten in Kontakt treten. Richtig oder falsch?

Das sind Maßnahmen, die gut umzusetzen sind. Alles was die Tröpfcheninfektion eindämmt – und das geschieht über den Kontakt mit Händen – ist hilfreich. Ich habe zuletzt mit RB Leipzig telefoniert, wo solche Prävention umgesetzt wird: Da sind alle Akteure mehrdimensional gesund, aber auf die Dauer lässt sich das Risiko einer Ansteckung nicht vollständig vermeiden.

Der Leiter der Medizinischen Kommission des Deutschen Fußball-Bundes, Tim Meyer, hat empfohlen, auf die Händehygiene zu achten und Abstand zu halten. Fällt Ihnen noch mehr ein, als fünf Mal am Tag zu waschen?

Das würde ich unbedingt sagen! Was kann man denn eigentlich tun: die eigene physiologische Körperabwehr auf Trab bringen. Die Evolution hat uns dazu einige Möglichkeiten mitgegeben, und dann kommen wir zum Lebensstil, wo jeder etwas tun kann, um sein Immunsystem gegenüber den Viren scharf zu stellen.

Sie plädieren dafür, den eigenen Körper als Schutzschild zu wappnen.

Auf jeden Fall. Unser Immunsystem hat verschiedene Aktionsspektren, mit denen es Viren bekämpfen kann. Um uns gegen Influenzaviren, zu denen auch Covid-19 gehört, zu schützen, müssen wir es stärken. Im Knochenmark werden die weißen Blutkörperchen gebildet, die sich als wichtige Fresszellen betätigen, wir haben den Vitamin-D-Rezeptor, der in allen Zellen sitzt. Dazu kommen die T-Killerzellen, die eine direkte Abwehr gegen Viren bilden. Wir haben auch noch spezielle zelluläre Virus Erkennungs-Bindestellen – "viral recognition" –, welche direkte Immunhormone zum Abtöten von Viren ausstoßen können.

Das klingt sehr wissenschaftlich. Wenn Sie es vereinfachen: Was braucht es, damit diese tollen Bekämpfer des bösen Virus im Körper aktiv werden?

Die einen benötigen Omega-Drei-Fettsäuren, die anderen Aminosäuren – wenn da jemand einen Mangel hat, ist es eine Katastrophe. Und wir brauchen in dieser Jahreszeit genügend Vitamin D. Bei vielen ist dieser Spiegel aber zu niedrig, gerade jetzt, wo die Sonne so wenig scheint. Man kann den Vitamin-D-Spiegel einfach messen lassen – und wenn er niedrig ist, kann man mit Tröpfchen oder Tabletten nachhelfen. Das ist günstig, leicht umsetzbar und wirkt schnell. Je weniger Vitamin D, desto größer ist die Anfälligkeit für eine Influenza.

Wird das bei den Vereinen beherzigt?

Von den Fußballklubs, mit denen ich mich auseinandersetze, wird genau darauf geachtet, dass der Spiegel von Aminosäuren und Vitamin D perfekt ist, damit auch die Regeneration funktioniert. Dann schläft man übrigens auch gut. In der Nacht etabliert sich die Immunabwehr. Also: früh ins Bett, am Abend kein Blaulicht am Smartphone und keine Sabotage mit Süßgetränken oder Alkohol. Die Dinge sind gar nicht so schwierig.

Und was sollen wir essen?

Die Ernährung ist unsere Medizin! Es gilt, viel Grünzeug, Gemüse und Obst zu essen, am besten frisch und regional zubereitet. Johannisbeeren, Himbeeren, Brombeeren oder Avocados helfen auch. Der Großteil der Immunabwehr wird aktiv aus dem Darm reguliert. Wer damit Probleme hat, sollte mit Ballaststoffen, Hülsenfrüchten, rotem, schwarze Reis, Buchweizen, Kichererbsen oder Linsen nachhelfen. Wenn der Darm zu sehr belastet wird, etwa durch zu viel Zucker, Weißmehl und Fett, auch Fertiggerichte und Konserven, dann funktioniert die Maschinerie nicht, weil das System nur verzögert auf die Viren reagiert.

Dann könnte man also sagen: Wir öffnen die Stadien wieder, verkaufen dort Linsensuppe, Quinoa und Hirsebrei statt Cola, Bier und Bratwurst und alles wird wieder gut.

