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Aus "Erbfeinden" wurden Erbfreunde

Hohensachsen und Anet feiern an diesem Wochenende 50 Jahre Verschwisterung. Ein Gespräch mit Zeitzeuginnen der ersten Stunde.

30.06.2024 UPDATE: 30.06.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden
Rückblick auf 50 Jahre Jumelage: Hohensachsens Ortsvorsteherin Monika Springer sowie Bernd und Gretel Förster vom Partnerschaftsverein (stehend, v.l.) hörten den Zeitzeuginnen Mathilde Gaber und Elisabeth Mayer (sitzend, v.l.) zu. Foto: Kreutzer

Von Günther Grosch

Weinheim-Hohensachsen/Anet. Vor einem halben Jahrhundert, auf den Tag genau am 29. Juni 1974, wurde von dem ehemaligen Ortsvorsteher Lothar Bock und seinem französischen "Amtskollegen", Bürgermeister Hubert Baraine, durch beider Unterschriften unter das Verschwisterungsdokument der Grundstein gelegt. An diesem Wochenende feiern Hohensachsen und das 621 Kilometer entfernt liegende Anet (im südwestlich von Paris gelegenen Département Eure-et-Loir) die Wiederkehr des 50. Gründungsdatums der Partnerschaft.

Hohensachsen sei stolz auf diese fünf Jahrzehnte gelebter Völkerverständigung, so die heutige Ortsvorsteherin Monika Springer. Dies gelte insbesondere in Zeiten politischer Umbrüche und nicht zuletzt aktuell mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. Getragen wird die Partnerschaft von Hohensachsen und Anet in gleicher Weise, auf deutscher Seite mit Leben gefüllt insbesondere von den Mitgliedern des 1986 gegründeten Partnerschaftsvereins. Hinzu gesellen sich viele Familien, Vereine und Einzelpersonen. Unter ihnen Mathilde Gaber und Elisabeth Mayer sowie an vorderster Stelle die Vorsitzenden des Partnerschaftsvereins, Anette Roland und Gretel Förster.

Sie alle hätten die Partnerschaft zu einer echten und unverbrüchlichen Freundschaft wachsen lassen, so Springers Lob. Der Partnerschaftsverein fungiere dabei als Bindeglied zwischen allen Beteiligten und fülle die von Scharfsinn und Ausdauer geprägten Gedanken der Gründerväter mit Leben. Freundschaft kenne keine Grenzen, keine Sprachbarrieren und keine Probleme aus der Vergangenheit, bekräftigten Gretel und Bernd Förster im Pressegespräch, in dessen Verlauf sie mit Mathilde Gaber und Elisabeth Mayer Rückschau hielten. Beide, jede von ihnen inzwischen 89 Jahre alt, waren als Zeitzeuginnen von der ersten Stunde an dabei.

Man dürfe mit Fug und Recht behaupten, dass der Wunsch nach Zusammenarbeit und wechselseitigem Verständnis in den zurückliegenden 50 Jahren erfüllt wurde, war sich das Quintett einig. Die Partnerschaft habe ihre Bewährungsproben wieder und wieder bestanden.

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Während eines Urlaubs im Nachbarland hatte Lothar Bock dem Soldatenfriedhof Saint-André-de-l’Eure einen Besuch abgestattet. Dort war er mit dem Ehepaar Kerzendörfer zusammengetroffen, das den Friedhof betreute. Wie es der Zufall so wollte, hatten sich die Kerzendörfers schon längere Zeit um eine Kontaktpflege zwischen französischen und deutschen Gemeinden bemüht. Noch für den gleichen Abend wurde ein Treffen mit Bürgermeister Baraine vereinbart.

"Unser Gespräch verlief in sehr kollegialer, aufgeschlossener und besonders sympathischer Weise. Wozu auch die deutschen Sprachkenntnisse beitrugen, welche sich mein Kollege in seiner fünfjährigen Kriegsgefangenschaft angeeignet hatte", notierte sich Bock. Der Anfang war gemacht. Wozu anderntags auch ein Spaziergang durch Anet und Bocks Staunen "über die schöne Landschaft und die Lage in einer waldreichen Gemarkung" beitrugen. Schon am 29. Juni 1974 wurden Fakten geschaffen, nachdem zuvor eine Delegation mit Stadträten aus Anet auch in Hohensachsen gewesen war und sich gleichfalls für die Städtepartnerschaft ausgesprochen hatte. Waren es zu Beginn lediglich die Stadt- und Ortschaftsräte, die bei gegenseitigen Besuchen die Partnerschaft voranbrachten, so wurden es mit der Zeit mehr und mehr die Vereine, etwa der Posaunenchor, der Männergesangverein 1850 und die Fußballer. Hinzu kamen vermehrt Schüler- und Jugendaustausche.

"Am Anfang ging Lothar Bock sogar von Haus zu Haus und fragte jeweils nach, ob nicht auch die dort wohnhaften Kinder an einem Besuch in Frankreich Interesse hätten", so Gaber. In Verdun erfolgte jeweils die "Übergabe" der Jugendlichen, ergänzt Förster. Nicht oder nur rudimentär vorhandene Sprachkenntnisse spielten keine Rolle. Dass das Interesse unter den Heranwachsenden auf beiden Seiten im Laufe der letzten Jahre nachgelassen hat, stößt bei allen Beteiligten auf Bedauern, findet aber auch Verständnis. Die junge Generation fliege lieber in weiter entferne Länder. Im Nachbarland seinen Urlaub zu verbringen, fänden die meisten "weniger cool".

Sie selbst pflege ihre im Laufe der vergangenen 50 Jahre aufgebauten Kontakte brieflich, so Gaber. Reisen nach Anet seien ihnen mittlerweile angesichts ihres hohen Alters zu anstrengend, macht Mayer deutlich. Zudem seien viele ihrer französischen Freunde verstorben. Dennoch, so das Fazit, erfülle die Partnerschaft auch nach einem halben Jahrhundert noch ihren Zweck im Sinne von Völkerverständigung und der Schaffung einer in Frieden geordneten Welt.

Die "Erbfeindschaft" habe sich "Erbfreundschaft", in wohlgesonnene Nachbarschaft umgewandelt, so Springer. In den zurückliegenden 50 Jahren sei die Partnerschaft zur Selbstverständlichkeit geworden. Gerade deshalb sei die "Verjüngung" dringend notwendig. Denn nicht nur der Partnerschaftsvertrag an sich sei in die Jahre gekommen, sondern auch die Mehrzahl der von ihm getragenen Hohensachsener. Angesichts der aktuell um sich greifenden Europaskepsis und des Kriegs inmitten Europas sei es von fundamentaler Bedeutung, den Europagedanken bei der jungen Generation zu stärken. "Persönliche Kontakte und Freundschaften sind hierfür zentral."

Info: Der Festabend zur 50. Wiederkehr der Gründung der Partnerschaft von Hohensachsen und Anet findet am Samstag, 29. Juni, 17 Uhr, in der Mehrzweckhalle Hohensachsen, Lessingstraße 27, statt.

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