Eindrücke aus Leimens Notunterkunft: Das Nichtstun setzt am meisten zu

Mittlerweile leben in der Travemünder Straße fast 300 Flüchtlinge. Die Auf- und Umbauarbeiten sind noch in vollem Gange, die Betreuer im Dauereinsatz.

27.11.2015 UPDATE: 28.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 56 Sekunden

Eine ruhige Nacht ist in der Notunterkunft kaum zu verbringen. Weil es nicht ausreichend Planen gibt, müssen die Männer in den vorderen Parzellen ohne Sichtschutz schlafen. Foto: Alex

Von Nikolas Beck

Leimen. Sein Lächeln hat der junge Mann aus Gambia nicht verloren. "Die Menschen in Deutschland sind sehr freundlich und nett", sagt der 29-Jährige in gebrochenem Englisch. Sein Blick wandert durch den kahlen Büroraum der ehemaligen Gewerbehalle in der Travemünder Straße. Erst am Tag zuvor ist er hier angekommen. Jetzt teilt er sich die Notunterkunft des Landratsamtes des Rhein-Neckar-Kreises mit rund 300 anderen Flüchtlingen und Asylbewerbern. Er holt tief Luft, die Miene wird ernster: "Einfach ist es hier aber nicht", sagt er. Ganz leise und mit leichtem Kopfschütteln.

Zehn bis zwölf Männer - unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Irak, Kamerun, Togo oder eben Gambia - bewohnen die wenigen Quadratmeter einer Parzelle. 30 davon sind momentan bezogen. Abgegrenzt durch Bauzäune, umspannt mit dunklen Planen, an der Außenseite nummeriert. Eigentlich sollten die Trennwände weiß sein, berichtet Heiko Knoll, der die Unterkunft als Sozialarbeiter mitbetreut. Aufgrund von Lieferschwierigkeiten sind sie jetzt eben schwarz.

Doch auch von den schwarzen Planen sind zu wenige da. Die Hälfte aller Bereiche muss zurzeit noch ohne Sichtschutz auskommen. Auch die Bettgestelle reichten nicht aus. Auch hier: "Lieferschwierigkeiten", so Knoll. Die Nachfrage für solche Dinge ist groß in diesen Tagen. Zumindest mit Betten konnte die Feuerwehr Leimen aushelfen.

"Ich bin ein bisschen durcheinander", sagt der Gambier. In seiner Heimat habe er als Kassierer gearbeitet, um sich ein Studium als Elektroingenieur zu ermöglichen. Jetzt setzt ihm das Nichtstun zu. Auskunft gibt er aber gerne. In der Unterkunft hat er nur wenige "Pflichttermine": eigentlich nur das Frühstück zwischen 8 und 9 Uhr und das Mittagessen zwischen 12 und 13 Uhr. Dazu wird dann auch ein Lunchpaket ausgegeben. Tee, Wasser und Kaffee stehen so viel und wann immer man möchte zur Verfügung.

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Pro Monat gibt es ein "Taschengeld" von etwa 180 Euro, weil Essen und Trinken vom Regelsatz (327,49 Euro) abgezogen sind, erklärt Heiko Knoll. Ab 22 Uhr ist Nachtruhe in der Travemünder Straße. Kommen und gehen können die hier untergebrachten Männer aber wann sie wollen. Schlaf zu finden ist schwierig.

Erst nach 3 Uhr in der Nacht sei er eingeschlafen, berichtet der 29-jährige Afrikaner. Es scheint, als sei er froh, mit jemandem reden zu können. Ein paar Landsleute habe er hier schon kennengelernt. Diese seien schnell zu "Freunden" geworden - obwohl man sich erst seit ein paar Stunden kennt. Mit dem Großteil der 300 Männer unterhalte er sich aber nicht. Es ist schwer, sich auszutauschen. Die Muttersprachen sind vielfältig. Manche können ein wenig Englisch, andere Französisch.

"Aber nicht meinen Namen schreiben", bittet der Gambier höflich und zeigt auf das DIN A4-Blatt, das er mit sich trägt. Permanent. Es ist momentan das Wichtigste, was er besitzt: die Unterlagen für sein erstes Interview am 4. Dezember. Dann will er den ersten Schritt im Asylverfahren machen. Wie genau das ablaufen wird, davon hat er noch keine Vorstellung. Er sei auf der Suche nach jemandem, der ihm erklären kann, was er beachten müsse. Wie er sich vorbereiten könne und was bis dahin zu tun sei.

Im Grunde gibt es zwei Themen in der Unterkunft: das Asylverfahren und die Gesundheit. Immer wieder würden die Betreuer gefragt, wie viele Tage man denn hier bleiben müsse. Dann gelte es, den Männern schonend beizubringen, dass es sich wohl eher um Wochen und Monate handeln werde, so Knoll. Die Arztwahl sei frei.

Kommen die Asylbewerber in Leimen an, werden sie registriert, es gibt ein bisschen Geld als Vorschuss sowie einen Ausweis. Die Verwaltung in der Notunterkunft ist drei Mal in der Woche für zwei bis drei Stunden besetzt, die Mitarbeiter sind dann im Dauereinsatz.

Gerade bildet sich wieder eine kleine Schlange vor den Büroräumen. Ein paar Männer wollen nicht in Leimen bleiben, sondern zurück nach Karlsruhe. Hindern wird sie daran keiner. Auch der Sozialdienst hat viel zu tun, bietet an vier Tagen der Woche mehrstündige Sprechzeiten an. Mit jeweils fünf Männern in einer Zwölfstundenschicht ist ein Security-Unternehmen vor Ort.

Schnell gehen mussten die Arbeiten im Gewerbegebiet der Großen Kreisstadt. Als vor zehn Tagen die ersten Männer ankamen, wurden gerade noch die Betten aufgebaut. Ein paar Bierbänke dienen als Aufenthaltsbereich, die sanitären Anlagen befinden sich noch im Umbau. 20 Toiletten und acht Duschen gibt es aktuell, 20 Duschen sollen es werden. Stromanschlüsse gibt es bisher nur wenige in einem Gemeinschaftsbereich.

In einer Ecke am Ende der Halle kniet ein Mann einsam auf einem Handtuch und betet, als sich vor der Verwaltung eine größere Gruppe versammelt hat. Auch der junge Mann aus Gambia hat sich mit seinen Unterlagen dazugestellt. Er scheint noch nicht zu wissen, dass hier lediglich wieder Neuankömmlinge registriert werden.

Aber zum Abschied nickt er freundlich aus der Ferne. Und lächelt.

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