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Verwaltungsgerichtshof kippt Bebauungsplan für Hintere Mult

Der Dritte Senat gibt den Weinheimer Landwirten recht. OB Just bedauert die Entscheidung, respektiere sie aber. Das weitere Verfahren will er mit Gemeinderat abstimmen.

25.05.2022 UPDATE: 25.05.2022 18:06 Uhr 4 Minuten, 28 Sekunden

Die Erschließungsgegner warnten vor "Bodendiebstahl" in der Hinteren Mult. Foto: Kreutzer

Weinheim. (web) Paukenschlag in Weinheim: Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat den Bebauungsplan für die Hintere Mult gekippt. Einen Tag nach der mündlichen Verhandlung am Dienstag gab der Dritte Senat des VGH dem Normenkontrollantrag einer Weinheimer Bauernfamilie statt. Diese wäre unmittelbar von einer Umnutzung der Agrarfläche in ein Gewerbegebiet betroffen.

> Wie es nun weitergeht: Das ist noch ziemlich offen. Denn bislang liegt nur der "Tenor" der VGH-Entscheidung vor, sprich: das Urteil, aber ohne Begründung. Nach Angaben eines VGH-Sprechers ist im Juli mit einem entsprechenden Schriftsatz zu rechnen. Hiervon hängt ab, auf welche Weise die Stadt Weinheim die vom VGH monierten Verfahrensfehler bei der Erstellung des Bebauungsplans "heilen" kann. Fachleute gehen davon aus, dass dies nicht einfach wird. Es könne durchaus sein, dass das kommunalpolitische Verfahren wiederholt werden muss. OB Manuel Just hat angekündigt, die Urteilsbegründung abzuwarten. Dann will er mit den Ratsfraktionen erörtern, ob und wie das Verfahren zur Erschließung des 11,36 Hektar großen Geländes weiter betrieben wird.

> "Alter" Gemeinderat entschied unter "neuem" OB: Endgültig beschlossen wurde der Bebauungsplan zur Hinteren Mult am 22. Mai 2019. Das war vier Tage vor den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019, die die politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt veränderten, wenn auch nicht verschoben. Und es war die erste Ratssitzung unter der Leitung von OB Manuel Just, der nach der abgeschmetterten Wahlanfechtungsklage von Friedhild Miller endlich im Amt angekommen war. Die Mehrheit für den endgültigen Satzungsbeschluss war klar: Knapp zwei Dutzend Stadträte und OB Just stimmten dafür, Gegenstimmen kamen von der GAL. Auch aus der Weinheimer Liste, der FDP, der Partei "Die Linke" und vereinzelt aus anderen Fraktionen kamen Nein-Stimmen. Die Stadtgesellschaft hatte sich im Vorfeld einmal mehr tief gespalten gezeigt: Der Ton, in dem sich Kritiker und Befürworter des Gewerbegebiets auseinandersetzten, war verbittert. In der Sitzung versuchte der inzwischen verstorbene Grünenpolitiker Uli Sckerl eine Vertagung des finalen Beschlusses zu erreichen. Bei der Ausformulierung des entsprechenden Antrags kritisierte er die Verwaltung hart, auch OB Just traf sein Bannstrahl, nachdem der sich entschieden für die gewerbliche Entwicklung des Areals eingesetzt hatte.

> Was die Grünen heute sagen: Nach dieser Vorgeschichte ließ es sich die GAL-Fraktion nicht nehmen, die VGH-Entscheidung noch einmal ausführlich zu kommentieren: "Wir fühlen uns in unserer Haltung von 2019 bestätigt. Die GAL hatte als einzige Fraktion geschlossen gegen den Bebauungsplan Hintere Mult gestimmt" (Die Ausführungen zum damaligen Abstimmungsverhalten im Gemeinderat kommen von der GAL, Anm. d. Red.). Nun sei zu hoffen, dass eine in der Bevölkerung gestiegene Einsicht auch bei der Verwaltung ankommt: "Unsere Landschaft ist zu wertvoll, als dass sie einem weiteren Gewerbegebiet geopfert werden darf." Die GAL-Fraktion freue sich nun für die Landwirte, die weiter Flächen in der Nähe ihrer Höfe bewirtschaften können, und sie freue sich für die Bevölkerung, der ein gutes Stück Landschaft erhalten bleibe. "Die GAL hofft, dass die Fläche der Landwirtschaft erhalten bleibt. Sie hofft aber auch, dass für den Filterhersteller B&S eine gute Lösung gefunden wird, die ohne so eine immense Flächenversiegelung auskommt."

> Was die Bodenschützer sagen: Auch der Verein "Bürgerinitiative Breitwiesen" begrüßt das VGH-Urteil, da nun landwirtschaftliche Flächen vor der Versiegelung bewahrt bleiben. Gleichzeitig werde ein Gebiet der Kaltluftentstehung erhalten, dies schützt auch die Bürger in Zeiten des Klimawandels, teilen die Aktiven mit. "Im Sinne der Bewahrung unserer wertvollen Böden ist die Bürgerinitiative Breitwiesen überzeugt, dass dieses Urteil zukunftsweisend ist für unsere Stadtentwicklung: Die Feldflur kann aufatmen, der Ausuferung unserer Bebauung wird hoffentlich nicht nur vorläufig Einhalt geboten", heißt es vonseiten der Kritiker des Gewerbegebiets.

