Kümmelbacher Hof Neckargemünd

Die "Residenz" ist längst eine Ruine

Seit der Schließung des Seniorenheims vor knapp 20 Jahren zerfällt der Kümmelbacher Hof - Ein Rundgang über das Areal

02.02.2018 UPDATE: 03.02.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 58 Sekunden

Zerstörung wohin das Auge auch blickt: In den Gebäuden des Kümmelbacher Hofs haben Vandalen ganze Arbeit geleistet. Fotos: Alex

Von Christoph Moll

Neckargemünd. Zur Besichtigung des Kümmelbacher Hofs ist Peter Müller ohne Schlüssel gekommen. Kein Wunder: Solche braucht der Vertreter des Eigentümers "Pro Seniore" auch nicht, um in die Gebäude auf dem mehrere Hektar großen Areal am Rand der Neckargemünder Weststadt zu gelangen. Schließlich gibt es die Türen entweder nicht mehr oder die Glaseinsätze sind eingeschlagen, sodass man hindurchsteigen kann. Der Zahn der Zeit hat hier an der Grenze zu Heidelberg mit Unterstützung von Vandalen kräftig genagt. Es bietet sich ein schrecklicher und doch faszinierender Anblick. Die Gebäude sind sich selbst überlassen, die Natur erobert sich ihr Reich zurück. Die ehemalige "Residenz Neckarblick", wie das bis zum Jahr 1999 betriebene Pflegeheim hieß, ist längst eine Ruine. Nun will "Pro Seniore" den Kümmelbacher Hof wieder zum Leben erwecken. Ein Rundgang.

Schon am Parkplatz am Ende der parallel zu den Bahngleisen verlaufenden Kümmelbachstraße lässt sich der Zustand erahnen. Der Wald hat eine ganze Reihe der Parkplätze komplett überwildert. Die Tennisplätze, die einst hier errichtet wurden, sind nicht einmal mehr zu erahnen. Hier sprießen meterhohe Sträucher und Bäume. Lediglich ein kleines rotes Schild weist nach wie vor auf die "Residenz Neckarblick" hin.

Vom Parkplatz führt ein schmaler Fußweg hinauf zu den stattlichen Gebäuden. Der Starkregen der vergangenen Wochen hat hier tiefe Furchen hinterlassen. Ein umgestürzter Baum blockiert den Weg. Die schmucken Laternen lassen den früheren Glanz des Areals noch erahnen, die Glaseinsätze sind jedoch alle zerstört. Wie aus dem Nichts erheben sich plötzlich die Gebäude. Stellenweise wuchert das Efeu über die Fassade bis zum Dach. Man glaubt es kaum: Kein einziges Fenster ist mehr ganz.

"Es gab ein Vandalismusproblem", gibt "Pro Seniore"-Sprecher Müller zu. Weil immer wieder Jugendliche randalierten oder Obdachlose Quartier bezogen, setzte das Unternehmen vor zwei Jahren einen Sicherheitsdienst ein. Zuvor war es auch schon zu einem Brand gekommen und Langfinger hatten alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war.

Auch interessant
Kümmelbacher Hof Neckargemünd: Hier soll ein Seniorendorf soll entstehen

Im Eingangsbereich - ähnlich einer Hotellobby - mit holzvertäfelten Wänden und Kamin wird deutlich, wie schick es hier einmal gewesen sein muss. Der Boden ist aber übersät von Scherben, leere Flaschen zeugen von Gelagen. Moos ist gewachsen - stellenweise mehrere Zentimeter dick. Der wohl atemberaubende Blick von der Terrasse ins Neckartal wird durch hohe Bäume verstellt.

In den Seitenflügeln des U-förmigen Hauptgebäudes sieht es so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben und die letzten Senioren wären gerade erst ausgezogen. An den Türen stehen noch die Namen der früheren Bewohner. Die Pflegebetten hat "Pro Seniore" aber ausräumen lassen. Hier offenbart sich auch, warum das Pflegeheim kurz vor der Jahrtausendwende keine Zukunft mehr hatte: Auf den Zweibettzimmern gab es nur Waschbecken und keine Toiletten. Eine Verschärfung der Gesetze bedeutete das endgültige Aus.

Hintergrund

Die aktuellen Pläne mit dem Kümmelbacher Hof sind die Fortsetzung einer wechselvollen Geschichte:

> Im 18. Jahrhundert entstand der Kümmelbacher Hof als landwirtschaftlicher Betrieb, wie im Heimatbuch von Dr. Günther Wüst zu lesen ist. Im Jahr 1752

[+] Lesen Sie mehr

Die aktuellen Pläne mit dem Kümmelbacher Hof sind die Fortsetzung einer wechselvollen Geschichte:

> Im 18. Jahrhundert entstand der Kümmelbacher Hof als landwirtschaftlicher Betrieb, wie im Heimatbuch von Dr. Günther Wüst zu lesen ist. Im Jahr 1752 siedelte sich Conrad Schneckenberger auf dem sogenannten "Schneckenbuckel" an, der damals noch zu Heidelberg gehörte. Später entstand auf dem Gelände ein schlossähnliches Herrenhaus.

