Telefonseelsorge in Wiesloch

Zuallererst gehe es ums Zuhören und sich Einfühlen

Elke Rosemeier berichtet über die Telefonseelsorge in Zeiten des Corona-Virus - Ziel: die Lebensgeister der Menschen zu wecken

29.03.2020 UPDATE: 30.03.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
Ihr offenes Ohr ist in diesen Krisenzeiten mehr denn je gefragt: Telefonseelsorgerin Elke Rosemeier. Archiv-Foto: Pfeifer

Von Anton Ottmann

Wiesloch. Eine ältere Dame beklagt sich, dass sie wegen "Corana" keinen Besuch mehr von den Enkeln bekommt. Ein Mann sorgt sich, weil seinem selbstständigen Sohn die Aufträge weggebrochen sind und eine alleinerziehende Mutter muss während der Arbeit ihr Kind unbeaufsichtigt in der Wohnung zurücklassen. So und ähnlich sind die Probleme, wegen denen viele Menschen zum Hörer greifen und die Nummer der Telefonseelsorge anrufen.

Pfarrerin Elke Rosemeier, die zehn Jahr lang als evangelische Gemeindepfarrerin in Schatthausen tätig war und danach von 2009 bis 2016 die Kirchengemeinde Leimen betreute, leitet heute die ökumenische Telefonseelsorge Rhein-Neckar in Mannheim. Wie die RNZ von ihr erfuhr, haben die Anrufe dort stark zugenommen und die rund 160 ehrenamtlichen und drei hauptberuflichen Mitarbeiter stehen am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. "Wenn man auflegt, klingelt es!" Noch könne man den Ansturm bewältigen, da viele Kolleginnen und Kollegen ihren Einsatz am Telefon verlängert hätten, so Rosemeier. Außerdem habe man alle Fortbildungen und Supervisionen, die eigentlich für den seelischen Rückhalt der Mitarbeiter sorgen sollten, zurzeit gestrichen.

Jeder zweite Anruf habe zurzeit in irgendeiner Form mit "Corona" zu tun, berichtet Elke Rosemeier. Das Virus sei lebensbedrohlich, könne zum Tod führen und jeden treffen. Die Einsamkeit, die für viele Menschen auch sonst ein großes Problem sei, verstärke die Ängste in einer solchen Situation noch enorm. Außerdem fehlten vor allem den allein Lebenden die täglichen kleinen Begegnungen beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Singen im Chor oder beim Kirchgang, wo man sich normalerweise austauschen könne. Bezeichnend sei hier auch, dass zurzeit mehr als die Hälfte der Anrufe aus der Altersgruppe zwischen 60 und 80 Jahren kommen, so Rosemeier, ansonsten liege der Altersdurchschnitt um gut zehn Jahre niedriger.

Die Frauen und Männer am Notruftelefon könnten allerdings selbst nicht mit konkreten Lösungen und Hilfen dienen, sondern verweisen die Anrufer an Beratungsstellen, Hilfsorganisationen und Selbsthilfegruppen, eventuell auch an den Mieterverein oder die Jobbörse. Zuallererst gehe es aber um das Zuhören, Ernstnehmen, sich Einfühlen, dabei müsse man auch auf Zwischentöne achten. Bei manchem verstärke die gegenwärtige Krise ein altes oder tiefergehendes Problem, oder es komme dadurch erst zum Vorschein. So könne hinter der Klage über Einsamkeit ein Beziehungsproblem stecken. Vielleicht habe man den Kontakt mit dem Sohn oder der Freundin wegen einer Meinungsverschiedenheit abgebrochen.

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Hier könne man ermuntern, einfach mal anzurufen, erklärt die Telefonseelsorgerin. Vielleicht habe der andere genau die gleichen Hemmungen, den ersten Schritt zu unternehmen, und freue sich über die Kontaktaufnahme. Ganz wichtig sei es, die Lebensgeister der jeweiligen Menschen zu wecken und ihre Eigeninitiative anzustoßen. Da helfe die Frage: "Bist du wirklich so hilflos, wie ich denke, dass du bist?" Und: "Was hat dir in einer ähnlichen Situation schon einmal geholfen?"

Die Telefonseelsorge ist auch über E-Mail oder Internet-Chat zu erreichen. Beim Kontakt über Mail könne man seine Gedanken in Ruhe ordnen und aufschreiben, bevor man sie abschicke. Das Ganze gehe an einen ehrenamtlichen Seelsorger, der als Ansprechpartner fungiert und innerhalb von 72 Stunden antwortet. Weitere Mails können mit ihm ausgetauscht werden. Die Chatseelsorge bietet die Möglichkeit, schriftlich in eine Art von Gespräch einzutreten, was aber nur funktioniert, wenn man dazu vorher einen festen Termin vereinbart hat.

Trotz Corona-Einschränkungen kann man auch während der Öffnungszeiten zu einem persönlichen Gespräch vorbeikommen, weitere Informationen stehen auf der Homepage. Egal ob der Kontakt per Telefon, Mail, Chat oder bei einem persönlichen Gespräch stattfindet: Die Anonymität der Hilfesuchenden wie auch der Seelsorger ist immer gewahrt. Die Telefonnummer der Anrufer ist nicht sichtbar, bei Mail und Chat muss man sich lediglich mit einer erreichbaren Internetadresse anmelden.

So schlimm die Corona-Pandemie ist, hat sie, wie jede Krise auch, eine positive Seite, so Rosemeiers Erfahrung. Viele Menschen besinnen sich wieder auf Solidarität und Nächstenliebe. Junge Leute gehen für ältere Menschen einkaufen, Kirchen und Vereine unterhalten Hot-Lines für Hilfesuchende. Und jeden Tag läuten um 19 Uhr die Glocken und fordern die Bevölkerung auf, gemeinsam das Vaterunser zu beten und "Der Mond ist aufgegangen" zu singen. Diese Aktion auf Plätzen und von Balkonen mitten in der Stadt setzt ein Zeichen der Hoffnung und der Zusammengehörigkeit.

Info: Die Telefonseelsorge ist erreichbar unter 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 sowie 116 123 oder im Internet telefonseelsorge-rhein-neckar.de.

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