Tafeln stehen vor einem "Riesenproblem"
Wegen der Corona-Krise mussten die Läden in Wiesloch und Walldorf schließen - Dringende Suche nach Lösungen

Wiesloch/Walldorf. (seb) Die Sicherheit der Mitarbeiter ebenso wie der Kunden stehen für die Tafeln in Wiesloch und Walldorf im Vordergrund. Daher reagierte man nach gemeinsamer Abstimmung auf die Gefahr der Ansteckung mit dem neuen Coronavirus, die beiden Tafelläden sind seit Mitte März und voraussichtlich bis zum 18. April geschlossen.
Es sind aber nicht nur Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Abstandsregelungen, die den Betrieb der Läden praktisch unmöglich gemacht haben, gegenwärtig werden den Tafeln auch weit weniger Lebensmittel als üblich überlassen und die verschärften Hygienevorschriften erschweren auch das Erarbeiten von alternativen Ideen zum Ladenverkauf. "Das ist für uns ein Riesenproblem", sagt Sonja Huth, Vorsitzende der Wieslocher Tafel.
Auf die damit eingetretene Notlage hat die RNZ auch ein Leser aufmerksam gemacht: Mit geschlossenen Tafelläden blieben den Betroffenen nur Supermärkte und Discounter, in denen gegenwärtig aber die günstigsten Artikel oft ausverkauft – und überdies Preissteigerungen zu befürchten seien.
Wegen Hamsterkäufen bleibt ...
Die Einschränkungen im Zug der Corona-Pandemie träfen also die Schwächsten am härtesten. Sonja Huth berichtet von einem Anruf des Tafel-Landesverbands, dass sich jemand aus der Region gemeldet habe, der ohne Tafel "nicht über die Runden kommt" und günstige Einkaufsmöglichkeiten suche. Aus eigener Erfahrung wisse sie: Man müsse schon von Glück reden, wenn man in den Geschäften etwas Hefe erhalte. Von daher sei verwunderlich, dass es nicht schon mehr Hilferufe gegeben habe.
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Mehr als 400 der deutschlandweit rund 950 Tafelläden sind bereits geschlossen, weiß Hans Klemm von der Walldorfer Tafel. Der Bundesverband der Tafeln befürchtet, dass weitere Läden demnächst dichtmachen. Wie Hans Klemm und Sonja Huth erklären, hat man zuerst an die Mitarbeiterteams gedacht. Walldorf hat über 100 Mitarbeiter, davon sind 48 jede Woche im Einsatz, um das Angebot aufrechtzuerhalten. In Wiesloch steht ein insgesamt 110-köpfiges Team hinter der Tafel. "Vom Alter her und wegen gewisser Vorerkrankungen gehören unsere Mitarbeiter großteils zur Risikogruppe", so Klemm. "Viele sind über 70", so Huth: "Wir mussten die Notbremse ziehen." Klemm sieht es genauso: "Das Risiko ist zu groß."
In Walldorf hat man zunächst auch Schutzmaßnahmen versucht, am letzten Öffnungstag wurden laut Klemm die Kunden nur einzeln hereingelassen, maximal drei wurden bedient, die anderen warteten draußen. "Das wurde akzeptiert." Doch für die aktuellen Abstandsregelungen "ist der Laden zu eng", erklärt er. In Wiesloch könne man es im Laden kaum durchsetzen, so Huth, und draußen vor dem Laden sei überhaupt nicht regelbar, wie nah die Kunden beisammenstehen. Zumal nicht alle von ihnen ausreichend Deutsch beherrschen, um korrekt auf die neuen Einschränkungen zu reagieren. Die für Sonja Huth auch unklar sind: "Sind wir ein Verein? Dann gilt das Versammlungsverbot. Oder sind wir ein Supermarkt? Dann müssten wir unseren Ehrenamtlichen Arbeitsbescheinigungen ausstellen – aber wir sind ja keine Arbeitgeber."
Erschwerend komme hinzu, dass zuletzt nur ein Drittel der sonst gespendeten Lebensmittel zur Verfügung standen, erklärt Hans Klemm. Grund seien die "Hamsterkäufe". "Obst und Gemüse etwa waren ausverkauft." Sonja Huth: "Es bleibt kaum Frischware für die Tafeln übrig. Wir könnten unsere Kunden gar nicht mehr so versorgen wie sonst." Wenn man nichts zu verteilen habe, so Klemm, könne man auch nicht verantworten, die Mitarbeiter dem Ansteckungsrisiko auszusetzen.

