Sinsheim nimmt größtes Kontingent an Flüchtlingen im Land auf
Zahl der Asylbewerber in Halle 6 steigt erneut auf etwa 1500 Menschen - Verantwortliche halten am Aktionsende 14. September fest

Anstehen an der Kleiderkammer. Nachdem die erneute Aufstockung bekannt wurde, erhöhte das Rote Kreuz bereits am Samstag die Anzahl der Helfer von rund 40 auf 70 Personen. Die Busse aus München kamen mit eintägiger Verspätung gestern Morgen an. Fotos: Kegel
Von Günther Keller und Tim Kegel
Sinsheim. In der Halle 6 der Messe Sinsheim leben seit dem Wochenende mehr Menschen als in den drei Bergdörfern Adersbach, Ehrstädt und Hasselbach zusammen. War am Donnerstag nach der Einquartierung von 200 zusätzlichen Flüchtlingen bereits "Vollbelegung" verkündet worden, so kamen im Lauf des gestrigen Sonntags noch einmal rund 300 Menschen in der Neulandstraße an. Sie waren in Bussen von München aus herangefahren worden. Es handelt sich dabei um Asylbewerber, die nach einer Odyssee von der serbisch-ungarischen Grenze über Österreich in einem Sonderzug nach Deutschland gelangt waren.
Insgesamt etwa 1300 der in München angekommenen Asylbewerber werden in Baden-Württemberg auf verschiedene Unterkünfte verteilt. Das Land hat angesichts des massiven Zustroms Katastrophenalarm ausgelöst und massiv Hilfskräfte von Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk angefordert, um die Situation bewältigen zu können. Sinsheim wird dabei nach letzten Stand das größte Kontingent im Land aufnehmen. Die Beteiligten waren sich einig, dass die Strukturen in der Messehalle erprobt und belastbar seien. Die bisherige Planung, die Halle 6 bis Montag nächster Woche zu räumen, um sie für die anstehende Jobbörse am 26. September nutzen zu können, dürfte damit allerdings erheblich in Frage gestellt sein. Zehn Tage später soll nach heutigem Stand die grafische Fachmesse "Druck und Form" mit 120 Ausstellern aus dem In- und Ausland beginnen. Noch nimmt allerdings keiner der Verantwortlichen das Wort Planänderung in den Mund; nach wie vor sprachen Einsatzleitung und Rathaus vom Aktionsende am 14. September. Ab kommenden Mittwoch würden die ersten Asylbewerber auf andere Unterkünfte verteilt, hieß es gestern.
Die Regierungen Österreichs und Deutschlands hatten sich am Freitagabend darauf verständigt, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge einreisen zu lassen. In München wurde ein Teil von ihnen in 15 Busse mit Zielrichtung Baden-Württemberg gesetzt. Auf der Fahrt in den Kraichgau mussten einige Busse allerdings in Ulm einen ungeplanten Halt einlegen: Die Fahrer hatten die maximal erlaubte Tageslenkzeit erreicht. Erst nach vier Stunden konnten die Busse ihre Fahrt fortsetzen, was in Sinsheim für zähes Warten sorgte. Bereits am Samstagvormittag wurde der Helferstab auf 70 Ehrenamtliche aufgestockt, der Kleiderkammer- und Ersterfassungsbetrieb in Gang gesetzt; aus Einzel- wurden Stockbetten aufgebaut und vier Ärzte hielten sich bereit. Tatsächlich trafen die Busse aus München allerdings erst am gestrigen Morgen ein. Die Flüchtlinge kommen nach Angaben des Stuttgarter Staatsministeriums überwiegend aus Syrien, Pakistan und Afghanistan. Mit der Neuzuweisung sind in Sinsheim nunmehr aktuell über 2000 Flüchtlinge und Asylbewerber untergebracht. Das entspricht einer Quote von 58 pro 1000 Einwohner - und damit einem 20-Fachen des bundesdeutschen Durchschnitts in den Kommunen.
Ein Grüppchen der Neuankömmlinge blockierte gestern Morgen zeitweise die Friedrichstraße, indem man sich in Höhe der Stadthalle auf der Fahrbahn niederließ. Nach kurzer Zeit und nach Protest von Autofahrern wurde die Aktion abgebrochen. Was damit bezweckt werden sollte, blieb unklar. Angeblich wollten die etwa 30 Personen in Richtung Mannheim weiterreisen, hatten bereits entsprechende Zugtickets gelöst und nannten unter anderem skandinavische Länder als Ziele. Die Polizei musste die Lage ordnen und die "Ausreißer" zurück in die Messehalle bringen. Ansonsten verlief das Wochenende offenbar ohne nennenswerte Probleme. "Die Stimmung ist auf Helfer- und Bewohnerseite vor Ort nach wie vor ruhig, geordnet und respektvoll", hieß es von Seiten des DRK.



