Schriesheim

Über ein Jahr Bestattungswald auf der Kipp

"Die Leute haben nur drauf gewartet". Standortleiter Maximilian Brauer und Ideengeber Heinz Waegner ziehen eine erste Bilanz.

04.09.2024 UPDATE: 04.09.2024 04:00 Uhr 4 Minuten, 24 Sekunden
Heinz Waegner (rechts) weiß heute schon, wo er und seine Familie die letzte Ruhe finden: an einer Eiche im „Ruheforst“. Das im vorletzten Mai eingeweihte 33-Hektar-Areal auf der Altenbacher Kipp betreut Maximilian Brauer. Foto: hö

Von Micha Hörnle

Schriesheim. Wo er nach dem Tod hinkommt, weiß Heinz Wae­gner jetzt schon: an eine Eiche im Bestattungswald auf der Kipp. Und dort soll auch die Asche seiner Frau und seiner Kinder mal beigesetzt werden. Waegner, der einer der geistigen Väter des heutigen Schriesheimer Bestattungswalds ist, weiß genau, wieso er exakt hier seine letzte Ruhe finden wird: einerseits die Naturverbundenheit ("Ich mache viel im Wald"), andererseits auch Pragmatismus: "Meine Kinder sollen mit meinem Grab mal keine Arbeit haben."

Außerdem sei es für ihn eine Erleichterung, "jetzt schon zu wissen, wo man liegt". Die Frage nach dem Wie und Wo einer Bestattung "schiebt man so vor sich her, dabei habe ich nicht mehr so lange zum Schieben. Ich werde nächstes Jahr 70". Nun zu wissen, dass man mal unter einer Eiche (mit einer jungen Buche direkt daneben) liegen werde, "nimmt mir den Schrecken vor dem Tod".

Waegner gehört zu den relativ vielen, die sich lange vor ihrem Ableben schon einen Platz im Bestattungswald gesichert haben. Wie viele seit der Eröffnung am 10. Mai 2023 hier schon bestattet worden sind, kann der Standortleiter der Firma "Ruheforst", Maximilian Brauer, nicht sagen; aber er berichtet davon, dass man vor einem halben Jahr den aktiv genutzten Bestattungswald erweitern musste: Waren anfangs 150 Bäume für die Urnen vorgesehen, sind es nun 250 – also rund drei der insgesamt 33 Hektar auf der Kipp: "Wir haben fast jeden Tag Beisetzungen."

Und dann kommen ja noch die vielen Kunden hinzu, die sich jetzt schon – wie Waegner – einen Platz für die Ewigkeit gesichert haben.

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Und woher kommen diejenigen, die hier beigesetzt wurden oder werden wollen? "Meist ist der Einzugsbereich ein Radius von 20 Kilometern", berichtet Brauer. Oder es kommen Leute hierher, die mal in der Gegend gewohnt haben und hier die letzte Ruhe finden wollen. Oder man macht es wie eine Frau, die aus dem westfälischen Münster stammt: Die suchte sich einen Platz aus, der nach Norden, in Richtung ihrer alten Heimat, ausgerichtet ist.

Oft entscheiden sich auch ganze Familien – wie die Waegners –, manchmal auch mit engen Freunden, für ein "Familiengrab" an einem Baum; insgesamt zwölf Personen können so bestattet werden. Ansonsten sind bis zu 18 Urnen an einem Baum möglich – wobei längst nicht alle Gehölze in dem Areal genutzt werden können.

Die Klientel, die im Ruheforst bestattet wurde oder werden wird, ist bunt gemischt – eben ein Querschnitt durch die Gesellschaft. Da kann es dann auch mal sein, dass sich, wie vorletzte Woche, Rocker auf ihren schweren Harley-Davidsons im Wald treffen, um einem ihrer Motorradfreunde das letzte Geleit zu geben. Zumal es im Bestattungswald deutlich legerer zugeht als auf Friedhöfen – eine bestimmte Zeremonie ist nicht vorgeschrieben.

Was nicht heißt, dass es hier keine Regeln gibt: Die Plaketten müssen alle gleich aussehen, das Ablegen von Blumen (oder gar von Figuren) ist hier nicht gestattet. Einzig sind am Tag der Bestattung Rosenblätter und komplett kompostierbare Urnenkränze zulässig (die aber nach zwei Tagen wieder entfernt werden müssen). Und, halten sich die Trauernden daran? "Wir sprechen die Leute schon aktiv an", sagt Brauer: "Es dauert aber ein bisschen, bis sich das herumgesprochen hat."

Denn der Wald auf der Kipp soll möglichst naturnah bleiben: Er wird nicht mehr bewirtschaftet – außer zur Wegesicherung – oder bejagt; die Wanderwege bleiben offen: "Der Ruheforst ist ein Bannwald", so Brauer. Wobei die unmittelbare Umgebung dieses Bestattungswalds erst einmal wenig Naturnähe verspricht: Nebenan sind die Altenbacher Schützen, der Motorsportclub hat seine Kartbahn, weiter hinten dann der Tennisplatz, das "Move" und der Fußballplatz der TSG.

