Wiesloch

Eine Zeitreise in die Geschichte der evangelischen Kirche

Am Sonntag wird an der Stadtkirche eine neue Bronzetafel enthüllt. Sie informiert über das Gebäude, die früheren Schwesterkirchen und die Hintergründe.

29.10.2022 UPDATE: 30.10.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 24 Sekunden
Die Stadtkirche wurde als römisch-katholisches Gotteshaus erbaut, seit 1556 wird sie von den Protestanten genutzt. Foto: Pfeifer

Von Anton Ottmann

Wiesloch. Wenn heute die beiden großen christlichen Kirchen den Rückgang ihrer Gläubigen beklagen, ist längst vergessen, dass nach der Reformation vor etwa 500 Jahren sich nicht nur Katholiken und Protestanten feindlich gegenüberstanden, sondern auch die Anhänger Luthers auf der einen und die Anhänger Calvins und Zwinglis auf der anderen Seite. Nach Auffassung der Lutheraner ist Christus beim Abendmahl gegenwärtig, wenn auch nicht in Fleisch und Blut wie bei den Katholiken. Bei den Reformierten wiederum, wie sich die Anhänger von Calvin und Zwingli nennen, ist das Abendmahl nur eine Gedächtnis-Feier. Die Unterschiede zwischen den beiden Lagern gingen aber noch weiter. Erstere erlaubten Bilder, eine gewisse Ausschmückung der Gottesdienste und waren insgesamt mehr dem Leben zugewandt, die anderen verboten Bilder und Schmuck in der Kirche, zeigten sich in Kleidung und Verhalten bescheiden und sittenstreng, mit anderen Worten "gottgefällig".

Friedrich III. von der Kurpfalz war 1561 der erste deutsche Fürst, der in seinem Land die Lehre Calvins einführte. Dies hatte zur Folge, dass in der kurpfälzischen Stadt Wiesloch Katholiken und Lutheraner verdrängt wurden, da zwar die Fürsten Religionsfreiheit genossen, ihre Untertanen aber deren Religion annehmen mussten. Obwohl nach dem 30-jährigen Krieg (1618-48) dieser Zwang abgeschafft und die Zugehörigkeit zu anderen christlichen Religionen geduldet wurde, blieben die Reformierten die große Mehrheit in der Stadt, die auch die Stadtkirche als ihr Domizil zugesprochen bekamen. Die Katholiken durften dort anfangs noch ihre Messen feiern, bauten dann aber 1725 im Schlosshof die Johanneskapelle zur Kirche aus, gefolgt von den Lutheranern, die 1746 unter großen finanziellen Opfern ein "Kirchlein" in der heutigen Badgasse 4-6 errichteten.

Mit der politischen Neuordnung Süddeutschlands kam 1803 der rechtsrheinische Teil der Kurpfalz zum Großherzogtum Baden, was auch eine Neuordnung der evangelischen Kirchen zur Folge hatte. 1821 schlossen sich die lutherische und die reformierte zur "evangelisch-protestantischen Kirche" zusammen. Obwohl zwei Pfarrer aus Wiesloch an der beschließenden Synode mitgewirkt hatten, führte dies vor Ort zu großen Auseinandersetzungen.

"Die Lutheraner wollten nicht hinnehmen, dass sie von der größeren Gemeinde einfach geschluckt werden": Gesche Kruse, die das Archiv der Wieslocher Petrusgemeinde verwaltet und sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, denkt, an den Auseinandersetzungen waren nicht die religiösen Unterschiede schuld. Sie ist der Meinung, dass es hier um die Aufgabe eines Stücks Heimat ging – das falle Menschen immer schwer. Einige Mitglieder des Kirchenvorstandes hätten sich sogar beim Großherzog persönlich beschwert. Aber auch das konnte nicht verhindern, dass die Glocken und die Orgel versteigert wurden und die Tairnbacher Gemeinde die ganze Inneneinrichtung, außerdem die Fenster, den Dachstuhl und das Türmchen für ihre eigene Kirche mitnahm.

