"20 Minuten blieben uns, um die nötigsten Sachen zu packen"
Lyudmila Bolgar berichtete eindrücklich von dem Morgen der ersten russischen Bombenangriffe.

Walldorf. (al) Zu einem facettenreichen Gebetsabend lud die Freie evangelische Gemeinde Wiesloch-Walldorf in ihr Gemeindezentrum ein. Neben einer Sammelaktion für Hilfsgüter, die über die Auslandshilfe der Freien evangelischen Gemeinden in die Grenzregion zu den Flüchtlingscamps transportiert werden, wollte die Gemeinde ein Zeichen setzen und mit ihren Mitteln der schlimmen Situation in der Ukraine etwas entgegensetzen.
Lukas Di Nunzio, der durch seine Arbeit im christlichen Musikbereich schon einige Male auf Konferenzen in der Ukraine gesprochen und dadurch auch Beziehungen in das Land hat, moderierte den Abend und begrüßte Lyudmila Bolgar und ihren Sohn Julian, die aus der Nähe von Kiew stammen. Bolgar berichtete eindrücklich von dem Morgen der ersten russischen Bombenangriffe, wie ihr Mann sie um 5 Uhr geweckt und zur Flucht gedrängt hatte.
Zunächst habe sie es nicht wahrhaben wollen, berichtete Bolgar, doch als sie aus dem Fenster blickend die Nachbarn bereits auf der Flucht und Panzer vorbeirollen sah, wurde ihr bewusst: Der Krieg hat begonnen. "20 Minuten blieben uns, um die nötigsten Sachen zu packen und loszufahren." Im Rückblick sei sie froh, so gehandelt zu haben, erklärte Bolgar.
Denn die Alternative wären Nächte in Bunkern und Tiefgaragen gewesen, ohne Essen, erklärte sie. Die Benzinknappheit hätte eine spätere Flucht auch zusätzlich erschwert. Nach einigen Tagen auf der Flucht innerhalb der Ukraine entschied sich die junge Familie schweren Herzens, dass sie und ihr Sohn über die Grenze zunächst nach Rumänien gehen werden, so Bolgar.
Da alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen, musste ihr Mann in dem umkämpften Land bleiben. Er engagiert sich ihren Worten nach in der Südwestukraine beim Transport und der Verteilung von Lebensmitteln und hilft anderen Menschen bei der Ausreise aus dem Land.
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Lyudmila und ihr Sohn sind mittlerweile bei Verwandten im südlichen Hessen untergekommen. Viele Gebäude in und nahe Kiew, so auch das Kongresszentrum, in dem Lukas Di Nunzio noch vor Monaten gesprochen hatte, sind mittlerweile zerbombt. Er berichtete aber auch von einer Baptistengemeinde, deren Kirchengebäude noch steht, obwohl alle umliegenden Gebäude bereits zerstört wurden.
Pastor Michael Pöpel ging in seiner Andacht zu Hoffnung auch in solchen Krisenzeiten auf Psalm 62 ein, in dem es heißt: "Nur bei Gott komme ich zur Ruhe, denn meine Hilfe kommt von ihm. Nur er ist mein Fels, meine Rettung, meine sichere Burg, in der mir kaum etwas geschehen kann."
In unterschiedlichen Gruppengebeten wurde dann für die Geflüchteten und die voneinander getrennten Familien gebetet, für die politisch Verantwortlichen und für Frieden in der Ukraine, aber auch für die anderen Konfliktherde und kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Welt. Gebete in Form von modernen Lobpreisliedern, begleitet von Alexander Lucas und Lukas Di Nunzio, ließen den Abend facettenreich werden. In den Liedtexten ging es vor allem um Halt, Zuflucht, Trost und Geborgenheit. Emotionaler Höhepunkt war der Liedvortrag des siebenjährigen Julian, der ein Lied auf Ukrainisch vortrug, in dem es um den Frieden in dem Land ging.