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Update: Donnerstag, 26. Mai 2022, 20.07 Uhr


Weinheim. (web) Boden ist ein knappes Gut, und so müssen Gerichte immer wieder kommunalpolitische Entscheidungen zu Flächenentwicklungen überprüfen. In Weinheim haben die Kritiker eines geplanten Gewerbegebiets heute einen Erfolg erzielt. Der dritte Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg hat den 2019 beschlossenen Bebauungsplan zur Entwicklung des rund 11,3 Hektar großen Gebiets Hintere Mult für unwirksam erklärt.

Die Stadt Weinheim muss die Kosten des Verfahrens tragen. Das bestätigte ein Sprecher des in Mannheim ansässigen VGH am Nachmittag gegenüber der RNZ. Oberbürgermeister Manuel Just reagierte am Abend mit einem kurzen Statement gegenüber Gemeinderat und Medien.  

Vertreter der Beschwerdeführer, einer alteingesessenen Bauernfamilie, und der Stadt Weinheim waren am Dienstag zur mündlichen Verhandlung in der Normenkontrollsache erschienen. Der VGH teilte seine Entscheidung am Mittwochvormittag mit, im Sinne eines "Tenors". Das bedeutet, dass die ausführliche Urteilsbegründung noch folgt.

Dies ist bei verwaltungsgerichtlichen Urteilen das übliche Vorgehen. Nach Angaben des VGH-Sprechers waren zwei Verfahren anhängig, die den Bebauungsplan betreffen. In beiden griffen Argumente der Antragssteller durch. Die Urteilsbegründung werde voraussichtlich im Juli vorliegen, sagte er. Noch ist die Entscheidung nicht rechtskräftig.

Der VGH hat zwar keine Revision zugelassen. Das bedeutet jedoch, dass der Stadt Weinheim theoretisch immer noch die Nicht-Zulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bleibt.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, die vom VGH monierten Fehler im Bebauungsplan zur Entwicklung der Hinteren Mult zu "heilen". Welche Schritte hierfür nötig sind, hänge von den Ausführungen des Senats in der schriftlichen Urteilsbegründung ab, so der Sprecher.

Der Gemeinderat hatte den Bebauungsplanbeschluss zur gewerblichen Entwicklung der Fläche im Südwesten der Stadt am 22. Mai 2019 mehrheitlich gefasst. Das kommunalpolitische Verfahren hatte noch in der Amtszeit von Alt-OB Heiner Bernhard begonnen.

Das dramatische Finale folgte in der ersten Ratssitzung unter der Leitung des heutigen Oberbürgermeisters Manuel Just: Als der Satzungsbeschluss anstand, protestierten Landwirte, Bodenschützer und Anlieger vor und im Sitzungssaal gegen die Umwandlung von Ackerboden in ein Gewerbeareal. Auf der anderen Seite hatten Unternehmer eine Interessengemeinschaft gegründet, die sich für eine gewerbliche Entwicklung an dieser Stelle einsetzte.

Auch die etablierten Interessenvertreter der Weinheimer Wirtschaft hatten diese mit Nachdruck eingefordert. Triebfeder einer Gewerbeentwicklung an dieser Stelle war ein benachbarter Filterhersteller, der sich vergrößern will.

Oberbürgermeister Just äußerte sich am Abend in einer ersten Stellungnahme: "Da uns eine Begründung noch nicht vorliegt, können wir zu den Gründen des Urteils und zu den Argumenten, die zu diesem Tenor geführt haben, noch keine Angaben machen. Aus Sicht der Verwaltung ist die Entscheidung bedauerlich, aber selbstverständlich zu respektieren."

Gerichtet an die Stadträtinnen und Stadträte der Zweiburgenstadt schreibt er: "Wir werden mit Ihnen abstimmen, wie dem Willen des Gemeinderats vor dem Hintergrund der Einzelheiten der erfolgten Rechtsprechung Rechnung getragen werden kann und welche Möglichkeiten bestehen, das Verfahren weiter zu bearbeiten."

Auch die Kritiker einer Gewerbeentwicklung in der Hinteren Mult äußerten sich. Die Aktiven des Vereins "Bürgerinitiative Breitwiesen" freuten sich für die betroffenen Landwirte, hieß es. Man hoffe nun, dass die Stadt Weinheim von weiteren Bemühungen um eine gewerbliche Entwicklung der Hinteren Mult absieht und die betroffenen Bauern ihre Hof-nahen Bewirtschaftungsflächen behalten dürfen.

Der Verein freue sich aber auch für die gesamte Stadtbevölkerung, da mit einer Gebäude-freien Hinteren Mult ein Kaltluftentstehungsgebiet erhalten bleiben könnte. "Auch wir freuen uns und hoffen sehr, dass sich die Stadt Weinheim einsichtig zeigt", so die Grüne/Alternative Liste (GAL). Weinheim müsse seine landwirtschaftlichen Flächen schützen: "Die Hintere Mult gehört dazu." Diese sei ein wichtiges landwirtschaftliches Gebiet.

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