"Isch schwätz halt, wie isch schwätz"
Biblische Geschichten auf Kurpfälzisch sind ihre Spezialität: Die gebürtige Schleswig-Holsteinerin Gesche Kruse fühlt sich im Dialekt zuhause

Von Grimms Märchen über die Hebräische Bibel bis zu Töpels "Männas!": Gesche Kruses Bücherregal ist reichlich und bunt bestückt. Die "Liebe zur Sprache" hat die ehemalige Pfarrerin von ihrem Großvater geerbt. Foto: Pfeifer
Von Ute Teubner
Wiesloch. "Des da, des is arg schää." Zielsicher fischt Gesche Kruse eins der Bücher aus dem prall gefüllten Regal. "De kläne Prinz", wie Antoine de Saint-Exupérys Werk in der pfälzischen Mundartübersetzung von Walter Sauer heißt, fühlt sich wohl in der Gesellschaft des kurpfälzischen Wörterbuchs und plattdeutscher Gedichte. Genau wie seine stolze Besitzerin. Die in Frauenweiler lebende frühere Wieslocher Pfarrerin hat mittlerweile selbst zahlreiche Mundart-Bändchen herausgegeben, sie hält Dialekt-Lesungen und -Predigten in der Region und singt mit den Menschen, die ihr begegnen, auf Kurpfälzisch. Dabei ist die 63-Jährige eigentlich gar nicht "vun do": Sie stammt aus Neumünster - und das liegt wirklich erstaunlich hoch im Norden, mitten in Schleswig-Holstein, um genau zu sein. Wie es zu dieser doch etwas kuriosen Konstellation kam? Gesche Kruse macht es sich in ihrem Schaukelstuhl mit der selbst gestrickten Patchworkdecke bequem, und erzählt.
Erst einmal vom Umzug in den Süden, mit ihr als Baby. Erste Station: Heidelberg-Pfaffengrund. Dann ging’s - im Alter von sechs Jahren - mit der Familie nach Walldorf. "Damals redeten alle Kinder auf der Straße Dialekt", erinnert sich Gesche Kruse, "nur ich nicht." Da hieß es dann schnell: "Die schwätzt nooch der Schrift, die gheert net dezu." Ja, im Hause Kruse wurde Hochdeutsch gesprochen - auch wenn die Platt sprechende Verwandtschaft dies natürlich für Süddeutsch hielt. Das Mädchen mit dem norddeutschen Namen aber sog die Mundart in sich auf. Und als die kleine Gesche (übrigens die friesische Kurzform für Gertrud) sieben oder acht war, brach sich der Dialekt urplötzlich Bahn: "Auf einmal ließ ich einen Satz in reinstem Kurpfälzisch los - und meine Mutter war völlig sprachlos, dass ich das konnte."
"Eigentlich bin ich also zweisprachig aufgewachsen", sagt Gesche Kruse deshalb auch. "Ich konnte und kann mich mühelos im Dialekt bewegen, obwohl meine Muttersprache Hochdeutsch ist." Am vertrautesten ist ihr der Heidelberger Zungenschlag, er habe sie während der Schulzeit am Kurfürst-Friedrich-Gymnasium und auch später während des Theologiestudiums "am tiefsten geprägt". Aber auch die Jahre in Mannheim und Dossenheim haben sprachliche Spuren hinterlassen: "Alles färbt doch etwas ab und den reinen Dialekt gibt es ohnehin nicht", ist sich Gesche Kruse sicher und betont: "Der Dialekt kommt aus mir heraus, so wie er in mir verankert ist. Er kommt aus der Tiefe und ist nichts Angelerntes: Isch schwätz halt, wie isch schwätz."
Die südbadische Mundart allerdings, die blieb ihr immer fremd. Nach dem ersten theologischen Examen musste Gesche Kruse der Kurpfalz Ade sagen. Bretten, Singen, Donaueschingen - nach fast 20 Jahren vermisste sie die (sprachliche) Heimat. Und das so schmerzlich, dass sie "Herzklopfen" bekam, hörte sie jemanden auf Kurpfälzisch "babbeln" - und "Bilder in den Kopf": von Menschen, Landschaften und Orten, von dem, was man Heimat nennt. "Und wenn dann noch einer sagte: ’Isch bin vun Heidelberg’, da hätte ich glatt heulen können." Obwohl ja, wie auch Gesche Kruse weiß, der hiesige Dialekt oft als "grobschlächtig" empfunden wird. Das allerdings tue ihrer Liebe zu dieser Mundart keinen Abbruch, denn: "Das ist eine ganze Lebenseinstellung, die dahintersteckt." Und außerdem: "Liebe kann man nicht begründen." Für "ihren" Kurpfälzer Dialekt findet Gesche Kruse denn auch nur freundliche Worte und überaus achtbare Attribute: "sehr direkt und kommunikativ", "zupackend und handfest", "kerzegradnaus" - "Die Leute hier tragen eben das Herz auf der Zunge."
