Orkantief hielt Region um Sinsheim in Atem
Sturm verlief hier deutlich glimpflicher als befürchtet - Feuerwehr hatte trotzdem gut zu tun

Von Tim Kegel, Christian Beck und Julian Buchner
Sinsheim/Waibstadt. Stürmische Zeiten rund um Sinsheim: Orkantief "Sabine" hat am Montag Feuerwehr, öffentliche Einrichtungen und die Bevölkerung in Atem gehalten. Es hätte aber – so hieß eine Mehrheitsmeinung bis zuletzt – schlimmer kommen können.
Weggewehte Planen, vom Dach geschleuderte Ziegel, umgestürzte Bäume. All das gab es. Feuerwehr-Stadtkommandant Michael Hess spricht von zahlreichen kleineren Einsätzen im Stadtgebiet, beginnend mit ersten starken Böen am Montagmorgen zwischen 3 und 4 Uhr. Bäume lagen quer auf den Bundesstraßen zwischen Dühren und Sinsheim sowie Steinsfurt und Kirchardt. Dort entstand Blechschaden an einem Kleintransporter.
Bäume – wie Hess sagt: "Bäumlein" – hat der Orkan dann noch in der Waldangellocher Schlossberg-, auf einem Privatgelände in der Sinsheimer Werderstraße sowie in der Dührener "Au" und in der Winterstraße umgedrückt.
Ähnlich die Situation in den Nachbarorten im Eppinger Raum und in der Brunnenregion: Bei Spechbach kappte ein Baum die Überlandleitung und sorgte dafür, dass ein älteres Ehepaar in seinem Haus keinen Strom mehr hatte. Auch in Waibstadt musste die Oberleitung freigeschnitten werden. Bei Elsenz blockierte ein Baum eine Straße. Bei Richen wurde ein Lkw von einer Böe erfasst und kippte um.
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Stärkere Beeinträchtigungen gab es gegen 6.30 Uhr auf der Autobahn A6 zwischen Steinsfurt und Bad Rappenau: Ein Baum blockierte zwei Fahrspuren in Richtung Heilbronn. Ein Lkw konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr in das Gewächs. Verletzt wurde niemand.
Mit Sorge hatten Beobachter angesichts der aufziehenden Unwetterlage auf die Abrissarbeiten an der Autobahnbrücke bei Dühren geblickt. Das Ende der aufwendigen Maßnahme war, wie bereits berichtet, auf Montagfrüh, 6 Uhr, terminiert. Als jedoch am Sonntagmittag unterschiedliche Meldungen zur Ankunft des Sturms im Kraichgau kursierten – auch über Handy-Warndienste wie "Nina" und "Katwarn" – machten sich auch gestandene Profis wie Hess Gedanken: Eine orkanbedingte Pause auf der Baustelle gepaart mit Problemen auf einer der Umleitungsstrecken hätte "den Kollaps bedeuten können", ist er überzeugt.
Die Baustelle wurde kurz vor 5 Uhr freigegeben – keine halbe Stunde später traf der Sturm das Sinsheimer Gebiet mit voller Wucht. "Glück gehabt." Bedenken, dass der an den Rändern von Bundes- und Landesstraßen haufenweise aufgetürmte Gehölzschnitt vom Wind davongetragen werden könnte, waren unbegründet. Die Bündel lagen am Montagmorgen nahezu unverändert an Ort und Stelle.
Der Sturm brachte, speziell auch in den Zeiten des Schul- und Berufsverkehrs, viele Buslinien und Bahnverbindungen zum Erliegen – die S-Bahn fuhr zeitweise gar nicht; der Parkplatz am Sinsheimer Bahnhof war so leer wie selten. Ein Mitarbeiter des Notfallmanagements kontrollierte die Oberleitungen, sprach aber eher von kleinen Zweigen, die sich darin verfangen hatten.
Hunderte Schüler hatten Schulfrei: Sämtliche Schulen im Kraichgau waren von den Auswirkungen des Orkantiefs betroffen, wenn auch unterschiedlich stark. Breit gestreut wurde schon ab Samstag eine Meldung des Kultusministeriums, der zufolge es den Eltern überlassen blieb, Kinder auf den Schulweg zu schicken oder vom Unterricht zu befreien und die Schule hierüber zu informieren.
Die Schulen und auch die Kindergärten reagierten ihrerseits, wenn auch unterschiedlich: Das Sinsheimer Wilhelmi-Gymnasium hatte Erziehungsberechtigte über die Schul-Homepage und das eigene Intranet informiert, wie Schulleiter Thomas Gißmann gestern schilderte. Rund 200 der 640 Schüler kamen und wurden in Sammelklassen bis zur sechsten Stunde unterrichtet, danach fiel der Unterricht aus.
An der Kraichgau-Realschule waren etwa 250 der 830 Schüler anwesend; an der Schule waren für gestern Vormittag Workshops eines externen Anbieters zu Themen wie Ernährung oder Umgang mit dem Handy für Siebtklässler terminiert. Angesichts des dürftigen Zulaufs machte Schulleiter Holger Gutwald-Rondot das Angebot auch den restlichen Anwesenden zugänglich. Eine Auffälligkeit hat Rondot bemerkt, der gestern Telefonkontakt zu Schulleiter-Kollegen "im Württemberger Raum" hatte. Dort seien Schulen – trotz stürmischer Wetterlage – seiner Wahrnehmung nach "besser besucht gewesen".
Ähnliches galt für Kindergärten: "Es lag nicht mal ein Ast auf der Straße", sagte ein junger Vater in Helmstadt-Bargen, "der Kindergarten war trotzdem leer." Die Steinsfurter Schule am Giebel gab ihren Grundschülern gestern gänzlich Schulfrei. Entscheidungsgründe waren der Schulweg, der zu weiten Teilen im engen Steinsfurter Altort liegt, und die exponierte Lage der Schule auf der Bergkuppe. Als die Entscheidung gefallen sei, habe "Sabine" in Steinsfurt gerade am stärksten gewütet, hieß es.
Auch die Müllabfuhr fiel aufgrund des Sturms am Montag aus. Laut AVR bestand die Gefahr, dass geleerte Abfallbehälter sowie bereitgestellte Gegenstände umhergeweht werden und so Schaden anrichten. Alle Abfallbehälter sollten deshalb auf das Grundstück zurückgeholt und am heutigen Dienstag erneut bereitgestellt werden. Laut AVR verschieben sich in dieser Woche alle Abfuhren um einen Tag.
Ein Bild des Jammers zeigte sich dann doch an einem der Dührener Ortseingänge: Eine der beiden riesigen Strohfiguren – dort aufgestellt anlässlich des 1250. Dorfjubiläums 2019 – hielt den Böen nicht stand. Das Männchen symbolisierte einst den "Dührener Manschettenbauer"; nun lag es, Gesicht voran, auf dem Acker. Dührens Ortsvorsteher Alexander Speer will die Figur "zu den Heimattagen 2020 bald wieder aufstellen".
Bemerkenswert war bereits am Sonntagmittag die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm: Im Dührener Ortskern war bisweilen etwas davon zu spüren, das die Bevölkerung rund um Sinsheim seit Jahrhunderten anführt, wenn es um Wetterereignisse geht: die geschützte Lage der Dörfer, umgeben von Hügeln. Während es rund einen Kilometer auswärts – in der Gegend des Hermannsbergs und des Kaisersbergs schon stramm aus Westen wehte, war es in der Dorfmitte fast schon unheimlich ruhig. Kein Lüftchen regte sich um 15.30 Uhr. Aufmerksamen Beobachtern fiel auf: es flog und sang aber auch kein einziger Vogel.