> Um das Jahr 1879 erfolgte die Gründung einer Bierbrauerei. Wie lange hier Gerstensaft gebraut wurde, ist nicht bekannt. Das Brauhaus und die Mälzerei standen noch bis in die 1970er Jahre.

> Ab dem Jahr 1899 betrieb der Heidelberger Georg Ebert den Hof als Gaststätte und etablierte ihn als Ausflugsziel.

> Im Jahr 1914 übernahm die Weinhandlung Fehser den Betrieb.

> In den 1920er Jahren wurde das Herrenhaus zum Kurhotel ausgebaut. Hier erholten sich Mitarbeiter der Mannheimer Firma Lanz, die auch ein eigenes Gästehaus auf dem Gelände errichtete.

> Im Zweiten Weltkrieg wurde der Kümmelbacher Hof als Kinderklinik genutzt. Nach dessen Ende wurde er als Kurhotel mit Café weitergeführt.

> Im April 1959 sorgte die Verhaftung des NS-Verbrechers Karl Jäger für Schlagzeilen. Der frühere SS-Standartenführer und Judenmörder hatte Anfang der 50er Jahre als Landarbeiter auf dem Hof angeheuert und wohnte seitdem dort.

> Anfang der 60er-Jahre begann für den Kümmelbacher Hof mit der Übernahme durch die Kaufhof AG eine neue Ära und seine glanzvollste Zeit. 1962 und 1963 wurden fast alle älteren Gebäudeteile abgerissen. Der Warenhauskonzern errichtete ein Schulungszentrum mit 88 Zimmern, einem Speisesaal für 200 Personen und neun Hörsälen. Der Kümmelbacher Hof wurde zum bundesweit einzigartigen Aus- und Fortbildungszentrum für Führungskräfte. Zu den Dozenten zählte auch die inzwischen verstorbene frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Ellen Lauterbach. Die Serenadenkonzerte im Innenhof lockten unzählige Besucher an.

> Im Jahr 1976 veräußerte die Stadt Heidelberg das 12,6 Hektar große Areal "Schneckenbuckel" rund um den Kümmelbacher Hof an Neckargemünd.

> Im Jahr 1984 verkaufte Kaufhof den Hof nicht an die interessierte Bhagwan-Sekte, sondern an den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Rheinland-Pfalz. Im Januar 1985 eröffnete der ASB ein Pflegeheim und kündigt bereits im Februar den Verkauf an. Der Deutsche Senioren- und Krankenpflegeverein - später "Pro Seniore" - mit Hartmut Ostermann an der Spitze übernahm das Haus und führte es bis zur Schließung im Jahr 1999. cm

[-] Weniger anzeigen

Im gesamten Gebäude haben sich Graffitisprayer ausgetobt. Manche "Kunstwerke" sind erst kürzlich entstanden, wie die Jahreszahl zeigt. "Was gibt es denn Feines?" wird an der Wand der Küche gefragt. Rührmaschine und Herd stehen noch. Besonders einladend sieht es aber hier nicht mehr aus. Das sahen auch die Sprayer so: "Wir kamen, sahen und gingen wieder."

Ein Besuch des Areals auf eigene Faust ist nicht nur verboten, sondern auch gefährlich, weil zum Beispiel Gitter von Lichtschächten fehlen. Im Internet existieren dennoch zahlreiche Videos über den "Kümmeli", wie das Areal von Anhängern der Szene der "Lost Places", also der vergessenen Orte, genannt wird.

Noch bis vor zehn Jahren genutzt wurde das angrenzende Gebäude des Berufsfortbildungswerks (BFW) aus den 70er Jahren. Seither wird der Gebäudekomplex nicht mehr beheizt. Der Holzübergang zum Hauptgebäude ist inzwischen so marode, dass das Betreten lebensgefährlich wäre. Auf dem weitläufigen Areal mit den völlig verwilderten Streuobstwiesen stehen noch zwei verwunschene Häuser aus den 50er Jahren. Eines war bis 2010 bewohnt - damals waren auch die Sternsinger das letzte Mal hier.

"Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir kein Problem mit Vandalismus", erzählt Peter Müller. Doch dann wurden auch die beiden Häuschen zum Ziel. Türen wurden geöffnet, Fenster eingeschlagen. Um die Bausubstanz zu retten, ließ "Pro Seniore" Türen und Fenster zumauern. "Wir haben uns um das Gelände gekümmert", versichert der Unternehmenssprecher. So sei auch eine Firma beauftragt worden, die dem Bewuchs Einhalt gebieten sollte - allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Trotz aller Gerüchte: Der Kümmelbacher Hof soll kein Umschlagplatz für Drogen sein - auch wenn auf einem Holzschuppen "BTM-Lager" steht. BTM steht für Betäubungsmittel. "Es gibt dort weder ein BTM-Problem und schon gar nicht werden dort Drogen vertickt", sagt Polizeisprecher Dieter Klumpp. Es würden aber immer wieder Personen vom Sicherheitsdienst erwischt und dann wegen Hausfriedensbruch angezeigt.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.