Singen im virtuellen Probenraum bei Chorleiterin Nelli Holzki
Chorleiterin Nelli Holzki probt mit den "Kraichgau Singers" und dem Männerchor "Only Men" online

Von Angela Portner
Eppingen. Wie findet man den richtigen Ton? Gar nicht so leicht, und besonders in Corona-Zeiten ist das eine echte Herausforderung, denn gemeinsame Probentreffen können wegen der Ansteckungsgefahr nicht stattfinden. Damit der Gesangverein trotzdem nicht aus dem stimmlichen Takt kommt, hat sich Chorleiterin Nelli Holzki etwas einfallen lassen: Seit einigen Wochen finden stattdessen virtuelle Singstunden über eine App statt. Das gemeinsame musizieren im Netz war anfangs ein Experiment mit vielen Fragezeichen, hat sich mittlerweile aber bei den Sängerinnen und Sängern recht gut etabliert. Rund 30 sind bei jeder Probe mit Begeisterung dabei.
Nacheinander poppen Bilder von Gesichtern auf. Holzki freut sich über jeden, der sich traut, den virtuellen Probenraum zu betreten. Rund 80 Prozent der Mitglieder konnte sie mit dem ungewöhnlichen Angebot erreichen. Für viele mag das anfangs eine Überwindung gewesen sein, für andere ist es einfach spannend. Computerfreak, Technikmuffel oder einfach nur Berührungsängste? Wer es probiert hat, weiß, dass es so schwer gar nicht ist. Zur Not kann man sich die App von den Kindern oder Enkelkindern auf dem Smartphone oder dem Rechner installieren lassen. Dann braucht es nur noch einen Fingerklick auf den Link, der bereits im virtuellen Postfach wartet, und schon kann es mit der Singstunde losgehen.
Besonders im Sitzen ist die korrekte Haltung wichtig. "Aufrecht und die Hände auf den Bauch", empfiehlt Holzki, bevor sie den ersten Ton anschlägt. Irgendwann bilden sich aus dem nasalen Klang von Wort- und Silbenwiederholungen "stehende Klangwolken", die fast den Tönen ähneln, die man normalerweise nur einer E-Gitarre entlocken kann. Später gilt es, bei "Imagine" den Ton aus dem "Alt" zum "Sopran" zu ziehen. Irgendwann folgen der qualifizierten Tonvorgabe endlich die Klicks auf die Mikrofonsymbole und alle singen gemeinsam. "Es bringt nichts, wenn ihr eure Stimme mit dem Kehlkopf hochpeitscht", erklärt die Chorleiterin und beruhigt die Übenden ein paar Takte später damit, dass sie ja glücklicherweise den "Alt" haben, der ihnen den richtigen Ton "serviert".
Das mit den "Online-Proben" umzusetzen, war für Holzki dagegen nicht ganz so einfach. Aber nachdem sich beim Testlauf keine größeren technischen Probleme zeigten, fand die erste Probe Anfang Mai statt. Inzwischen ist daraus ein fester Singstundentermin geworden. Schon von Anfang an waren fast alle Mitglieder der "Kraichgau Singers", die auch jetzt noch gemeinsam proben, dabei. Die Männerstimmen waren vollständig mit sieben Bässen und fünf Tenören vertreten. "Das war eine super Teilnehmerquote", sagt die 37-Jährige rückblickend über die knapp zweistündige Premiere. Davor hatte jeder für sich alleine geprobt. Sich endlich wiederzusehen und zu singen, sei für alle wichtig gewesen, denn ein Chor lebt auch von der Gemeinschaft.
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Die Proben im virtuellen Raum haben Vor- und Nachteile. Das Arbeitstempo sei zwar etwas langsamer, doch im Gegenzug könne man konzentrierter miteinander üben, weil die ausgeschalteten Mikros verhindern, dass "dazwischengeschwatzt" wird. Außerdem hat Holzki so die Möglichkeit, sehr individuell auf den Einzelnen einzugehen. Deshalb hofft sie, dass der Chor gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Inwieweit man diese Form des Übens als "ontop-Angebot" mit ins Repertoire des Vereins aufnehmen kann, wird im Vorstand demnächst diskutiert.
Derzeit betreut die Eppingerin sechs ihrer zehn Chöre online. Und sie ist überrascht, was mit der Technik alles möglich ist. Trotzdem freuen sich alle sehr auf den Tag, an dem die verschiedenen Stimmlagen endlich wieder "leibhaftig" melodisch ineinandergreifen und man sich nach dem Treffen glücklich und zufrieden auf die Schulter klopfen kann.



