Hat Nelson seine Nelli sitzen lassen?
Ein Tier musste die Eier alleine ausbrüten. Ein neues Paar "entführte" wohl die Küken.

Von Christoph Moll
Neckargemünd. Auf und am Neckar spielt sich derzeit ein Schwanen-Drama ab. Im Mittelpunkt: Nelli und Nelson. Auch in diesem Jahr hat das Neckargemünder Schwanenpaar wieder Nachwuchs, doch es ist nichts mehr so wie in den Vorjahren. Während der Brut ist entweder Nelli oder Nelson spurlos verschwunden. Dem zurückgebliebenen Schwan gelang es, das Gelege auszubrüten – was Biologen alleine schon staunen lässt. Was aber dann geschah, ist eine einerseits schöne, aber andererseits traurige Tier-Sensation.
Waltraud Aichner beobachtet die Schwäne auf dem Neckar genau und führt sogar ein kleines Tagebuch. Vor Kurzem tauchte plötzlich ein zweites Paar mit mehreren Küken bei ihr in der Ziegelhütte am Stadtausgang Richtung Heidelberg auf, erzählt die Neckargemünderin. Gleichzeitig erfuhr sie, dass Nelson oder Nelli verschwunden war. Aichners ungeheuerlicher Verdacht: Hat Nelson seine Nelli sitzen lassen und mit einer anderen Schwanendame Nachwuchs bekommen, ist also "fremdgegangen"?
Auch Silvia Münstermann verfolgt Nelli und Nelson schon lange. Sie berichtet, dass seit Mitte März acht Eier im Nest an der Seniorenwohnanlage in der Mühlgasse lagen. Mitte April verschwand dann Nelson oder Nelli. "Sehr ungewöhnlich und traurig", meint sie. Der verbliebene Schwan habe zuletzt nichts mehr gefressen und sei ununterbrochen auf den acht Eiern gesessen. Tatsächlich schlüpften vor Kurzem sechs Küken, mit denen er das Nest verließ. "Nach einer Weile kehrte der Schwan alleine zurück", erzählt Münstermann. Danach sei er am Nest gestanden und habe "bellende" Laute von sich gegeben – vermutlich um seine Kinder zu rufen.
Dann machte Silvia Münstermann eine seltsame Beobachtung: Das andere Schwanenpaar auf dem Neckar hatte zunächst noch drei und zuletzt nur noch ein Küken. Plötzlich schwamm es jedoch mit sieben Küken auf dem Neckar – ein älteres, größeres und sechs kleinere. Münstermann vermutet, was auf der Hand liegt: Die sechs Küken von Nelli und Nelson sind nun beim neuen Schwanenpaar. "Ich denke, für die Küken ist es von Vorteil, dass ein Elternpaar sie adoptiert hat", meint sie. "Doch für das allein zurückgebliebene Elternteil, welches ja auch keinen Partner hat, ist es sehr traurig, dass ihm die Kinder gestohlen wurden."
Auch interessant
Auch Ralf Krätschmer, der Nelli und Nelson seit Jahren begleitet, hat entsprechende Beobachtungen gemacht: Er berichtet von einem stolzen Schwanenpaar, das er am Kleingemünder Ufer mit sechs Küken sah. "Zu meiner Überraschung zog ein Schwan mit seinem Schnabel ein siebtes Junges aus seinem Gefieder, das die ganze Zeit als blinder Passagier mit gefahren ist", so Krätschmer, der sich fragt: "Ist womöglich auch Nelson hier der Erzeuger?"
Was ist also geschehen? Auch bei der Stadt war der alleine brütende Schwan Thema, berichtet Sprecherin Petra Polte: "Mehrere Leute haben diesbezüglich bei uns angerufen und uns das mitgeteilt, aber wir wissen auch nichts Näheres beziehungsweise keine Erklärung."

Andreas Quell hingegen kennt sich mit der Vogelwelt am Neckar bestens aus. Der Neckarsteinacher Vize des Naturschutzbundes (Nabu) berichtet, dass es schon im vergangenen Jahr heftige Revierkämpfe zwischen Schwänen in Neckargemünd gegeben habe. Diese würden normalerweise ihr ganzes Leben mit einem Partner verbringen. "Während der Brutphase lassen sie ihren Partner nicht im Stich", so Quell.
Für Hartmut Idler ist es schon eine Überraschung, dass der verbliebene Schwan überhaupt die Eier alleine ausbrüten konnte. Beide Geschlechter seien hierzu aber in der Lage. Der Biologe aus Kleingemünd hält es für am wahrscheinlichsten, dass Nelli oder Nelson einen Unfall hatte – zum Beispiel in eine Schiffsschraube geraten ist – oder eines natürlichen Todes gestorben ist. Fressfeinde gebe es jedenfalls nicht. Idler schließt aber nicht ganz aus, dass sich etwa Nelson nach einem Streit eine neue Partnerin gesucht hat. Schwäne müssten aber treu sein, damit sie die anstrengende Brut bewältigen können. "Möglich ist alles, aber da gibt es eigentlich keine Liebe auf den ersten Blick", schmunzelt Idler.
Besser zu erklären ist für ihn, dass die Küken nun bei dem anderen Paar sind. "Da gab es sehr wahrscheinlich einen rabiaten Kampf zwischen dem verbliebenen Schwan und dem neuen Paar", meint der Experte. "Reibungslos ging das sicher nicht ab." Das Paar habe den einsamen Schwan wohl vertrieben und die Küken übernommen – und denke vielleicht auch, dass es die eigenen sind. Schließlich seien diese ähnlich alt und groß. "Das ist wirklich alles sehr verblüffend", staunt auch Idler.
Der Biologe macht aber allen Hoffnung, die mit dem einsamen Schwan leiden: Beim Verlust des Partners würden Schwäne zwar trauern, sich aber wieder neu verpartnern. Es sei noch früh genug im Jahr für eine mögliche neue Brut, meint Idler. "Und für die Küken ist es ein großes Glück, dass sie neue Eltern haben."



