Sinsheim

War Drogendeal nur ein Aussage-Deal mit der Polizei?

Freispruch vor dem Amtsgericht: Am Ende konnte sich keiner mehr richtig erinnern, was am Steinsfurter Bahnhof passiert war.

14.05.2021 UPDATE: 15.05.2021 06:00 Uhr 1 Minute, 46 Sekunden
Das Amtsgericht in Sinsheim. Foto: Barth

Sinsheim. (bju) "Eine Zigarette? Lohnt sich nicht", sagte Richterin Bärbel Hönes noch zum Anwalt des Angeklagten, bevor sie zur Urteilsfindung in den Nebenraum des Sitzungssaals ging. Weit kürzer als eine Zigarettenlänge danach sprach sie den 35-Jährigen im Amtsgericht Sinsheim vom Vorwurf des gemeinschaftlichen vorsätzlichen Erwerbs von Betäubungsmitteln frei.

Damit folgte die Richterin dem Antrag der Verteidigung, der Freispruch aufgrund der "sehr dünnen Beweislage" gefordert hatte. Die Staatsanwältin hatte zuvor 90 Tagessätze zu je 50 Euro gefordert und unter anderem die glaubhaften Zeugenaussagen der Polizeibeamten, eine Vorstrafe wegen unerlaubten Entfernens von einem Unfallort unter Alkoholeinfluss sowie den früheren Konsum von weichen Drogen angeführt.

Wesentlich langsamer als das Urteil war Hauptbelastungszeuge B. im Gericht erschienen, der für 90 Minuten Unterbrechung sorgte, angeblich weil er keine Vorladung erhalten hatte. Weil die Polizei ihn zu Hause nicht angetroffen hatte, musste der Mann an seinem Arbeitsplatz ausfindig gemacht werden. Der 31-jährige Facharbeiter für Lagerlogistik war ein ehemaliger Arbeitskollege des Angeklagten und war Mitte vergangenen Jahres in der Justizvollzugsanstalt Mannheim untergebracht.

Dort soll B. nach Aussage eines Polizeibeamten den Angeklagten während einer Vernehmung beschuldigt haben, von diesem gemeinsam mit einer weiteren, nicht eindeutig identifizierten Person zwei Mal je 50 Gramm Marihuana für je 425 Euro am Steinsfurter Bahnhof gekauft zu haben. "Ich hatte das Gefühl, dass B. dieses Kapitel beenden wollte", erinnerte sich der Beamte. Aufgrund der Aussage von B. gab es eine Hausdurchsuchung bei dem 35-Jährigen.

"Der Angeklagte zeigte sich kooperativ", sagte ein weiterer Polizist, und habe auf frühere Konsumutensilien für Drogen hingewiesen, die er aber "nicht mehr benutzen" würde. Gefunden wurden "Crusher" mit "Abreibungsrückständen" von Marihuana und eine Feinwaage. "Erinnerungsstücke aus meiner früheren Zeit", lautete die Aussage des Angeklagten, der vor seiner Vaterschaft "ab und zu auf Partys" Joints geraucht habe. Marihuana habe er selbst nie gekauft, sondern es immer von Freunden geschenkt bekommen – "großzügige Freunde" kommentierte die Richterin lakonisch. An die Feinwaage, die im Schlafzimmer lag, habe er gar nicht mehr gedacht. Auch auf dem sichergestellten Smartphone gab es keine Hinweise auf einen Kauf oder ein Treffen zum Kauf. Bereits zu Beginn der Verhandlung hatte der Angeklagte die Anschuldigung bestritten. "Ich weiß nicht, wie B. darauf kommt, dass ich etwas gekauft hätte", sagte der Facharbeiter für Lagerlogistik, der mit B. seit 2017 nur noch sporadisch Kontakt gehabt habe.

Ort des Geschehens
Auch interessant
Sinsheimer Amtsgericht: Richterin bleibt auch in Robe sie selbst
Steinsfurt: 57-Jährige soll gedealt haben - jetzt in Haft

Dieser überraschte das Gericht, er habe "keine Erinnerung mehr" und habe die Zeit im Gefängnis "komplett verdrängt". Erinnern könne er sich noch an eine Art "Deal" mit der Polizei, wenn er Namen von Abnehmern nennen würde. "Da wurde ich auch ausgetrickst, glaube ich", sagte er unsicher. Richterin Hönes fragte nochmals direkt nach, ob der Beschuldigte Marihuana bei ihm gekauft habe, und B. verneinte. "Nicht, dass ich wüsste." Nach der Belehrung, auch falsche Verdächtigungen würden strafrechtlich verfolgt, machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.