"Ohne Erneuerung wird Kirche in der Irrelevanz verschwinden"
Diese These stellt Viera Pirker von der Uni Frankfurt auf. Junge Menschen brauchen Räume und Orte.

Symbolfoto: dpa


(45) lehrt Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt
Von Sabrina Lehr
Frankfurt. Professor Dr. Viera Pirker (45) lehrt seit 2020 Religionspädagogik und Mediendidaktik an der Goethe-Universität in Frankfurt. Die RNZ hat mit ihr über die Katholische Kirche und deren Umgang mit jungen Menschen gesprochen.
Frau Professor Pirker, wie steht es um die Katholische Kirche in Deutschland?
Die Katholische Kirche in Deutschland steht derzeit zwischen Zukunft und Selbstaufgabe. Ich empfinde es institutionell als fahrlässig, wie sie mit den Belangen junger Menschen umgeht. Es gibt zu wenig Förderung in diesem Bereich und Aufmerksamkeit für offene Jugendarbeit gibt es in ganz vielen Gemeinden nicht mehr. Ohne kirchliche Jugendarbeit ist aber die Zukunft der Kirche gefährdet.
Woran liegt das?
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Auch unter den jungen Erwachsenen geht die Sorge um, dass Tradiertes verloren geht. Man hat eine Entscheider-Karriere im katholischen Umfeld im Alter von 50 plus – da kümmert man sich nicht mehr um das, was 19- oder 17-Jährige berührt.
In den Sonntagsgottesdienst gehen auch eher ältere Menschen...
Die Interessen der klassischen Eucharistiefeier decken sich nicht unbedingt mit den Belangen junger Menschen. In den Gottesdienst gehen die, die dort einen religiösen Ankerpunkt finden. Eine große Chance sehe ich aber in "Übergangsgottesdiensten" wie Taufen oder Hochzeiten. Das sind Stellen, bei denen Menschen sakramental in Kontakt kommen und punktuelle Momente, die selten sind, aber deshalb nicht unwichtig. Sie müssen viel treffender und ansprechender gestaltet werden.
Mit dem Synodalen Weg hat die Kirche einen Reformprozess angestoßen.
Ich halte den Synodalen Weg für den zentralen Reformprozess in der Gegenwart unserer Katholischen Kirche in Deutschland und habe viel Hoffnung. Da ist viel Dialog, da wird um vieles gerungen, was vor wenigen Jahren noch undenkbar war. Es läuft nicht immer gut, aber ich halte es für essenziell, vielleicht sogar überfällig, dass hier viele Menschen mit so einer großen Ernsthaftigkeit an gemeinsamen Tischen sitzen. An einen Erneuerungsprozess glaube ich fest. Ob es zu einer Wiederbelebung der römisch-katholischen Strukturen kommt, weiß ich nicht. Ohne diesen Prozess wird die Kirche mehr in der Irrelevanz verschwinden.
Was ist nötig, damit die Katholische Kirche für junge Menschen wieder attraktiv wird?
Ganz viel Vertrauen in die Belange junger Menschen. Sie brauchen Orte und Räume. Wichtig wäre, spirituelle Orte nicht zu schließen und geistige und politische Orte für Jugendliche mit hoher Priorität behandeln.
Gibt es dafür Ansätze?
Ich sehe da leider wenig. Ich sehe viele junge Menschen, die aktiv sind, ich höre von ihnen auch viel Frust. Gerade jungen Menschen ist es ein Anliegen, andere zu begleiten: Sie fragen sich, wie es mit dem Glauben in unserer Gesellschaft weitergehen kann, und setzen sich dafür ein, anderen jungen Menschen Erfahrungen zu ermöglichen.
Wie sieht die Katholische Kirche 2070 aus?
Sie wird viel kleiner sein, gesellschaftlich eine viel geringere Bedeutung haben, was sich durch weiter sinkende Mitgliederzahlen automatisch ergeben wird. Wir werden noch stärker von einer säkularen Gesellschaft sprechen. Aber darin stecken für mich auch Chancen. Wenn junge Menschen sich für eine Selbstausrichtung in einem religiösen Kontext entscheiden, tun sie das mit guten Gründen, klarem Gewissen und einer stabilen Haltung. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht komplett um christliche Religiosität geschehen sein wird, eher das Gegenteil. Wie viel daran noch "katholisch" ist, werden wir sehen.