Ministranten sowie Jugendgruppen der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde haben in Walldorf bereits ein Hilfsangebot ins Leben gerufen für alle, die wegen der Corona-Einschränkungen selbst nicht einkaufen gehen oder sonstige Besorgungen erledigen können. Das Angebot wurde auch auf die Tafel ausgedehnt: Laut Hans Klemm war die Idee, die Waren den Tafel-Kunden nach Hause zu liefern. "Aber da gab es datenschutzrechtliche Bedenken." Sonja Huth sagt, sie gebe ihre eigenen Kontaktdaten bei Bedarf durchaus an, "aber die der Bedürftigen nicht". Zudem hätten sich auch zahlreiche Privatpersonen oder Vereine gemeldet, die bereit waren, im Laden auszuhelfen. Aber mit Blick aufs Kontaktverbot sei das eigentlich nicht zu machen, meint Klemm. Zu zweit zur Waren-Abholung zu fahren, sei nicht mehr möglich, so Huth, vor Ort im Supermarkt den Kontakt zu den Angestellten zu vermeiden, kriege man auch nicht hin.
Vor allen Dingen aber müssten die neuen Helfer auch eingelernt werden, erläutert Hans Klemm. Die Hygienevorschriften, die schon "vor Corona" streng waren, seien noch einmal verschärft worden. Das fange schon bei der Waren-Abholung an, ergänzt Sonja Huth, für neue Mitarbeiter seien intensive Schulungen vorab nötig und selbst dann könne man sie zunächst nicht alleine im Laden walten lassen, sondern brauche die erfahrenen Leute auch – die man dem Risiko aber nicht aussetzen wolle: "Die Älteren sollen zuhause bleiben. Es gibt Pflichtbewusste, die kommen, wenn wir sie rufen: Aber das kann niemand verlangen."
Zuletzt hatte die Walldorfer Tafel 144 Bedarfsgemeinschaften als Kunden, Einzelpersonen ebenso wie Familien mit bis zu neun Personen. Die leben nicht nur in Walldorf, sondern auch in St. Leon-Rot und Sandhausen. Auch das übrigens würde einen Lieferdienst erschweren, so Klemm. In Wiesloch sind es 299 aktive Tafelnutzer, etwa die Hälfte sind Alleinstehende und der Rest sind Familien mit bis zu neun Personen, einige kommen auch aus Nußloch.
Klemm räumt ein, dass die Tafeln formell ein Zusatzangebot schaffen, die Kunden seien eigentlich versorgt über Hartz IV oder die Grundsicherung im Alter. "Die Frage ist, wie man damit auskommt." Die Versorgung selbst mit nur dem Allernötigsten ist für die Betroffenen auch sonst alles andere als einfach. Mit Hartz IV könne es manchmal eng werden, weil "die Berechnungsmaßstäbe teils realitätsfremd sind", so Klemm, man denke etwa an die Mietkosten heutzutage. Und die Grundsicherung im Alter helfe auch nicht allen Rentnern. Zudem könne immer etwas Unvorhergesehenes passieren, ein Haushaltsgerät beispielsweise kaputt gehen, "dann reicht es hinten und vorne nicht".

Eines will Hans Klemm auch nicht verschweigen: Ohne Kunden, ohne Einnahmen, müsse die Tafel Ende des Jahres ein Defizit erwarten. Die laufenden Kosten etwa für Miete oder Versicherung fielen weiterhin an. Selbst mit Kundschaft komme man am Ende "null auf null raus", so habe man die Preise eigens kalkuliert. Sehr dankbar sei man daher für die Unterstützung der Stadt Walldorf und freue sich auch über weitere Zuwendungen von Sponsoren oder Spendern.
"Wir überlegen viel, stimmen uns ab und sind bemüht, so früh wie möglich wieder ein Angebot für unsere Kunden zu haben", erklärt Klemm. Denkbar wäre,
wenn alle Feinheiten etwa bezüglich der
... zu wenig für die Tafeln
Hygiene geklärt sind, fertige Lebensmittel-Pakete bereitzustellen oder tatsächlich an die Kunden zu liefern. Aber die Situation sei schwierig. Individuelle Einzellösungen wurden laut Sonja Huth angedacht, aber die gegenwärtigen Bedingungen machen es sehr schwierig. Zu viele Fragen seien offen, niemand wisse, wie sich die Situation weiterentwickle, sagt sie. Man könne nicht planen, da sich die Rahmenbedingungen permanent änderten und das, was eben noch möglich war, durch neue Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie verhindert werde.
Abschließend hebt Sonja Huth eines hervor: Die Tafeln als ehrenamtliche Organisationen seien "in die Bresche gesprungen", für den Staat nämlich. "Sie haben freiwillig diese Aufgabe übernommen, weil sie die Not gesehen haben." Aber eigentlich sei die Politik in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich auch ohne Tafeln mit dem Nötigsten versorgen können. Wenn Hartz IV oder Grundsicherung nicht ausreichten, müsse da nachgesteuert werden
Info: Näheres zu den Tafeln gibt es im Internet: www.wieslocher-tafel.de und www.walldorfer-tafel.de



