Sinsheim

Zweite Welle trifft die Sinsheimer GRN-Klinik härter als andere

"Jeder Platz ist viel mehr wert" - Covid-19-Patienten zu helfen, ist nicht einfach

13.11.2020 UPDATE: 14.11.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 41 Sekunden
Chefärztin Dr. Christiane Serf und Krankenpfleger Wolf Steinbenner werfen auf der Intensivstation einen Blick auf eine Blutgasanalyse. Foto: Christian Beck

Von Christian Beck

Sinsheim. Die Isolierstation wurde erweitert. Und die Intensivstation war bis vor Kurzem so voll, dass weitere Patienten nicht mehr aufgenommen werden konnten. Die Zahl der Covid-19-Patienten ist am Sinsheimer Krankenhaus so hoch wie an keiner anderen Einrichtung der Region. Wie kam es dazu? Welche Folgen hat diese Arbeitsbelastung für Ärzte und Pfleger? Und wie sehen diese die Zukunft? Nach einem Besuch im April konnte die RNZ in dieser Woche erneut einen Blick in die Bereiche werfen, in denen jene behandelt werden, die an Covid-19 leiden.

> "Anstrengend": Dieses Wort fällt in fast jedem Gespräch mit Ärzten und Pflegern. Als "sehr stressige Sondersituation" beschreibt Oberarzt Stephan Nachtigall den Beginn der zweiten Welle. Von "deutlich mehr Patienten" berichtet Assistenzärztin Dr. Andrea Vietze. Sie arbeitet in der Notaufnahme, die durch eine rote Linie in einen Corona- und einen nicht-Corona-Bereich unterteilt ist. Die Ärztin trägt mitunter drei verschiedene Telefone bei sich. Eines davon bündelt Anfragen verschiedenster Stellen rund um das Thema Corona. Von einer "extremen Mehrbelastung" spricht Florian Zeller, Leiter der Pflege in der Ambulanz. Denn es gebe viel Unsicherheit in der Bevölkerung, wohin man sich im Fall des Falles wenden soll. In Containern vor dem Krankenhaus werden Corona-Tests vorgenommen, teilweise 100 pro Tag. Allerdings nur bei Patienten, die sich zuvor beim Gesundheitsamt gemeldet haben. Im Vergleich zum Frühjahr läuft trotz dieser Mehrbelastung der Betrieb im Krankenhaus aber weitgehend normal weiter. Die Patientenzahlen abseits von Corona sind nicht gesunken, berichtet Dr. Johannes Berentelg, Chefarzt für Innere Medizin und Ärztlicher Direktor der GRN-Klinik Sinsheim. Lediglich die Geriatrische Reha-Abteilung wurde geschlossen. Das Personal, das bislang dort gearbeitet hat, wurde umverteilt. Teile davon verstärken nun die Isolierstation.

>Freiwillig? Zu ihnen gehört Krankenschwester Susan Kuhnert. Dass sie nun auf der Isolierstation arbeitet, war ihre Entscheidung – sie habe die Wahl aus drei verschiedenen Stationen gehabt, berichtet sie. Dass sie ausgerechnet Covid-19-Patienten behandeln möchte, die teilweise hochansteckend sind, liege ihr zufolge an den Schutzmaßnahmen, die ihr und den Kollegen dort zur Verfügung gestellt werden: "Wenn man alles gut einhält, ist man hier am besten geschützt", sagt sie. Laut Ärzten und Pflegern gibt es momentan genug Masken, Schutzkittel und Co. Im Frühjahr sah dies ganz anders aus. Hier habe man dazugelernt, sagt Nachtigall.

„Schnelltests haben sich als hilfreich erwiesen“, sagt Chefarzt Dr. Johannes Berentelg. Foto: Christian Beck

> Wer ist infiziert? Das herauszufinden, ist laut Dr. Vietze nicht leicht. Denn die Symptome seien "sehr verschieden" und teilweise unspezifisch. Wer beispielsweise Fieber oder Durchfall hat, wird isoliert und getestet. Bis das Ergebnis eines PCR-Tests vorliegt, dauert es aber mindestens 24 Stunden. Die Tests aus Sinsheim werden von einer Laborgemeinschaft in Heidelberg ausgewertet. Schnelltests hätten sich vor diesem Hintergrund als hilfreich erwiesen, berichtet Berentelg. Denn diese seien inzwischen deutlich zuverlässiger als im Frühjahr. Wenn beispielsweise am Freitagabend ein Verdachtsfall in die Notfallambulanz kommt und das Ergebnis eines PCR-Tests erst nach dem Wochenende vorliege, könne mit Hilfe eines Schnelltests zeitnah entschieden werden, wie die weitere Behandlung ablaufen soll.

