Flüchtlinge: "Ehrenamtliche halten uns den Rücken frei"

Die Großen Kreisstädte haben damit begonnen, eigene Ansprechpartner zu benennen, um das Engagement zu koordinieren

27.11.2015 UPDATE: 28.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Flüchtlinge beim Einzug ins Racket-Center in Schwetzingen. Archiv-Foto: Lenhardt

Von Sabine Hebbelmann

Rhein-Neckar. Viele Menschen suchen in Deutschland Schutz vor Krieg, Terror und Verfolgung. Es sind so viele, dass sich das Ankommen lange hinziehen kann. Meist dauert es in der Region zwölf und 16 Monate, bis ein Asylverfahren abgeschlossen ist. So lange bleiben Flüchtlinge im Schnitt in den Gemeinschaftsunterkünften des Kreises, im Fachjargon "vorläufige Unterbringung" genannt. Erst danach, spätestens aber nach 24 Monaten, werden sie zur Anschlussunterbringung auf Kommunen des Kreisgebietes verteilt.

Laut offiziellem Schlüssel betreut im Kreis ein Sozialarbeiter 120 Flüchtlinge. "Oft können die Sozialarbeiter in den Einrichtungen nicht ständig präsent sein, sondern bieten eine Sprechstunde an", berichtet Sozialarbeiter Christoph Kölmel, der die Sozialarbeit in allen Flüchtlingseinrichtungen des Kreises koordiniert. Doch der Bedarf der Menschen geht weit darüber hinaus. Sie kommen an in einer Umgebung, die ihnen fremd ist, kennen die hiesigen Regeln und Gepflogenheiten nicht, sprechen die Sprache nicht und sind oft in Randlagen untergebracht, die zu Fuß schwer zu erreichen sind.

Städte und Gemeinden konnten bisher auf die Zuständigkeit des Kreises verweisen und sich zurücklehnen, zumal es immer ehrenamtlichen Helfer gibt, die in solchen Situationen einspringen. In Sinsheim beispielsweise wurden schon vor elf Jahren 80 Flüchtlinge einquartiert. Es gründete sich die Sinsheimer Arbeitsgemeinschaft Migration (SAM), die den Menschen hilft, sich zurechtzufinden, den Alltag zu meistern und aus der Isolation herauszukommen.

Vor fünf Jahren eröffneten die Mitglieder in Eigenregie ein Café in der Innenstadt als Treffpunkt für die Flüchtlinge. Und da sie keinen Raum für die Kinderbetreuung bekam, kaufte die Initiative auf eigene Rechnung einen Bauwagen. Der einzige Beitrag, den die Große Kreisstadt bisher für deren Arbeit leistet, ist der kleine Zuschuss, den jeder Verein bekommt.

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"Diese Ehrenamtlichen halten uns den Rücken frei", lobt Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht die Arbeit der SAM. Er verweist auf die Integrationsbeauftragte der Stadt, die als Bindeglied den Kontakt zum Kreis hält. Auch Albrecht weiß: "Die Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe." Doch aktuell sieht er keine Kapazität für eine weitergehende Unterstützung der SAM. Schließlich müsse die Stadt erst einmal die Anschlussunterbringung organisieren. Die Zahl der dem Rhein-Neckar-Kreis zugewiesenen Flüchtlinge ist rasant auf aktuell 300 pro Woche gestiegen, berichtet Kreissprecher Berno Müller. Dieses Jahr erwartet er insgesamt 4000 neue Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung. Zur Orientierung habe der Kreis für die Asylbewerber eine Broschüre erstellt. Müller lobt das ehrenamtliche Engagement in den Kommunen. Es gebe viele Menschen guten Willens, die sich für die Flüchtlinge vor Ort einsetzen und über Asylarbeitskreise eng mit dem Landratsamt zusammenarbeiten. Doch zugleich stellt er fest: "Ohne dass die Kommunalverwaltungen mitarbeiten, geht es nicht."

"Wir versuchen das bürgerschaftliche Engagement zu steuern", sagt auch Sozialarbeiter Kölmel. Doch weil die Arbeit mit den Flüchtlingen und den Ehrenamtlichen stetig wächst, ist er froh, dass die Großen Kreisstädte begonnen haben, eigene Ansprechpartner zu benennen. "Das ist eine gute Sache", bekräftigt er. Als in Wiesloch im vergangenen Jahr der Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft geplant wurde, hat die Stadtverwaltung das Thema "Flüchtlinge" gleich zur Chefsache erklärt. Verschiedene Ämter sind einbezogen - die Koordination hat Bürgermeister Ludwig Sauer übernommen. Im Netzwerk Asyl engagieren sich unter der Federführung der Bürgerstiftung Wiesloch und des Ehrenamtsbüros rund 300 Ehrenamtliche. Die Zusammenarbeit klappt hervorragend, bestätigt eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung.

Auch in den anderen Großen Kreisstädten des Rhein-Neckar-Kreises tut sich etwas. Der Gemeinderat der Stadt Weinheim hat im September in einer gemeinsamen Erklärung die Flüchtlinge willkommen geheißen und die Bevölkerung um Mithilfe und Unterstützung gebeten. Die Sozialarbeiterin und ehemalige Leiterin der Bezirksstelle des Caritasverbandes für den Rhein-Neckar-Kreis, Ulrike Herrmann, ist seit einigen Wochen als Inhaberin einer Stabsstelle direkt Oberbürgermeister Heiner Bernhard unterstellt und arbeitet mit dem neu gegründeten Netzwerk "Weinheim hilft" zusammen. Die Stadt Schwetzingen, die durch die Konversionsflächen besonders betroffen ist, hat den Freien Journalisten Kay Müller als Ansprechpartner für die Bürgerschaft und die ehrenamtlich Tätigen in Teilzeit eingestellt.

Da auch die Stadt Hockenheim weitere Flüchtlinge erwartet, hat sie zur Unterstützung der Ehrenamtlichen im Asylnetzwerk eine Koordinierungsstelle eingerichtet. In Leimen hält ein Mitarbeiter des Sozialamtes den Kontakt zur Flüchtlingshilfe Leimen. Das hat in der Vergangenheit auch gut funktioniert, sagt Stadtsprecher Michael Ullrich.

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