Jahresinterview

Das sagt Weinheims OB Manuel Just über 2020 (Update)

OB spricht in Teil eins des Jahresinterviews über Corona-Maßnahmen, deren Folgen, die "Querdenker" und das Kreis-Impfzentrum - Just hatte später mit dem Lockdown gerechnet

27.12.2020 UPDATE: 28.12.2020 06:00 Uhr 10 Minuten, 43 Sekunden
Oberbürgermeister Manuel Just bei seiner Weihnachtsansprache im Internet. Auch das Jahresgespräch mit der RNZ hat er per Videokonferenz geführt. Heute erscheint der erste Teil des Interviews, der zweite folgt in der Dienstagsausgabe. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Weinheim. Es war ein außergewöhnliches Interview, und das nicht nur, weil es per Videoschalte stattfand. Gerade als die RNZ mit OB Manuel Just zum Jahresinterview 2020 verabredet war, beherrschten die Ausgangsbeschränkungen und der harte Lockdown die Schlagzeilen. Just nahm sich dennoch eine knappe Stunde Zeit und erklärte in Teil eins des Jahresinterviews seine Haltung gegenüber den Corona-Maßnahmen, aber auch den protestierenden "Querdenkern". Auch das Impfzentrum im Drei-Glocken-Center kam zur Sprache.

Herr Just, das Jahr endet mit hartem Lockdown und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Wie stehen Sie als Oberbürgermeister der Stadt Weinheim zu den Regelungen, die in Stuttgart und Berlin erlassen worden sind?

Ich halte es für vollkommen richtig, jetzt noch einmal verschärfte Regelungen anzuwenden. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass wir zuletzt einen signifikanten Anstieg der Infektionszahlen hatten. Wir hatten in Weinheim zwar zunächst einen positiven Trend, aber auch der hat sich in den Tagen vor Bekanntwerden des harten Lockdowns umgekehrt. Im Rhein-Neckar-Kreis sind wir auf einen Inzidenzwert von 200 zugelaufen und haben ihn dann leider überschritten. Schon davor gab es eine Konferenz der Bürgermeister im Rhein-Neckar-Kreis mit Landrat Stefan Dallinger und Polizeipräsident Andreas Stenger.

Wir waren uns einig, dass wir in die Hotspot-Strategie wechseln müssen. In einer weiteren Konferenz mit den Oberbürgermeistern in Baden-Württemberg bestand zunächst Einigkeit, dass man zum 27. Dezember in den harten Lockdwon gehen müsste. Das wäre die Zeitachse gewesen, die Handel, Gastronomie und andere noch am ehesten hätten verschmerzen können. Doch dann spitzte sich die Situation zu. Daher: Auch wenn es sehr harte Einschnitte sind, habe ich vollstes Verständnis. Es sind die richtigen Entscheidungen.

Auch interessant
Rhein-Neckar: Ab 27. Dezember wird geimpft - So ist die Planung
Weinheim: Ab Mitte Januar soll im Drei-Glocken-Zentrum geimpft werden
Jahresrückblick 2020: Das waren die Themen der Region Bergstraße
Aufruf zur Distanzierung: "Weinheim bleibt bunt" appelliert an Gegner von Corona-Maßnahmen
Weinheim: Innenstädte brauchen Menschen
Demonstration: Warum die "Querdenker" in Weinheim unter sich blieben

Hat man sich im Vorfeld Gedanken gemacht, wie sich Maßnahmen wie Ausgangssperren auf Leute auswirken, die ohnehin schon wenig zwischenmenschliche Ansprache haben?

Ich glaube, es wäre anmaßend, wenn wir behaupten, wir wissen heute schon, welche Maßnahme welche Auswirkungen nach sich zieht – und wie wir reagieren müssen. Dass wir große Sorge haben, in dieser eher dunklen, kalten Jahreszeit Menschen in die Isolation zu verlieren, habe ich schon vor einigen Wochen in meiner Videobotschaft zum Ausdruck gebracht. Ich wäre gern eines Besseren belehrt worden, aber die Situation tritt jetzt heftiger ein, als ich es mir damals ausmalen konnte. Denn in der Tat bin ich davon ausgegangen, dass wir uns bis Weihnachten oder Silvester durchhangeln und dann im Januar oder Februar 2021 in eine Situation kommen, wie wir sie im Februar, März dieses Jahres hatten – also dass wir erst nach Weihnachten in den harten Lockdown gehen. Nun wurden wir von der Dynamik des Infektionsgeschehens überrascht. Dass man versucht, Menschen mitzunehmen, wird in Weinheim beispielsweise an Aktionen wie etwa dem Weinheimer Woinachtsradio deutlich. Ich glaube, wir haben sehr viele Akteure in der Stadt, die da an einem Strang ziehen.