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> Wer sind die Patienten? Häufig sind es Ältere, viele 60 plus. Doch mehr als ein Drittel ist zwischen 40 und 50. Das sei im Frühjahr kaum der Fall gewesen, berichtet Krankenschwester Martina Kretzschmar, Leiterin der Isolierstation. Bei Männern nehme die Erkrankung häufiger einen schweren Verlauf. Und einige der Patienten seien übergewichtig. "Es gibt aber auch Leute, die sagen: ,Ich habe mich an alles gehalten und habe es trotzdem bekommen‘", erzählt Nachtigall. Auch Berentelg spricht von einer "ganz eigenen Dynamik": Manche Infizierte seien "Superspreader", steckten also viele andere Menschen an. Bei anderen wiederum versande die Erkrankung. Und tauche dafür wo anders wieder auf. Dementsprechend komme es häufig vor, dass sich innerhalb einer Familie beispielsweise Vater und Sohn angesteckt haben, die Mutter aber nicht. "Wir sind manchmal selbst überrascht", räumt Zeller ein. Viele Corona-Infizierte befinden sich in häuslicher Quarantäne. Im Krankenhaus werden nur jene behandelt, denen es schlecht geht und die zu Hause nicht zurechtkommen, beispielsweise, weil sie älter und alleine sind. "Viele von ihnen haben Luftnot und brauchen Sauerstoff", erklärt Nachtigall.

> Was ist so anstrengend? Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Nach Covid-19-Patienten muss häufiger geschaut werden, teilweise alle zwei Stunden. Denn es könne schnell passieren, dass die Sauerstoffsättigung im Blut unter einen kritischen Wert sinkt, erklärt Berentelg. "Die Leute haben mehr Redebedarf", berichtet Kretzschmar. Denn sie dürfen nicht besucht werden. Außerdem kostet es Ärzte und Pfleger viel Zeit, die Schutzausrüstung an- und schließlich in der richtigen Reihenfolge wieder abzulegen, um sich nicht anzustecken. Bis Maske, Schutzkittel, Handschuhe, Kopfhaube und Schutzbrille korrekt sitzen, vergehen rund fünf Minuten. Und diese Prozedur absolvieren Krankenhausmitarbeiter viele Male am Tag. Auf der Intensivstation ist der Aufwand noch einmal beträchtlich höher: Zum Großteil des Tages muss ein Arzt oder Pfleger bei den Patienten im Zimmer sein, erklärt Dr. Christiane Serf, Chefärztin der Anästhesie und Intensivstation.

Drei Covid-19-Patienten liegen momentan auf der Intensivstation der Sinsheimer GRN-Klinik. Im Durchschnitt werden sie dort 16 Tage behandelt. Weitere schwer Erkrankte aus dem Kraichgau mussten an Heidelberger Kliniken behandelt werden. Foto: Christian Beck

> "Jeder Platz ist viel mehr wert", sagt Nachtigall. Denn Covid-19-Patienten liegen vergleichsweise lange im Krankenhaus: Auf der Isolierstation sind es selten weniger als sieben Tage, auf der Intensivstation durchschnittlich 16 Tage. Wer nach Hause kann, verlässt deshalb das Krankenhaus, sodass der Platz jemandem zur Verfügung gestellt werden kann, der ihn noch dringender braucht. Teilweise geschieht dies auch, wenn der Patient noch ansteckend ist. Schwierig sei dies jedoch bei Senioren, die eigentlich einen Platz in einem Pflegeheim benötigen, berichtet Nachtigall. Denn einzelne Heime versuchten die Aufnahme von Covid-19-Patienten zu vermeiden. Hier seien dann die Angehörigen stark gefordert.