(lacht). Das ist eine Teilwahrheit. Je mehr Menschen zusammentreffen, desto größer ist das Risiko, sich anzustecken. Aber noch mal: Man kann die Durchdringung mit dem Virus auch mit einer gesundheitsbewussten Lebensweise bekämpfen. Die meisten Menschen sind Träger des Herpes-Virus, aber nur wenige erkranken – und nur dann, wenn das Immunsystem in die Senke geht. Daher bekommen viele die Herpesbläschen nur im Winter. Sonne und frische Luft sind wichtig für unser Wohlbefinden. Neben Achtsamkeit ist Aktivität unverzichtbar.

Also lieber selbst Sport treiben statt Sport auf dem Sofa im TV schauen?

Es ist tatsächlich so, dass uns zuerst Lehrer in Asien gesagt haben, dass die Muskeln unser größtes hormonproduzierendes Organ sind. Das wollten wir nicht wahrhaben. Am Anfang waren nur wenige der so genannten Myokine, die Muskelhormone, bekannt, jetzt sind es mehrere Tausend. Das sind Alleskönner, die ausgeschüttet werden, wenn ich trainiere. Sie stellen die Immunzellen scharf, sie transportieren die Antikörper an den Ort des Geschehens. Deshalb hilft Sport, deshalb hilft Training. Die Effizienz ist groß, um unser Immunverhalten zu aktivieren. Sie brauchen aber Aminosäuren, deshalb ist ein Proteinshake vor und nach dem Sport gut.

Was bleibt, wenn das Coronavirus sich abgeschwächt haben sollte?

Wir müssen im Nachgang genau überlegen, wie hat die Politik reagiert, wie hat die Presse agiert, wie sinnvoll waren die Maßnahmen? Aber das lässt sich natürlich jetzt noch nicht abschließend beurteilen, sondern erst in drei Monaten, wenn sich das normale Leben wieder durchsetzt.

Das klingt so, als könnten Sie sich eine Austragung der Fußball-EM 2020 in ganz Europa vorstellen? Das geht doch nicht, wenn die Mannschaften und Tausende Fans quer durch ganz Europa fliegen müssen. Oder doch?

Ich hätte da einen Hoffnungsschimmer, aber die Tendenz sehen wir erst in sechs Wochen. Da stehen viele – auch wirtschaftlich brutale – Entscheidungen an; und ich beneide die politisch Verantwortlichen wirklich nicht! Ich glaube nicht an das Szenario einer verheerenden Pandemie – wie bei der Pest im Mittelalter –, weil es sich um kein hochaggressives Virus handelt. Bei den meisten Menschen wird die Infektion wie eine leichte Grippe verlaufen. Und auch bei uns ist die Anzahl der Erkrankten gemessen an der Bevölkerungszahl noch überschaubar.

Was sagt es, dass selbst der Fußball, der bislang gegen die meisten Krisensymptome immun schien, sich nicht von den Auswirkungen frei machen kann?

Ich glaube, dass das Coronavirus alle zum Nachdenken anregt. Wir sind anfälliger mit unserer Idee, ständig durch die ganze Welt jetten zu können – das betrifft mich übrigens auch. Wenn festgesetzte Ereignisse wie Olympische Spiele oder eine Fußball-EM auf der Kippe stehen, zeigt dass nur, dass alle anfällig sind.

Und diese Schlussfolgerung erdet auch den teils ungezügelt agierenden Profisport mit all seinen Auswüchsen?

Gerade einige junge Fußballstars sind dermaßen entglitten, dass sie kein gutes Beispiel mehr abgeben. Wir brauchen wieder Botschafter für Normalität, was passiert, wenn wir uns mit Fragen wie Lebensstil, Ernährung, Umgangskulturen, auch Eigenverantwortung auseinandersetzen müssen. Danach könnten wir über den Sport an die gesundheitlichen Probleme unserer Gesellschaft herankommen: Vier von zehn Kindern bis zur sechsten Klasse haben chronische Schmerzen, drei nehmen schon Medikamente, zwei sind stark übergewichtig. Vielleicht kann man im Anschluss an die Krise mit dem Sport gemeinsam darüber nachdenken, dass wir ein Jahr des Immunsystems und der gesundheitlichen Selbstfürsorge ins Leben rufen. Wir sollten alle mehr darüber nachdenken, wie man lebt, um gerade die nächste Generation für eine gesunde Lebensweise zu inspirieren.

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