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Die Initialzündung dafür, selbst auf Kurpfälzisch zu schreiben, erfolgte dann aber doch noch im "Exil". In Donaueschingen beim Marmeladekochen, mit einem guten Freund aus Mannheim. Was mit "Loss mol de Zugger riwwerwachse" begann, mündete schließlich in die "Weihnachtsgschischt" (Untertitel: "Wie ma se sisch in der Kurpalz verzähle duut"), deren erste Auflage 2014 veröffentlicht wurde. Da war Gesche Kruse längst in die Kurpfalz zurückgekehrt und konnte sich nun - nachdem sie ihr Amt als Pfarrerin der Wieslocher Christusgemeinde schon nach kurzer Zeit aus gesundheitlichen Gründen hatte aufgeben müssen - intensiv dem Schreiben widmen, ihrer Leidenschaft von Kindesbeinen an (die ersten Zeilen über einen Maikäfer erschienen übrigens einst auf der RNZ-Kinderseite).
Die Weihnachtsgeschichte im kurpfälzischen Dialekt entpuppte sich schnell als "der Renner" und "die Heftchen waren in Nullkommanix weg", weiß Gesche Kruse. "Dann habe ich Blut geleckt." Es folgte "Die Gschischt vum Paradies, uffgschriwwe vun Gesche Kruse", die unter dem Titel "Die Mensche sin halt so" erschien, und danach die "Lieder fer Advent un Weihnacht uf Kurpälzisch" ("Freehlische Weihnacht iwweraal!"). Auch "Drum grieß isch disch, mei Badnerland" ("E Reis dorsch Bade mim Badnerlied") und das "Kurpfälzer Liederheft" ("Bekannte Liedlin, uf Kurpälzisch iwwersetzt") sind Teil der kleinen Mundart-Heftreihe von Gesche Kruse. Mit den "Gedanke vum Josef in seinere Werkstatt" ("E Gschischt fer de Advent") erschien 2017 das vorerst letzte Bändchen.
Denn mittlerweile hat sich die ehemalige Pfarrerin mehr aufs Vorlesen verlegt. Und natürlich stehen auch hier die biblischen Geschichten im Dialekt im Mittelpunkt. Gesche Kruse liest in den Gemeinden und gestaltet Gottesdienste, gerne auch von Mundart-Liedern umrahmt. Besonders beliebt: die szenische Lesung "So war des dortmols mim Jesus", erzählt aus der Perspektive des Fischers Petrus. Und der fragt sich immer noch oft fassungslos: "Hätsch des gedenkt, dass dei Lewe mol so ufn Kopp gstellt werd, wo doch bloß en olwerer Kerl gwest bisch, wu em End vun der Welt hockt un grad froh isch, wann er sisch irgendwie dorschs Lewe worschtle kann?"
Geschichten aus dem Leben gegriffen, obgleich sie aus einer längst vergangenen Zeit stammen. Mit einem leichten Augenzwinkern, ohne jemals irgendetwas ins Lächerliche zu ziehen. Geschichten, die schon tausendmal gehört oder gelesen wurden, aber durch den Dialekt an Lebensnähe gewinnen und noch einmal ganz anders zu Herzen gehen. "Die Menschen verstehen so die Botschaft dahinter besser", davon ist Gesche Kruse überzeugt. Ganz wie bei Luther, der dem Volk "aufs Maul schaute".
"Ja, das ist mein Lebenswerk: die für mich wichtigen Geschichten so zu erzählen, dass sich die Leute beheimatet fühlen." Sagt Gesche Kruse, steht auf und geht noch einmal ans Bücherregal. Neben den Dialekt-Bänden stehen das Neue Testament und die Hebräische Bibel, darüber Kinderbücher: "Pu der Bär" und "Momo", "Die Abenteuer des Tom Sawyer" und "Die kleine Hexe". Auch Märchen aus aller Welt sowie Humoristisches wie Ringelnatz oder Wilhelm Busch tummeln sich auf den Regal-Brettern. Und dann die Lyrik. Rilke etwa ... "Großvater Heinrich hat uns immer mit Gedichten und Geschichten beglückt", erinnert sich Gesche Kruse. Diese "Liebe zur Sprache", die hat sie von ihm. Ein schönes Geschenk.
Info: Am Sonntag, 17. März, hält Gesche Kruse ab 10.15 Uhr eine Mundart-Predigt im Rahmen des Gottesdienstes im evangelischen Gemeindehaus in Rauenberg. Eine weitere Petrus-Lesung steht schließlich am Freitag, 5. April, um 19.30 Uhr im Paulus-Haus in Malsch auf dem Programm und der vierte Mundart-Gottesdienst in der Wieslocher Stadtkirche findet gemeinsam mit Pfarrer Löffler am 8. September statt. Die Mundart-Hefte von Gesche Kruse sind in der Buchhandlung Eulenspiegel, Hesselgasse 26 in Wiesloch, Telefon 06222/54350, erhältlich.