Weinheim zu Corona-Zeiten

Wie der Handel der Dinge harrt

RNZ hörte sich in Karlsberg-Carré, Weinheim Galerie auf der Hauptstraße und auf dem Marktplatz um

17.03.2020 UPDATE: 18.03.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 1 Sekunde
Die Händler müssen jetzt nicht mehr auf Mittelungen per Zettel zurückgreifen. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Weinheim. Wums. Die Tür fällt zu. Das Gespräch mit dem Center-Management der Weinheim Galerie ist beendet. "Wenn Sie wissen wollen, wie es läuft, dann gehen Sie durchs Center", rät die kurz angebundene Mitarbeiterin. Gesagt, getan. Aus den Katakomben des Einkaufszentrums geht es hinauf zu den Geschäften. Die haben am Dienstagmittag geöffnet. Dasselbe gilt für die kleinen Gastronomien, die sich um die Durchgangswege gruppieren. Viel los ist indes nicht, in dem tonangebenden Modepark ist man beinahe allein. Zwar wirkt niemand nervös oder gar panisch – aber dass die Corona-Krise nicht spurlos an der Innenstadt vorbeigeht, können auch die Passanten bestätigen.

Walter Bernhard, 75, nicht verwandt mit dem Alt-OB, ist aus der nahen Augen-Klinik ins Center gekommen. "Hier ist sonst viel mehr Betrieb", sagt er. Auch beim Arzt sei er sofort an der Reihe gewesen. "Das gibt es sonst nie." Auch er hat reagiert: Seinen 76. Geburtstag will er nicht feiern. Zwar hatte er Gäste eingeladen, aber jetzt ist die Feier verschoben. "Es sind ja alles ältere Leute."

Dass ein Centermanagement auch souverän antworten kann, zeigt sich ein paar Schritte weiter: im Karlberg-Carré. Auf dem Weg zum Management hört man Handwerker vor sich hinschaffen. Der Umbau der einstigen Passage in ein Carré ist noch immer im Gange. "Die Lage ist angespannt", so Mario Ningel am leeren Besprechungstisch. Der Konferenzbetrieb ist ausgesetzt. Telefonate und Videokonferenzen ersetzen den persönlichen Kontakt. Wer Büroarbeiten zu erledigen hat, kann dies von zu Hause aus tun. "Ich bin nur hier, weil ich um die Ecke wohne."

Ningel schätzt, dass derzeit alles in allem um die 300 Menschen im Carré arbeiten. Bislang wisse er von keinem bestätigten Corona-Fall. Was den Umbau und die Handwerker betrifft, wollen die Inhaber des Centers offenbar ein gewisses Maß an Fairness walten lassen. "Wir drehen keinem einen Strick daraus, wenn er seine Mitarbeiter daheim lässt", sagt Ningel. So lange alle gesund sind, sollten die Handwerksbetriebe selbst entscheiden, ob sie weiterarbeiten. Ansonsten appelliert er an die Vernunft aller: Man solle sich angesichts der Ansteckungsrisiken nicht zu nahe kommen, vor allem in den Pausen. Ob sich jeder daran hält? Auf dem Weg nach draußen sieht man zwei Handwerker gemütlich nebeneinander herschlendern.

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Kino-Chef will sein Team halten

Ein paar Schritte weiter steht man schon vor verschlossenen Türen: Das Moderne Theater hat seinen Betrieb einstweilig einstellen müssen. Eine Mitarbeiterin ist noch da, erledigt Aufräumarbeiten. Kino-Chef Alfred Speiser ruft später zurück. "Ich bind zuversichtlich, dass wir die Situation meistern – sofern sie nicht völlig außer Kontrolle gerät", sagt er. "Es ist mein Auftrag, diese Zeit zu überbrücken und meine Mannschaft zusammenzuhalten." Er hofft, dass der landesweite Erlass zur Einstellung von Theater-, Nightlife- oder eben Kinobetrieben schon vor dem 16. Juni gelockert wird. Und er setzt darauf, dass die Betriebe nicht allein auf den Schäden sitzen bleiben.

Für Kinos liefen die Geschäfte schon seit rund sechs Wochen eher mau, sagt Speiser. Schließlich seien wegen der Corona-Krise Drehs und Filmstarts ausgefallen. Er geht davon aus, dass es auch nach der Wiedereröffnung um die sechs Wochen dauert, ehe sich der Betrieb normalisiert. Immerhin: Viele gesellschaftliche Gruppen, die das Kino nutzen, hätten schon ihre Unterstützung zugesagt. Wieder sind es nur ein paar Schritte über die Hauptstraße, ehe man die Buchhandlung Schäffner erreicht. Und Überraschung: Buchhändlerin Silvia Mayer spricht von großen Umsätzen, geraden in den letzten Tagen.

Nicht allein Privatleute decken sich – in Erwartung des "Lockdown" – mit Lesestoff ein: Kartons stapeln sich auf einem Treppenabsatz. Eine Grundschule hat bestellt. "Wir haben einen Webshop und arbeiten daran, dass wir die Bücher liefern können – auch wenn die Kunden nicht mehr zum Abholen in den Laden kommen können", sagt Schäffner. Grundsätzlich hat aber auch sie Respekt vor der Krise. Sie ist im Vorstand des Vereins Lebendiges Weinheim, der die Händler vertritt.

"Die Stimmung ist beklemmend", sagt Vorstandsvorsitzender Christian Mayer, Florist. Am Dienstagmittag kursieren viele Annahmen. Erst im Verlauf des Nachmittags zeichnet sich ab, dass die meisten Geschäfte wohl am Donnerstag schließen. "Uns fehlen konkrete Aussagen", sagt Mayer. Einige Mitglieder hätten ihre Läden geschlossen, zum Teil in der Annahme, dass sie das müssen. Auch die Kunden stellen Fragen. Er selbst komme klar, so Mayer. Aber das gehe nicht jedem so. Die beiden Mayers appellieren an die Kunden, den lokalen Handel zu unterstützen. So stehe es jedem frei, Gutscheine zu verschenken.

Auf dem Marktplatz haben sich einige Flaneure vor den Cafés und Restaurants niedergelassen. Carola Bährend ("Tafelspitz") bittet darum, die Gastronomen jetzt nicht weiter zu befragen. Für Donnerstag ist eine Presserunde anberaumt. Dass die Lage hier angesichts etlicher Stornierungen ernst ist, weiß jeder.

Ein paar Schritte bergauf wird deutlich, wie surreal die Situation ist. Im Schlosspark. Mitten in die allgemeine Verunsicherung scheint die Sonne hinein. Vögel singen. Es duftet nach Frühling.

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