Stichwort Einzelhandel: Die GAL hat zuletzt im Gemeinderat gefordert, "Dankescheine" auszugeben, um den Weinheimer Handel zu unterstützen. Die anderen Fraktionen und Sie waren eher nicht dafür. Haben Sie eine Alternative?

Ich hätte sie gern, und sie wäre sehr viel leichter zu finden, wenn wir eine andere Haushaltslage hätten. Sie kennen ja den Haushaltsplanentwurf, den wir für 2021 eingebracht haben. Er weist für das kommende Jahr einen negativen Finanzierungssaldo von 14,3 Millionen Euro im laufenden Geschäft aus. An dieser Stelle "Dankescheine" auszugeben an 36.000 bis 38.000 Bürger, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, würde zu Kosten in Höhe von 350.000 bis 400.000 Euro führen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Das ist nicht darstellbar. Hinzu kommt, dass wir gar nicht lenken können, wem dieses Geld bei diesem Gießkannensystem zugute kommt. Wir versuchen aber selbstverständlich weiterhin, mit anderen Maßnahmen Erleichterung zu schaffen oder idealerweise als Multiplikator zu wirken. Die Stadt hat Anfang 2020 auf Miet- und Pachteinnahmen sowie auf die Erhebung von Sondernutzungsgebühren verzichtet. Im Tourismussektor haben wir eine, wie ich finde, gelungene Werbekampagne gestartet. Wir setzen auf die Reize von Weinheim und der Bergstraße, "wo Deutschland beginnt, Italien zu werden".

Damit wollen wir Leute anziehen, die nicht ins Ausland reisen können. Wir setzen also mit überschaubaren Mitteln den großen Hebel an. Ich sage Ihnen aber ebenso offen: Um die Betriebe, die sich zu Recht große Sorgen machen, zu retten, sind wir auf Hilfen von Bund und Land angewiesen. Wir als Kommune zählen selbst zu den stark Betroffenen dieser Krise.

Jetzt soll ein Kreisimpfzentrum ins Weinheimer Drei-Glocken-Center kommen. Können Sie uns eine ungefähre Vorstellung davon vermitteln, was dort passiert? Kann man ab Mitte Januar kommen und sich einfach gegen Corona impfen lassen? Oder wäre das naiv?

Man könnte es naiv nennen. Man könnte aber auch sagen, dass es leider Gottes nicht ganz so einfach ist. In der Tat wird man nicht mal schnell in der Mittagspause vorbeifahren und reinspazieren können. Derzeit wird mit einem Beginn am 15. Januar geplant. Betreiber ist der Rhein-Neckar-Kreis, die Stadtverwaltung ist in den Informationsfluss eingebunden. Nun ist es so, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen hintereinander geimpft werden. Stand jetzt ist geplant, eine Telefonhotline zu schalten und eine App zu aktivieren. Dort hat jeder die Möglichkeit, sich anzumelden und dann abzuwarten, bis "seine" oder "ihre" Gruppe an der Reihe ist und sie oder er einen Termin hat. Vor Ort wird dann anhand des Personalausweises oder eines anderen Dokuments abgeglichen, ob Impfphase und Termin mit der konkreten Person übereinstimmen. Wir gehen davon aus, dass wir 1000 Personen am Tag impfen können. Zwischen sieben und zehn Ärzte sollen die Impfungen vornehmen. Das Impfzentrum gliedert sich in mehrere Schleusen und Abläufe. Am Anfang steht die Überprüfung, dann kommen Aufklärung und Impfung.

Es sind dann ganz schön viele Mitarbeiter anwesend: Ärzte, Assistenten, Sicherheitsdienst, Administration...

Die genaue Zahl entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es wird schon ein kleiner "mittelständischer Betrieb", rein zahlenmäßig... Aber Spaß beiseite: Die Fläche ist nicht ganz klein und nach meinem Dafürhalten bestens dafür geeignet.

