Östringer Schüler dürfen Deutsch nachschreiben
Eine falsche Jahreszahl in der Prüfungsaufgabe wurde nicht korrigiert – Wegen Gefahr der Fehlinterpretation dürfen Schüler nachschreiben

Nach einer Direktive des Kultusministeriums hätte den Abiturienten am Prüfungstag das richtige Erscheinungsjahr der Kurzgeschichte "Auf der Felsenkuppe" bekannt gemacht werden müssen. Am Leibniz-Gymnasium hat man das vergessen. Für das Regierungspräsidium Karlsruhe steht das Versäumnis außer Frage, die Schule schweigt zu dem Vorfall. Die Schüler sind verunsichert. Foto: Guzy
Von Svenja Hahn und Armin Guzy
Östringen. Bei den Abiturprüfungen in der Region ist in diesem Jahr offenbar der Wurm drin. Nachdem durch die RNZ am Mittwoch bekannt wurde, dass Abiturienten in Sandhausen die falschen Englisch-Aufgaben bearbeitet hatten, offenbarte sich am gestrigen Donnerstag auch ein Fehler beim Deutsch-Abitur am Leibniz-Gymnasium in Östringen (LGÖ).
Bei der schriftlichen Prüfung am 25. April wurde dort eine Direktive des Kultusministeriums nicht umgesetzt. Die Folge: Eine noch nicht bekannte Zahl der Schüler wird wohl eine Nachprüfung schreiben. Das Regierungspräsidium Karlsruhe bestätigte am Donnerstag der RNZ gegenüber den Vorfall, das LGÖ lehnte eine Stellungnahme ab, und einige Schüler sind verunsichert, was sie nun tun sollen.
Dienstag, 25. April: 8 Uhr. Landesweit bekommen mehr als 53.000 Abiturienten ihre Prüfungsaufgaben in Deutsch ausgeteilt. Auch in Östringen haben sie die Wahl zwischen vier Schwerpunktthemen, darunter die Interpretation von Christoph Meckels Kurzgeschichte "Auf der Felsenkuppe". Fünfeinhalb Stunden haben sie Zeit, sich mit den darin enthaltenen Motiven einer Robinsonade und der menschlichen Kommunikation auseinanderzusetzen.
Erst nach der Klausur - im Austausch mit Schülern anderer Gymnasien - wird der Fehler entdeckt, der dem Kultusministerium bereits vor den Osterferien bekannt war. Die Geschichte wurde nicht, wie bei der Prüfung angegeben, 1949 erstmals veröffentlicht, sondern erst 1960.
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Weil die gedruckten Prüfungsaufgaben nicht mehr zu korrigieren waren, erhielten die Schulen die Direktive, den Schülern am Prüfungstag die richtige Jahreszahl bekannt zu machen, etwa durch einen Ausdruck oder einen Tafelanschrieb. In Östringen wurde das allerdings vergessen.
"Jede Schule Baden-Württembergs hat es hingekriegt, die Abiturienten auf diesen Fehler aufmerksam zu machen, nur unsere nicht", empört sich eine LGÖ-Schülerin am Donnerstag in der Sinsheimer RNZ-Redaktion. Sie macht einen sehr aufgelösten Eindruck und befürchtet, die Schule könnte den Fehler vertuschen.
Wie offenbar auch andere Östringer Schüler hatte die 17-Jährige wegen der falschen Zeitangabe ihren Interpretationsschwerpunkt auf die Nachkriegsthematik gelegt - und das Thema damit verfehlt. Für die Schülerin, die erleichtert war, ihr Deutsch-Abitur nun hinter sich zu haben, ein Schock.
Vor wenigen Tagen hatte das Schulsekretariat die betroffenen Schüler zu einer Versammlung einbestellt, an der auch die Rektorin Ulrike Sauer-Ege und Konrektor Ben Olbert teilnahmen. Der Tenor: Die Schule gibt denen, die möchten, die Möglichkeit, das Deutsch-Abi bei einem Nachschreibetermin zu wiederholen.
"Bis dahin ist uns der Kontakt mit unserem Deutschlehrer untersagt", sagt die 17-Jährige, "Deutsch war der Horror für mich. Als ich erfahren habe, dass ich das noch mal machen soll, habe ich erst mal angefangen zu heulen, weil ich so wütend war. Und auf die Frage, was mit der Klausur des Haupttermins passiert, haben wir auch keine Antwort bekommen."
Uwe Herzel, Sprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe (RP), sagt, dass die Schule den "formalen Fehler" gemeldet habe, und sieht in der angebotenen Nachschreibemöglichkeit eine "schülerfreundliche Lösung". Dass ein Schüler die Prüfung anfechten könnte, wenn er durchs Abi rasselt, hält er für ausgeschlossen, da sich die Schüler ja selbst entscheiden könnten, ob sie die bereits geschriebene Klausur bewerten lassen oder lieber nachschreiben.
Das RP ist als Schulaufsichtsbehörde in den Vorfall involviert. Wegen der möglichen geschichtlichen Deutung der falschen Jahreszahl steht für die Behörde das Versäumnis der Schule außer Frage. Wer der Jahreszahl eine größere Bedeutung beimisst, könne bei der Interpretation tatsächlich scheitern, so Herzel. Schon deshalb habe man reagieren müssen.
Bislang sollen sich bereits sechs Schüler zur Nachprüfung angemeldet haben, weitere überlegen laut der Schülerin derzeit noch. Herzel hält es nicht für ausgeschlossen, dass auch andere Schulen im Land die Korrektur der Jahreszahl versäumt haben.