So sei im Frühjahr 1823 auf dem ehemaligen Kirchplatz in der damaligen Hesselgasse nur noch das Gemäuer gestanden und man suchte umgehend einen neuen Besitzer. Als "von Staats wegen" eine Anfrage kam, ob auf dem Platz ein Gefängnis gebaut werden könne, habe sich der damalige Pfarrer Reimold schützend vor die Gemeinde gestellt und an höchster Stelle dagegen protestiert, weil er "Unfrieden fürchtete". Bei der öffentlichen Versteigerung erwarb dann der Schuhmachermeister Michael Michel das größte Stück, die beiden Nachbarn Nikolaus Kircher und Abraham Walther erweiterten mit dem Rest ihre bereits vorhandenen Grundstücke.

Wer wissen will, wie die lutherische Kirche einmal ausgesehen hat, kann nach Tairnbach fahren, wo eine baugleiche neben dem Friedhof immer noch ihren Dienst tut. Durch Zufall hat Kruse auch den Plan der damaligen Kirche im Archiv gefunden, der dies endgültig bestätigte.

Am Anfang war es nicht einfach, aber mit der Zeit sei es für die ehemaligen Lutheraner immer selbstverständlicher geworden, so Kruse, den Gottesdienst in der Stadtkirche zu besuchen. Rund 60 Jahre nach der Union hätten deren Nachfahren sogar die ersten bunten Kirchenfenster gestiftet, die bis heute den Kirchenraum verschönern. Und die ehemaligen Reformierten hätten dies seinerzeit auch gutgeheißen. Auf einem Fenster seien sogar die Gegenspieler der Reformation Luther und Calvin in trauter Zweisamkeit zu sehen. Die Tatsache, dass heute nur noch wenige evangelische Familien wüssten, ob ihre Vorfahren lutherisch oder reformiert waren, bestätigt nach Meinung von Kruse, dass die Union inzwischen auch in Wiesloch restlos vollzogen ist.

Gesche Kruse und Heiko Feurer von der evangelischen Gemeinde haben sich in deren Geschichte eingearbeitet. Foto: A. Ottmann

Kruse und Heiko Feurer, der ebenfalls in der evangelischen Kirche engagiert ist, haben sich gemeinsam in die örtliche Kirchengeschichte eingearbeitet. So haben sie im Archiv auch Unterlagen gefunden, dass es in der evangelischen Kirchengemeinde immer wieder Teilungen und Fusionen gegeben hat, die jeweils ihre Probleme nach sich zogen. So sei 1864 aus der einen gemeinsamen Kirchengemeinde die alte und die neue Pfarrei entstanden und daraus wiederum die Johannes- und die Christusgemeinde. Seit 2012 wurden nun die Wieslocher Innenstadt, Altwiesloch und Frauenweiler in der neu benannten Petrusgemeinde vereint.

Kruse und Feuer sind gespannt, was in der nahen Zukunft noch auf die Gläubigen zukommen wird. Sie halten es für wichtig, die Erinnerung an solch mühsame Prozesse, die Gemeinschaften auseinanderreißen oder neu zusammenfügen, aufrecht zu erhalten. Aus dieser Erkenntnis wuchs die Idee, an der Stadtkirche eine Tafel anzubringen, die die Meilensteine der Wieslocher Kirchengeschichte vom 16. Jahrhundert bis zum heutigen Tag aufzeigt. Die Umsetzung war nicht einfach. Schließlich fand eine Gruppe um den Baiertaler Grafik-Designer und Künstler Pit Elsasser eine ideale Lösung: eine dreigeteilte Bronze-Tafel, die über die Stadtkirche, ihre früheren Schwestern und die Hintergründe zwar getrennt, aber doch in korrekter zeitlicher Abfolge informiert. Dabei soll eine Balance zwischen Text und Bild, Genauigkeit und Verständlichkeit eingehalten werden.

Info: Die Bronzetafel wird bei einem Gottesdienst am Sonntag, 30. Oktober, 10.30 Uhr, an der Stadtkirche enthüllt.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.