Ich weiß, es ist mittlerweile schon ziemlich fraglich, dieser Bewegung überhaupt ein Forum zu bieten; aber es ist nun einmal Tatsache, dass die sogenannten Querdenker über mehrere Monate hinweg in Weinheim protestierten. Haben Sie vor, persönlich Stellung dazu zu beziehen – oder ist das die Sache des überparteilichen Bündnisses "Weinheim bleibt bunt"?

Nun, Herr Weber, ich glaube, wenn jemand ein "Machtwort" des Oberbürgermeisters erhofft und dies mit der Erwartung an eine Verhaltensänderung aufseiten der so genannten "Querdenker" verbindet, dann ist er – mit Verlaub – weltfremd. Ich glaube auch, dass es besser ist, sich den Themen zu widmen, als sich an Andersdenkenden abzuarbeiten. Klar ist aber auch, dass es mir gerade vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen absolut an Verständnis fehlt für Aktivisten, die die ganz konkreten Pandemie-Gefahren nicht sehen mögen. Vielleicht hatten wir zu Beginn der Pandemie ein Infektionsgeschehen, das für viele weit weg schien. Vielleicht hatten einige das Gefühl, dass die Pandemie irgendwie da war – aber nicht bei uns. Dass man dabei das Verständnis für getroffene Maßnahmen verliert, das kann ich zumindest in Ansätzen nachvollziehen.

Ob ich es gut finde, steht auf einem anderen Blatt. In den letzten Monaten, Wochen, Tagen haben wir aber Entwicklungen, die eine andere Sprache sprechen. In diesem Zusammenhang muss man sich vergegenwärtigen, welche Zustände wir Anfang des Jahres in Italien und im weiteren Verlauf in den USA oder Brasilien hatten. Jetzt gehen die Infektionszahlen auch bei uns durch die Decke, die Krankenhäuser laufen voll, die Todeszahlen nehmen zu. Und sich dann hinzustellen und die Pandemie zu leugnen– dafür fehlt mir jegliches Verständnis! Ich glaube, die Bürger wissen, wie ihr Oberbürgermeister sich dazu positioniert. Dennoch ist unsere Position als exekutive Behörde ebenso klar wie die rechtliche Seite: Wir mussten und müssen diese Versammlungen nach Artikel acht des Grundgesetzes genehmigen.


Wie wirkt sich die Corona-Lage auf den Haushaltsplan 2021 aus? Warum steht das Rolf-Engelbrecht-Haus darin, obwohl die Zukunftswerkstatt noch nicht angefangen hat? Und wie steht OB Manuel Just zu einem möglichen anwaltlichen Vorgehen der GAL, nachdem es bei der Benennung der Mitglieder des Gutachterausschusses zum Eklat gekommen war? Diese Frage beantwortet Just in Teil zwei des Jahresinterviews.

Beim Thema Haushalt geht die Verwaltung davon aus, 2021 auf Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 30 Millionen Euro zurückgreifen zu können. Aber das sind nur acht Millionen weniger, als 2020 veranschlagt waren. Ist das nicht arg optimistisch, wenn man bedenkt, wie lange es dauert, bis die Impfungen in die Breite gehen?

Was wäre denn Ihres Erachtens die richtige Zahl?

Schwierig ...

Die Frage war ja nicht ganz ernst gemeint und sicherlich auch nicht fair. In der Tat ist es nicht ganz einfach, solche Zahlen zu ermitteln. Wir sind dafür auf die größten Gewerbesteuerzahler in unserer Stadt zugegangen und haben versucht, deren Entwicklungen zu begreifen. Darüber hinaus lehnen wir uns an die Prognosen der Wirtschaftsweisen an. Was die uns präsentieren, ist sehr stark vom Prinzip Hoffnung getrieben – das habe ich bei der Haushaltseinbringung schon gesagt. Aber mit unseren eigenen Vorstellungen sehr stark unter oder sogar über diese Einschätzungen zu gehen, hätte ich als anmaßend und unseriös erachtet. Wir sind im Prinzip so vorgegangen wie in den Vorjahren auch, um die Lage mithilfe von Steuerschätzungen und den Empfehlungen der Kommunalverbände so sachlich wie möglich bewerten zu können. Ich persönlich habe deshalb aber immer betont, dass diese Zahl nicht konservativ, sondern optimistisch ist.

Nun ist der Eindruck entstanden, dass die Verwaltung sich dieses Mal zurückhält mit Sparvorschlägen, sondern eher auf Ideen der Fraktionen wartet.