Führt das nicht zu Nutzungskonflikten? Nein, findet Brauer: "Die Schützen habe ich noch nie gehört, vom Tennisplatz höchstens das ,Tock-tock’ der Bälle. Und der Motorsportclub fängt mit seinem Training erst am späten Nachmittag an. Wir haben hier um 15 Uhr die letzte Beisetzung." Und im Zweifelsfall spreche man sich eben ab.

Und was ist mit der Kritik, die das Vorhaben acht Jahre lang begleitete? "Die gibt es im Vorfeld immer, aber sie ist nun verstummt. Ich bekomme davon gar nichts mehr mit", sagt Brauer. Und Waegner meint: "Ich auch nicht." Aber belastet die Asche im Waldboden ihn nicht doch? "Da gibt es so viele Gutachten.

Man muss sich an die harten Fakten halten: Auf einem so großen Areal spielt die Asche im Boden keine Rolle", erklärt Brauer. "Da sind Zigarettenstummel für die Umwelt deutlich belastender." Und die vielen Steine im Boden? "Das war nie ein Problem", so Brauer: "Da dauert das Eingraben eben ein bisschen länger. Das frühere Bodengutachten wurde durch die Praxis widerlegt."

Und was ist mit der Konkurrenz zu den kommunalen Friedhöfen? "Bestattungswälder tun denen nicht weh", ist sich der "Ruheforst"-Standortleiter sicher – zumal es dort ja auch Bereiche mit Baumbestattungen gebe. Allerdings hat dieser "Ruheforst" einen Vorteil, den der Altenbacher Friedhof mit seinem Buckel nicht hat: Er ist eben und praktisch barrierefrei.

Was allerdings noch fehlt, ist eine Bio-Toilette. Brauer weiß zwar schon, welches Modell es sein wird, aber er ringt noch mit dem Standort: auf dem Parkplatz (wo es vielleicht zum Ziel von Vandalen werden könnte) oder an einem etwas abgelegeneren Ort? Und dann ist da noch die Frage nach dem Fundament, für das man im Waldbereich eine Genehmigung braucht.

Alles in allem, so sagt Brauer, habe der "Ruheforst unsere Erwartungen absolut erfüllt". Er werde "gut angenommen, die Zahlen gehen nach oben. Es sieht so aus, als hätten die Leute nur darauf gewartet".


> Der Bestattungswald "Ruheforst" wurde am 10. Mai 2023 auf der Kipp eingeweiht – nach acht Jahren Diskussion. Die Idee dazu hatte der damalige Stadtrat der Grünen Liste, Heinz Waegner, der im März 2015 eine Info-Veranstaltung zu einem Bestattungswald in Schriesheim organisiert hatte – denn so etwas gab es vorher nur an den Rändern der Metropolregion (Bad Dürkheim, Erbach oder Reichartshausen).

Dann setzte die Debatte ein: Die Grüne Liste stellte den Antrag, auf der Kipp einen Bestattungswald zu prüfen, der mehrheitlich angenommen wurde. Aber CDU und Freie Wähler sahen in diesem zusätzlichen Angebot eine Konkurrenz für die kommunalen Friedhöfe, und man befürchtete, dass die Folgekosten an der Stadt hängen bleiben werden.

2016 beauftragte der Gemeinderat ein Bodengutachten und eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das Ergebnis: Im Boden gibt es zu viele Steine, was das Eingraben der Urnen in eine Tiefe von 80 Zentimetern erschwert. Bei 203 Proben kam der Bohrstock nur an 73 Stellen so tief. Dennoch wagten 2018 Grüne Liste, SPD und FDP einen neuen Vorstoß für den Bestattungswald. Nach einer knappen Mehrheit im Gemeinderat ging das Rathaus in Verhandlungen mit potenziellen Betreibern.

Im Mai 2020 kam es mit der entscheidenden Stimme von Bürgermeister Hansjörg Höfer zu einem Grundsatzbeschluss für den Bestattungswald; der sollte privat und nicht kommunal betrieben werden. Im Dezember 2020 unterschrieben Höfer und Jost Arnold von der Firma"Ruheforst"den Pachtvertrag über 99 Jahre. Beworben hatte sich auch ein anderes Unternehmen,"Friedwald".

Nun schaltete sich der Dachverband der Friedhofsvereine in die Debatte ein: Er befürchtete eine Belastung des Waldbodens und des Grundwassers durch Schwermetalle, die in der Urnenasche enthalten sind. 2022 gaben aber Boden- und Gewässergutachten grünes Licht. Im Januar 2023 erteilte das Landratsamt dem Bestattungswald unter strengen Auflagen die Genehmigung.

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