"Ansonsten wird es für uns dramatisch"
Jürgen Osuchowski, Leiter der Musikschule Badische Bergstraße, nimmt im RNZ-Gespräch zur Lage der Einrichtung in Corona-Zeiten Stellung

Von Günther Grosch
Weinheim. Rund 1,5 Millionen Jugendliche und Erwachsene besuchen in Deutschland eine Musikschule. Doch wegen Corona müssen die Schulen derzeit geschlossen bleiben und sehen sich bei der aktuellen Diskussion um Öffnungen ins Abseits gedrängt. Und das, obwohl an einer baldigen Entscheidung auch die Existenzen vieler Lehrkräfte hängen. Die RNZ hat mit dem Leiter der Musikschule Badische Bergstraße (MSBB), Jürgen Osuchowski, gesprochen.
Herr Osuchowski, wie geht es der Musikschule Badische Bergstraße in Corona-Zeiten?
Nun ja, am 15. März haben die Städte und Gemeinden ihre Schulen und Kitas für Außenstehende geschlossen, einen Tag später kam der Lockdown der Landesregierung. Wir haben sofort unsere Eltern und Schüler darüber informiert. Am 15. März haben wir spontan mit den anwesenden Kolleginnen und Kollegen einen Pädagogischen Tag durchgeführt, über die Lage diskutiert und die Strategie für die Zeit während und nach der Schließung besprochen. Zum Glück hatte die Musikschule schon 2018 angefangen, die Möglichkeiten von digitalem Unterricht und Verwaltung kennenzulernen und zu planen. Deshalb hat es auch nur etwa eine Woche gedauert, bis wir Online-Unterricht rechtssicher anbieten konnten. Es war wunderbar zu sehen, wie sich das Kollegium gegenseitig inspiriert und geholfen hat. Ich möchte an dieser Stelle Frank Hurrle, Julia Abankwa, Barbara Pfliegensdörfer und Ralph Fändrich hervorheben, die viel experimentiert und die Technik erprobt haben. Dort wo es gewünscht und möglich ist, geben wir Unterricht per Videokonferenz. In den meisten Fällen geht das gut bis sehr gut. Leider ist das Netz nicht überall leistungsfähig. Hier muss man feststellen, dass wir digital doch noch in der Steinzeit leben.
Was ist mit denen, die keinen Online-Unterricht erhalten?
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Wir werden im Laufe des Schuljahres allen Unterricht erteilen. Wir haben auch schon die erste Ferienwoche jeweils der Pfingst- und Sommerferien als Ausweichtermine kommuniziert. Im Moment sammeln wir noch die Rückmeldungen, wer in den drei letzten März-Wochen Unterricht erhalten hat und wer nicht. Manche Lehrer haben vor, auch diesen Unterricht nachzugeben, sobald die Schule wieder geöffnet wird. Wer keine Leistung für sein Geld erhalten hat oder noch bekommen wird, bekommt sein Geld zurück. Die Sichtung ist im Moment natürlich bei 2000 Schülern eine Mammutaufgabe und wird sicher noch einige Zeit dauern. Es gibt auch Eltern, die uns die Zahlung als Spende zukommen lassen wollen. Das hilft und freut uns natürlich sehr.
Wie ist die Stimmung bei den Eltern?
In solchen Krisenzeiten macht sich bemerkbar, wie die Haltung der Bevölkerung zu ihrer Musikschule ist. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten durch Leistung und Zuverlässigkeit eine gewisse Anerkennung erarbeitet. Die allermeisten Eltern sind verständnisvoll und dankbar. Sie sehen, dass wir alles geben, damit ihre Kinder Unterricht erhalten. Die Zahlungen der Entgelte gehen auch noch weitestgehend bei uns ein. Wir müssen aber schnellstmöglich den Musikschulbetrieb wieder aufnehmen, damit die Eltern ihre Zahlungen nicht einstellen. Ansonsten wird es für uns dramatisch, und auch die Lage in den Familien wird zunehmend angespannter. Ich habe Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin im Fernsehen in der "Kulturzeit" gehört. Er sagte sinngemäß, dass es uns derzeit nicht genügend gelingt, die Risikogruppe beispielsweise in den Alten- und Pflegeheimen zu schützen, wir aber Kinder und Jugendliche, die nach derzeitigem Kenntnisstand immun oder weniger gefährdet sind, sich mit Covid-19 anzustecken, einsperren und damit von Bildung, Weiterentwicklung und persönlicher Entfaltung ausschließen. Da ist doch etwas Wahres dran. Für die Kinder und Jugendlichen müssen mehr Lockerungen in den kommenden Wochen erteilt werden.
Wie schätzen Sie die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen im Zusammenhang mit Corona ein?
Im Großen und Ganzen kann man sehen, dass die Politik alles gibt, um die Menschen zu schützen. Die Infektionszahlen scheinen der Strategie auch Recht zu geben. Im Einzelnen betrachtet, gibt es allerdings Ungerechtigkeiten, die sich hoffentlich rasch ausmerzen lassen.
Was hat die Musikschule für Schutzkonzepte?
Wir werden mit zwei Meter Abstand unterrichten. In den Unterrichtsräumen mit Gesangs- oder Blasinstrumentenunterricht sind Plexiglastrennwände aufgebaut. Natürlich gelten die anderen bekannten Schutzmaßnahmen gemäß den Vorgaben der Landesregierung von Baden-Württemberg.
Bekommt die Musikschule Unterstützung von Politik und den Kommunen?
Ja, hier muss ich die Vertreter der vier Mitgliedskommunen ausdrücklich loben. Wir bekommen die bestmögliche Unterstützung im Rahmen der Möglichkeiten. Unser Musikschulverband, und auch ich persönlich, haben den Kontakt zur Politik gesucht und sind auf viel Verständnis für unsere Situation gestoßen. Ich hoffe, dass wir bei den kommenden Lockerungen mit dabei sind und die Schule wieder öffnen dürfen.
Gibt es Chancen in der Krise?
Ein klares Ja. Krise ist immer die Zeit, sich neu aufzustellen. Im Moment kommt mir immer der Vergleich mit dem Untergang des Römischen Reiches in den Kopf. Die Römer verfügten über einen hohen Stand an Kultur und Hygiene. Vor allem durch Kriege und den damit eingehenden Seuchen und Missernten versank Europa binnen einer Generation ins "dunkle" Mittelalter. Wenn wir nicht in eine Abwärtsspirale kommen wollen, müssen wir die Kreativität stärken und mehr in das gesellschaftliche Leben integrieren und etablieren. Nur dann haben wir eine Chance, gestärkt aus der Krise zu kommen. Anhand der digitalen Entwicklung kann man das sehen. Für den Start reichte eine Handvoll Kreativer in Kalifornien aus, um die Welt nachhaltig zu verändern und digital zu vernetzen. Mein Credo: Kreativität fördern! Musik ist dazu bestens geeignet.