Plus Eppingen

Mitglieder stehen im Mittelpunkt, nicht Renditen

Baugenossenschaft Familienheim feierte ihr 75. Jubiläum nach. OB Holaschke: "Gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden".

08.11.2022 UPDATE: 22.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 53 Sekunden
Frank Pitz (links), Geschäftsführender Vorstand der Genossenschaft, und Aufsichtsratsvorsitzender Wolf-Dieter Weidner (rechts) nahmen die Jubiläumsurkunde aus den Händen von Oberbürgermeister Klaus Holaschke in Empfang. Fotos: Armin Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen. In den 75 Jahren seit ihrer Gründung ist die Baugenossenschaft Familienheim Eppingen zu einer echten Großfamilie geworden: Rund 1000 lebendige Mitglieder gehören ebenso dazu wie die steinernen: Mehr als 2200 Eigentums- und weitere 325 Mietwohnungen sind seit der Gründung genossenschaftlich gebaut worden. Jetzt wurde das Gründungsjubiläum im Bürgerhaus "Schwanen" nachgeholt – mit überraschenden, neuen Erkenntnissen zum Gründungsvater Emil Thoma (siehe unten) und der Ehrung des langjährigen, vor wenigen Monaten in den Ruhestand gegangenen Geschäftsführers Anton Varga und dem nebenamtlichen Vorstand Reinhold Dick.

Seine "tätige christliche Nächstenliebe" hatte den Eppinger Stadtpfarrer Thoma zur Gründung der Genossenschaft veranlasst. Denn angesichts der immensen Zahl an Geflüchteten, Vertriebenen und Ausgebombten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kein Dach mehr über dem Kopf hatten, waren auch im damaligen Landkreis Sinsheim und in der Stadt Eppingen die Not und die Verzweiflung groß. Am 5. Februar 1947 gründeten Thoma und seine Mitstreiter im "Ochsen" in Sinsheim die "Neue Heimat"; es war eine der ersten Wohnbaugenossenschaften in Baden, wie Dieter Hoffmann, der stellvertretende Vorsitzender des Aufsichtsrats, in seinem historischen Abriss betonte.

OB Holaschke heftete Anton Varga die Ehrennadel des Landes ans Revers.

Bereits ein Jahr später wurde der Sitz der Genossenschaft nach Eppingen verlegt und dort, in der Adelshofer-Straße, das erste Reihenhaus gebaut – laut Hoffmann "mit einem ungewöhnlich hohen Maß an Eigenarbeit"; außerdem mit Holz aus dem Eppinger Wald und sogar mit Material von ehemaligen Bunkern, die auf dem Munitionsdepot in Siegelsbach abgerissen wurden. Nachdem 1950 das erste Wohnungsbaugesetz verabschiedet war und damit auch Finanzierungshilfen flossen, wurden in kurzem Abstand weitere familiengerechte Häuser und Wohnungen gebaut – außer in Eppingen unter anderem auch in Waibstadt, Steinsfurt, Bargen und Berwangen. Mindestens 500 Familien verdanken der Baugenossenschaft und Pfarrer Thoma ihren neuen Lebensmittelpunkt. Ab 1960 kam dann auch der Bau von Wohnungen hinzu. Diese werden seither "unter dem Verzicht auf Gewinnmaximierung" vermietet, betonte Hoffmann und dankte den "vielen sozial eingestellten Frauen und Männern", die an dieser Erfolgsgeschichte mitgeschrieben haben.

"Gäbe es die ,Familienheim‘ heute nicht, man müsste sie erfinden", würdigte auch Oberbürgermeister Klaus Holaschke die Genossenschaft, deren Mitgliederversammlung er als "Spiegelbild der Gesellschaft" bezeichnete. "Familienheim ist sozial, solidarisch und solide (aufgestellt)"; auch ihre älteren Mieter müssten keine Angst haben, "morgen vor die Tür gesetzt zu werden". Als Würdigung überreichte Holaschke eine Jubiläumsurkunde und als Symbol für das weitere Wachstum eine Zimmerpflanze: eine großblättrige Monstera.

Dann folgte ein ungleich kleineres, aber deutlich selteneres Symbol, das er dem ehemaligen Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden Varga an Revers heftete: die Ehrennadel des Landes Baden Württemberg – verbunden mit der Aufzählung von Vargas zahlreichen Verdiensten und Ehrenämtern, vor allem im sozialen Bereich, aber auch als Ortschaftsrat in Richen (seit 28 Jahren) und als Gemeinderat (seit 23 Jahren). Holaschkes Lob auf Vargas Fachwissen, seine enorme Einsatzbereitschaft und seine Fähigkeit, Menschen zu überzeugen und mitzunehmen, bekräftigten die Festgäste, indem sie aufstanden und dem sichtlich überraschten und gerührten Varga lange applaudierten.

Weitere Ehrungen überreichte Gernot Schober, Prüfungsdirektor beim Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (vbw): Für Varga hatte er die Goldene Ehrennadel des Verbandes dabei, für den nebenamtlichen Vorstand Dick die Silberne. Er erinnerte daran, dass Genossenschaften "aus schwierigen Zeiten kommen". Zuvor hatte er aufgezählt, was die heutige Zeit so schwierig und das Sparen und energetische Sanierungen so notwendig mache: "Wir sind dabei angewiesen auf Praktiker wie Sie", wandt er sich an das Familienheim-Team. Weitere Grußworte kamen von Karin Heil vom Siedlungswerk Baden und den beiden Eppinger Landtagsabgeordneten Georg Heitlinger (FDP) und Dr. Michael Preusch (CDU).

Frank Pitz, seit Jahresbeginn der neue Geschäftsführende Vorstand der Genossenschaft, verdeutlichte, dass Familienheim vor großen Herausforderungen und Millionen-Investitionen stehe, vor allem in die energetische Sanierung ihrer Gebäude im Rahmen eines Klimaprogrammes. Dazu brauche es stabile Rahmenbedingungen seitens der Politik. Abschließend versicherte er: "Die Mitglieder, nicht die Renditen, werden auch künftig im Mittelpunkt stehen."

Für den klangvollen Rahmen der Feier ließ das Orchester der Musikfreunde Eppingen sanft die Saiten schwingen.


Pfarrer Emil Thoma wurde von den Nazis zwar vier Jahre lang im Konzentrationslager Dachau gefangengehalten und misshandelt, entgegen der bisherigen Annahme war dies aber offenbar nicht der (alleinige) Grund für seinen schlechten Gesundheitszustand. Das legen Nachforschungen nahe, über die der katholische Pfarrer und Heimatforscher Manfred Tschacher bei der Jubiläumsfeier berichtete. Seinen Erkenntnissen zufolge habe die katholische Kirchengemeinde dem 1945 aus dem KZ entlassenen Thoma "sehr große Schwierigkeiten bereitet". Tschacher sprach von einer "übelsten Verleumdungsgeschichte", die 1948 schließlich zur Versetzung Thomas nach Rheinfelden-Warmbach geführt und Thoma sehr mitgenommen habe. Daher hatte der Pfarrer auch nicht an der Einweihung des ersten Familienheim-Hauses teilnehmen können. Thoma gab aber nicht auf, sondern gründete auch an seinem neuen Wirkungsort eine Baugenossenschaft. Er starb 1957 in Eppingen.

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