Die "Kauf lokal"-Aktion und die Online-Hürde
Die Gutscheinaktion von Stadtverwaltung und Wirtschaftsforum lockt mit Rabatten.

Von Christiane Barth
Sinsheim. Reinkommen, umschauen, auswählen, zahlen – und zwar in echt und nicht per Klick am Bildschirm. So wünschen es sich viele analoge Einzelhändler in den Innenstädten nicht erst seit, aber erst recht wegen der Corona-Situation. Nach Eppingen und Bad Rappenau zieht Sinsheim jetzt mit einer Gutschein-Aktion nach, und bietet Kunden Boni in Geschäften, Gastronomiebetrieben und bei Dienstleistern. Doch der Weg führt ausgerechnet übers Internet.
Den Bonus erhält der Betrieb, nachdem der Gutschein eingelöst wurde. Die Aktion – eine Initiative der Stadt und des Wirtschaftsforums – soll ein positives Signal ans Gewerbe aussenden und Unterstützung in schwierigen Zeiten bieten. Abgerufen werden können die Gutscheine im Online-Shop "www.kauf-lokal-sinsheim.de" – und genau da liegt gerade für viele ältere Bürger die Krux.
Eine Sinsheimerin, wie so oft will sie unerkannt bleiben, meldet sich und fühlt sich benachteiligt. Die Seniorin komme mit dem Bestellen des Gutscheins im Internet nicht zurecht und müsse jetzt auf Vorteile verzichten, die technikaffinen Menschen vorbehalten bleiben würden. Die Gutscheine, findet die Frau, müssten leichter zugänglich gemacht werden. Oft täten sich Ältere schwer mit der Handhabung des Internets, zumal wenn keine Enkel zur Verfügung stünden, die die Dinge mal eben schnell für sie regeln könnten.
Ingrid Kimberger kann’s verstehen: Mit ihrem Kosmetikstudio – seit 47 Jahren in der Zwingergasse – gehört auch sie zu den an der Aktion teilnehmenden Unternehmen. Viele von Kimbergers Kunden hätten nach wie vor Probleme mit dem Internet – "ich übrigens manchmal auch", gesteht sie und schmunzelt. Viele Senioren besäßen weder Computer noch Handy. "Ich könnte mir den Gutschein auch nicht im Internet bestellen", räumt Kimberger ein.
Sie kritisiert, dass die problemlose Handhabung von Onlinevorgängen inzwischen als Selbstverständlichkeit, ja als Grundvoraussetzung, gelte. Trotzdem sollten die Hürden für Ältere möglichst gering sein. Senioren würden sich nicht einfach nur schwertun bei einer Online-Bestellung: "Manche wollen das auch überhaupt nicht", weiß Kimberger. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher "heutzutage einfach vorausgesetzt wird, dass das jeder kann", könne als anmaßend empfunden werden. Sie selbst zählt sich zu den Menschen, die lieber den konservativen Weg gehen, wenn sie etwas ordern möchten: "Wenn es nur online geht, dann bestelle ich nichts." Wenn’s ums Geschäft gehe, übernehme manchmal jedoch ihre Mitarbeiterin das Einkaufen in Onlineshops.
Verblüfft über die Haltung mancher Älteren zur Gutschein-Aktion zeigt man sich im Rathaus: "Bisher ist uns die Problematik noch nicht bekannt", sagt Ines Kern vom Amt für Wirtschaftsförderung, Tourismus und Öffentlichkeitsarbeit, "da der Onlineshop leicht zu bedienen ist." Kern verweist auf den rasanten Fortschritt in Sachen Digitalisierung auch während der Lockdown-Zeit und auf Menschen im nahen Umfeld von Senioren, die diesen zur Hand gehen und helfen könnten. Es könne davon ausgegangen werden, dass bei Problemen Unterstützung durch Personen im Verwandten- oder Freundeskreis eingeholt werden könne, schildert Kern.
Kosmetikerin Kimberger wünscht sich trotzdem mehr Einsicht für die Bedürfnisse älterer Menschen: "Wir leben doch in einer überwiegend älteren Gesellschaft, warum geht man dann nicht auch ein bisschen mehr auf uns ein?" Zu ihrer Klientel zähle zwar auch die junge Generation, die dann oft Gutscheine von den Eltern geschenkt bekommt, aber auch zahlreiche Senioren, darunter ihre älteste Kundin mit 98 Jahren. Dass diese sich online mit Gutscheinen versorgt, sei nahezu auszuschließen.
Die Ideengeber der Aktion im Rathaus und beim Wirtschaftsforum verweisen auf den Vorteil für den Kunden: Einen Bonus von 20 Prozent, den Besteller der Coupons von der Verwaltung erhalten, wenn der Gutschein bis 15. November eingelöst wird. Aus 50 Euro würden dann 60 Euro – gleichzeitig binde sich der Kunde ans Versprechen, zum Einkaufen die Innenstadt anzusteuern. Außerdem behalte ein Gutschein auch über den 15. November hinaus zumindest seinen Ursprungswert und sei so drei Jahre lang gültig. An sich eine gute Sache. Immerhin 31 Unternehmen vom Tattoostudio übers Bekleidungsgeschäft bis hin zum Anbieter hochwertiger Gartenküchen gaben der Aktion auf Anhieb eine Chance – Tendenz eher steigend.
Zudem, heißt es im Rathaus, könnten sich Senioren bezüglich der Gutschein-Aktion an eine Service-Hotline der Stadt unter Telefon 07261 / 404350 wenden. Eine Alternative für die ältere Dame aus Sinsheim? "Ich erreiche dort niemanden", sagt sie.



