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Warum 15 Hektar Sandhäuser Wald zu roden Naturschutz ist

Der Wald soll für Sandrasen weichen – Gemeinderat stimmte für Ausweisung der Fläche "Brühlwegdüne"

01.07.2019 UPDATE: 02.07.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden

Auf der aktuell noch dicht bewaldeten Fläche südlich der Landesstraße L598 wird sich vieles ändern: Das geplante Naturschutzgebiet "Brühlwegdüne" gilt als einmaliges Projekt. Foto: Alex

Von Lukas Werthenbach

Sandhausen. Fast bis in die Eiszeit reicht die Vorgeschichte dieses einzigartigen Naturschutz-Projekts zurück: Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung einstimmig der Ausweisung des 32 Hektar großen Naturschutzgebiets "Brühlwegdüne" zugestimmt. Die Ursache dieses Beschlusses liegt zwar keine Jahrtausende, aber bereits eine Weile zurück: Die Gemeinde hatte sich im Jahr 2015 per Ratsbeschluss zur Umsetzung einer ökologischen Ausgleichsmaßnahme für den Nicht-Rückbau der Landesstraße L600 verpflichtet (siehe "Hintergrund").

Eine kartografische Darstellung des geplanten Naturschutzgebiets. Grafik: RNZ-Repro

"Das Gebiet liegt südlich der L598, verläuft von Nord nach Süd und schließt im Osten an Leimen-St. Ilgen und die Bahnlinie an", erklärte Ortsbaumeister Michael Schirok im Räterund. Das derzeit noch vollständig bewaldete Gebiet soll zum Lebensraum für seltene, teils gefährdete Tier- und Pflanzenarten werden. Das funktioniert naturgemäß nicht von heute auf morgen. Geplant sind mehrere Phasen in einem Zeitraum von insgesamt 20 Jahren. In diesem sollen sogenannte Steppen-Kiefernwälder und Sandrasen- sowie Sandheidenflächen entwickelt werden. "Es handelt sich dabei um ein Entwicklungs-Naturschutzgebiet, bei dem bestimmte Arten nicht einfach nur geschützt werden. Sondern die Fläche hat ein besonderes Potenzial, Lebensräume überhaupt erst neu zu entwickeln", sagte Schirok. Insbesondere in Bezug auf den Sandrasen gebe es bundesweit nur "ganz wenige Standorte" mit ähnlich hochwertigen Voraussetzungen. Als "Sandrasen-Fan" gab sich in der Ratssitzung Bürgermeister Georg Kletti zu erkennen; er bezeichnete das geplante Naturschutzgebiet als "Jahrtausendprojekt".

Vorgesehen ist in den ersten zehn Jahren die Entwicklung von 7,5 Hektar Steppen-Kiefernwäldern. Wenn dieses Ziel erreicht ist, sollen weitere 7,5 Hektar folgen. "Der bestehende Wald wird quasi umgebaut", erklärte Jost Armbruster vom Referat für Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium Karlsruhe (RP). Er koordiniert unter anderem das Projekt "Brühlwegdüne". Zur "Herstellung" des besonderen Kiefernwaldes werden vereinzelt Bäume gefällt. So wird der Wald "aufgelichtet", sodass mehr Sonnenstrahlen den Boden erreichen. Dadurch soll etwa das seltene Weißmoos heranwachsen. "Das gibt es fast nirgends mehr", so Armbruster. In derartiger Umgebung könnten sich seltene Tierarten wie der Ziegenmelker ansiedeln, der zur Vogelfamilie der Nachtschwalben gehört.

Mit der schrittweisen Entwicklung von insgesamt 15 Hektar Sandrasen und Sandheiden soll das Gebiet in einen Zustand versetzt werden, in dem es sich zuletzt vor über 10.000 Jahren befand: am Ende der Eiszeit. Die Dünen um Sandhausen bestehen aus Sand, der vom Rhein stammt und damals durch Windverwehungen in die Region gelangte. Teile der in den folgenden Jahrtausenden mit Wald bewachsenen Fläche sollen nun gerodet werden. Dabei bleiben sogenannte Habitatbäume, also bereits bestehende besondere Lebensräume anderer Lebewesen, erhalten. "Dann wird der Waldboden abgetragen, bis man auf die ursprüngliche Sandschicht aus der Eiszeit trifft", schildert Armbruster.

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Hintergrund

Das Naturschutzgebiet "Brühlwegdüne" ist eine von vier Maßnahmen, die den Bau der Bundesstraße B 535 vor rund 30 Jahren ökologisch ausgleichen sollen. Eigentlich sollte damals die Landesstraße L 600 als Ausgleich zurückgebaut werden. Da es dazu aber nie kam, wurde ein

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Das Naturschutzgebiet "Brühlwegdüne" ist eine von vier Maßnahmen, die den Bau der Bundesstraße B 535 vor rund 30 Jahren ökologisch ausgleichen sollen. Eigentlich sollte damals die Landesstraße L 600 als Ausgleich zurückgebaut werden. Da es dazu aber nie kam, wurde ein Alternativkonzept aufgestellt. Neben der "Brühlwegdüne" gehören dazu die Verbindung von Sandrasenflächen im Naturschutzgebiet "Pflege Schönau-Galgenbuckel", die Herstellung von Sandrasenflächen im Schwetzinger Naturschutzgebiet "Hirschacker-Dossenwald" und die Aufwertung der Landschaft im Umfeld der beiden Straßen. Das Konzept hat ein Walldorfer Planungsbüro erarbeitet, das Regierungspräsidium Karlsruhe koordiniert das Projekt. (luw)

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Der ursprüngliche Plan sah vor, insgesamt nur 2,8 Hektar Sandrasen zu schaffen. Die in die Planung eingebundenen Naturschutzverbände wie BUND und Nabu äußerten aber Änderungswünsche: So sollte nach deren Willen die Gesamtfläche an Sandrasen auf die nun angestrebte Größe von 15 Hektar erweitert werden. Dies erachtet die Verwaltung laut Sitzungsvorlage ebenfalls "aus ökologischer Sicht als wertvoll". Damit kamen RP und Gemeinde auch dem Wunsch der Naturschutzverbände nach, eine wesentlich größere Waldfläche zu roden, die nicht an anderer Stelle durch Wiederaufforstung ausgeglichen wird. Darauf reagierten die Ratsfraktionen vor dem Hintergrund der Proteste gegen die Erweiterung des Geländes beim SV Sandhausen auf unterschiedliche Weise (siehe Artikel unten).

Die Sandrasenflächen, die sich nach dem Abtragen des Waldbodens auf dem Gebiet entwickeln sollen, dürfen zusammenhängend nicht größer als einen Hektar sein. Daher verteilen sich die Flächen laut Planung wie kleine Flecken auf dem insgesamt 32 Hektar großen Naturschutzgebiet. Als Beispiel für bereits bestehende Sandrasenflächen nennt Armbruster das Sandhäuser Naturschutzgebiet "Pferdstriebdüne", das er bezüglich des besonderen Untergrunds als "Highlight im ganzen Land" bezeichnet.

Ortsbaumeister Schirok erklärte in der Gemeinderatssitzung, dass sich die Träger öffentlicher Belange bis Ende Juli zu den Plänen äußern können. "Sofern keine Änderungen erfolgen, wird auch im Gemeinderat keine Beratung mehr dazu stattfinden." Ob die Ausweisung des Naturschutzgebietes noch in diesem Jahr oder erst 2020 rechtskräftig wird, hängt laut Schirok vom Verfahren ab, das vom RP gesteuert wird.

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