> Wie kann Patienten geholfen werden? Das ist nicht einfach. Denn ein Heilmittel gegen Covid-19 gibt es (noch) nicht. "Das macht uns Sorgen", sagt Serf. Schwer Erkrankte erhalten das Medikament Remdesivir, ein Virostatikum, das ursprünglich gegen Ebola entwickelt wurde und nun versuchsweise bei Covid-19-Patienten zum Einsatz kommt. Es gibt Studien, die besagen, dass es die Genesung beschleunigt. Laut Berentelg ist das Mittel aber nur begrenzt verfügbar. Darüber hinaus bekommen Erkrankte Cortison und Blutverdünnungsmittel, die Thrombosen vorbeugen sollen. Im Großen und Ganzen muss der Patient aber selbst mit der Erkrankung fertig werden. Das Krankenhaus-Personal kann medizinisch dabei helfen, die Krankheit so gut es geht zu überstehen. Bei schweren Krankheitsverläufen ist die Lunge deutlich angegriffen. Atemtherapien trainieren die geschädigte Lunge. Manche Betroffene berichten von langfristigen Einschränkungen: Ein Patient, der im Frühjahr an Covid-19 erkrankt war, kommt nach wie vor außer Atem, wenn er über die Treppe drei Stockwerke hochläuft, berichtet Dr. Reiner Plunien, Facharzt im Bereich Anästhesie.

> Warum sind die Zahlen in Sinsheim so hoch? Berentelg verweist darauf, dass die Zahlen inzwischen nicht mehr nur in Sinsheim hoch sind. Dass dies in den vergangenen zwei Wochen so war, begründet er mit dem großen Screening-Center vor der Tür und nennt wie weitere Ärzte und Pfleger das große Einzugsgebiet, aus dem Patienten an die Klinik kommen. Es umfasst auch Teile des Landkreises Heilbronn, beispielsweise Eppingen oder Kirchardt. In letzterer Gemeinde hatte es in der jüngeren Vergangenheit viele Corona-Infizierte gegeben.

> Für Zweifel an der Gefährlichkeit von Corona haben die Ärzte kein Verständnis. "Wenn wir der Krankheit freien Lauf lassen würden, würde ich gerne mal sehen, wo wir stehen", wird Berentelg deutlich. Es handele sich um eine hochansteckende Erkrankung. Die Sterberate liege deutlich über jener von Influenza, betont der Chefarzt, auch wenn Kritiker das Gegenteil behaupten. Wenn er Szenen wie in Leipzig sehe, "fehlt mir jedes Verständnis", erklärt er. Dort hatten am vergangenen Samstag zahlreiche Menschen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen demonstriert und dabei zum Großteil keinen Mund-Nasen-Schutz getragen und auch keinen Mindestabstand eingehalten. Die Polizei hatte deshalb die Versammlung aufgelöst und scheiterte beim Versuch, die Demonstranten aufzuhalten. Abstand zu halten und eine Maske zu tragen, seien keine übertriebenen Maßnahmen, sagt Berentelg. Und die erneuten Einschränkungen im November hält der Chefarzt für sinnvoll. Einen Restaurantbesuch hält er nicht für gefährlich, dass sich große Gruppen treffen oder mehrere Menschen gemeinsam singen aber sehr wohl.

Bis die komplette Schutzausrüstung korrekt sitzt, benötigen Krankenpfleger und Ärzte etwa fünf Minuten. Foto: Christian Beck

> Lichtblicke gibt es aber durchaus: Anfang der Woche konnte ein Covid-19-Patient, der zwei Wochen auf der Intensivstation lag und beatmet wurde, auf die Isolierstation verlegt werden, berichtet Oberärztin Ines Velkopolszky. Und eine positive Begleiterscheinung hat die Corona-Krise offenbar auch: Im Herbst gab es bislang keinen einzigen Patienten, der mit einer schweren Influenza ins Krankenhaus musste. Die Ärzte vermuten, dass die Mund-Nasen-Masken eine Verbreitung verhindert haben.

> Wie geht es weiter? "Wir fahren auf Sicht", sagt Berentelg. Er hofft, dass sich die Zahl der Covid-19-Patienten nicht weiter erhöht. "Ich mache mir keine großen Gedanken, wie lange die Pandemie noch andauert", erklärt Nachtigall. Man müsse weiter machen, so wie es eben sei. "Ich glaube nicht, dass wir Weihnachten dieses Jahr so feiern können, wie wir es gewohnt sind", meint Berentelg. Und er schätzt, dass Musikveranstaltungen bis März nicht möglich sein werden. Die Meldungen über einen wohl bald verfügbaren Impfstoff lassen die Ärzte aber positiv in die Zukunft blicken. Noch sei alles mit heißer Nadel gestrickt und die Studienlage sehr dünn, schränkt Berentelg ein. Aber er sagt auch: "Ich bin überzeugt, dass es eine gute Impfung ist." Auf die Frage, ob er sich selbst impfen lassen würde, sagt er schlicht: "natürlich!"

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