Volkshochschule Weinheim

Mehr als 700 Menschen lernen hier Deutsch

Soroptimistinnen verliehen Volkshochschule "Tafel der Menschenrechte" - Flüchtlinge erzählten Schockierendes und Ermutigendes

11.12.2018 UPDATE: 12.12.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 30 Sekunden

Kerstin Hüfner (l.), Präsidentin der Weinheimer Vereinigung von "Soroptimist International", übergab die Tafel der Menschenrechte an VHS-Leiterin Cristina Ricca. Foto: Kreutzer

Von Günther Grosch

Weinheim. "Natürlich" heißt das deutsche Lieblingswort von Ahmad aus dem syrischen Aleppo. Ein anderer Flüchtling, der 28-jährige Muhammad aus Afghanistan, hat noch nie eine Schule von innen gesehen. Lesen, Schreiben und Rechnen waren ihm bisher fremd. Beide jungen Männer gehören zu einer Gruppe von 15 Flüchtlingen, die in der Volkshochschule (VHS) Badische Bergstraße gerade einen Alphabetisierungskurs absolvieren.

Anfang dieser Woche zeigten sie aus einem besonderen Anlass, was sie bereits gelernt haben und wie gut sie schon die deutsche Sprache verstehen und anwenden können. Den Hintergrund für die Zusammenkunft lieferten die Serviceclub-Damen der Weinheimer Vereinigung von "Soroptimist International" (SI). Feierte an diesem Tag doch der am 10. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen ausgerufene "Tag der Menschenrechte" seinen 70. Geburtstag.

Kursteilnehmer aus 65 Ländern

Weinheims Soroptimistinnen nutzen diesen Tag seit inzwischen acht Jahren dazu, alljährlich eine weiterführende Schule oder eine andere Bildungseinrichtung mit einer "Tafel der Menschenrechte" auszuzeichnen. Auf die Acryltafel graviert sind Auszüge aus den Artikeln 1, 2 und 3 des Grundgesetzes. Denn, so SI-Präsidentin Kerstin Hüfner: "Wir sind gekommen, weil uns die Bildung und die Menschenrechte am Herzen liegen." Vor allem aber auch deshalb, weil man gesehen habe, mit wie viel Wertschätzung und Achtung gegenüber anderen hier gearbeitet wird: "Darüber hinaus leistet die VHS vorbildliche Integrationsarbeit und schreibt damit die Menschenrechte in Wort und Tat mit großen Buchstaben."

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Alphabetisierung sei ein Menschenrecht - in seiner elementarsten Form, verdeutlichte VHS-Leiterin Cristina Ricca. Mit der Verabschiedung der Globalen Nachhaltigkeitsagenda habe sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, bis 2030 eine hochwertige, inklusive und chancengerechte Bildung für Menschen weltweit und jeweils ein Leben lang sicherzustellen. Ziele wie ein gleichberechtigter und bezahlbarer Zugang zu einer hochwertigen beruflichen oder akademischen Bildung seien aber nur für diejenigen erreichbar, die lesen, schreiben und rechnen können.

Im Kontext zum Tag der Menschenrechte weisen die Vereinten Nationen stets darauf hin, dass jeder Tag ein Tag der Menschenrechte sein müsse. Ricca: "In unserer Volkshochschule versuchen wir, diese Rechte jeden Tag zu verteidigen." Ein Gesamtbild, was die VHS Badische Bergstraße unter Integration und Interkultureller Bildung versteht, zeichnete der stellvertretende Leiter der VHS, Klaus Rippel.

War man 1963 noch "bescheiden" mit Deutschkursen für Gastarbeiter aus Spanien und Italien gestartet, so ist der Unterrichtsumfang mittlerweile auf 154 Kurse mit 700 Unterrichtseinheiten und 13.129 gehaltenen Unterrichtsstunden angestiegen. Derzeit lernen mehr als 700 Frauen und Männer an vier Tagen in der Woche jeweils fünf Stunden lang bei 43 Kursleitern Deutsch. Ein Drittel der Stunden entfällt auf Alphabetisierungskurse. In diesem Jahr kommen die Teilnehmer aus 65 Ländern. Spitzenreiter sind die Menschen aus Syrien mit 31,4 Prozent. In weitem Abstand folgen Frauen und Männer aus Afghanistan (7,6), dem Irak (6,7), Eritrea (5,7) und der Türkei mit 5,2 Prozent.

Stolz ist man in den Reihen der Weinheimer Einrichtung auf die Übernahme einer außergewöhnlichen Vorreiterrolle: In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Volkshochschulverband (DVV) ist man dabei, in Anlehnung an das deutsche VHS-System in Marokko ein ähnliches Netz von Erwachsenenbildungszentren einzurichten. "Die ersten sogenannten Universités pour tous (UPTs) befinden sich in Rabat, Casablanca und Fès", so Rippel: "Weitere acht Volkshochschulen in der Bundesrepublik sind bereit, dem Weinheimer Beispiel zu folgen."

"Keine Sicherheit, keine Arbeit, kein Geld, alles kaputt. Tag und Nacht nur Bomben, Tote und Angst": Schockierende Details von seiner Flucht aus dem Kriegsgebiet um Aleppo, von tage- und nächtelangen Fußmärschen durch die Türkei und Griechenland, schilderte Hassan. 4000 Euro, zusammengekratzt von Freunden, kostete der Platz im Schlauchboot (!), das nach wenigen Seemeilen unterging. Fünf Stunden schwammen Hassan und die übrigen Insassen um ihr Leben, ehe die Besatzung eines Schiffs sie rettete. Hassans Frau und seine vier Kinder waren in Aleppo zurückgeblieben.

Von ihrem neuen Leben in Deutschland, ihren Hobbys und insbesondere dem Deutschunterricht in der VHS berichteten Tesfit, Ferhan, Ahmad, Muhammad, Turkie, Mahmoud und der mit Feuereifer das Geigenspiel erlernende Mohammad. Um ihre sechs und sieben kleinen Kinder kümmern sich Najiba und Mawloda. "Umso lobenswerter der Eifer, mit dem sie trotzdem die Alphabetisierungskurse besuchen", waren sich die Gäste der Feierstunde, unter ihnen auch Bürgermeister Torsten Fetzner und die Vorsitzende der VHS, Erika Heuser, einig.

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