Die Antwort darauf umfasst drei Aspekte. Zunächst glaube ich, dass wir schon im laufenden Geschäft sehr genau hinschauen: Sie kennen ja nicht die Beträge, die die Ämter ursprünglich angemeldet haben. Da ist die eine oder andere Maßnahme gar nicht über die Kämmerei oder den OB hinausgekommen. Wenn Sie die Aufwendungen der Ergebnishaushalte in den Jahren 2020 und 2021 vergleichen, stellen Sie fest, dass wir von 139,5 auf etwas mehr als 137 Millionen Euro heruntergegangen sind. Mit Blick in die Zukunft sehe ich das eine oder andere Projekt, bei dem ich mir vorstellen könnte, dass wir auf der Aufwandsseite zu kleineren bis nennenswerten Einsparungen kommen könnten.

Allerdings bin ich da noch zurückhaltend, weil ich dazu zunächst nur eine eigene Einschätzung habe. Das ist der zweite Aspekt. Der dritte Aspekt ist, dass Gemeinderat und OB sich tief in die Augen schauen müssen. Wir müssen uns fragen, wo wir zu einem Ergebnis kommen, das von möglichst vielen oder sogar allen mitgetragen wird. Auch der Gemeinderat wird aufgefordert sein, Einsparungen zu generieren. Sonst drehen wir etliche Runden in der Haushaltsstrukturkommission, kommen aber inhaltlich nicht vorwärts.

Das Rolf-Engelbrecht-Haus steht erneut im Haushaltsplanentwurf, mit einer Machbarkeitsstudie. Diese würde ja skizzieren, wie die Sanierung aussehen könnte. Einige CDU-Stadträte hatten sich 2020 dagegen gewehrt, sie wiesen auf die Zukunftswerkstatt hin und auf die auf Eis liegenden Projekte in den Ortsteilen. Wie ist das Engelbrecht-Haus wieder reingekommen?

Das Rolf-Engelbrecht-Haus steht im Haushaltsplan, weil OB und Stadtverwaltung dieses Projekt für richtig erachten. Ob das auch politisch so gesehen wird, darüber müssen wir diskutieren. Ich habe aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass das Gebäude für mich seine Berechtigung hat. Es ist – rein emotional betrachtet – das Wohnzimmer der Weststadt. Architektur und Baustil stehen für eine Epoche, sie ergänzen sich mit dem nebenan entstehenden Schulzentrum. Als Laie behaupte ich, dass die Gebäudesubstanz nicht so schlecht erscheint, dass das Haus nicht sanierungsfähig wäre. Es abzureißen, wäre schwierig, auch weil es den Namen eines Mannes trägt, dem die Stadt viel zu verdanken hat. Daher halte ich eine Machbarkeitsstudie für den richtigen Ansatz, um genau diese Einschätzung fundierter zu erörtern. Das Engelbrecht-Haus mag im Gemeinderat unterschiedlich betrachtet werden, aber in der Stadtgesellschaft sehe ich kein Bedürfnis, das Gebäude neu zu errichten.

Gibt es inzwischen einen konkreteren Zeitplan für die Zukunftswerkstatt?

Nein, leider. Ich war mir immer im Klaren darüber, dass die Zukunftswerkstatt in der Hauptsache in Präsenzsitzungen stattfinden muss. Innerhalb dieser Stadt erkenne ich ganz unterschiedliche Meinungen, was uns ja auch bereichert. Aber die Positionen einiger Anspruchsgruppen sind zum Teil sehr konträr, die Stimmung ist teilweise durchaus angespannt. Ich glaube nicht, dass sich dies über einige Videositzungen auflösen lässt, wenn überhaupt. Ich glaube aber daran, dass man sich in Präsenzsitzungen anders begegnet. Daher sehe ich Digitalsitzungen als gute, flankierende Maßnahme. Aber ausschließlich darauf zu setzen, halte ich für falsch. Wir werden die Pandemie überwunden haben müssen, um in diesem Prozess voranzukommen.

Vertreter der GAL sagten mir, dass sie die Einzelabstimmungen bei der Bestellung des interkommunalen Gutachterausschusses im Weinheimer Gemeinderat – in deren Zuge die von der GAL vorgeschlagene Susanne Tröscher durchfiel – anwaltlich überprüfen lassen. Wie bewerten sie die Angelegenheit? Sie haben die Abstimmungen als Sitzungsleiter zugelassen.

Wir haben das Vorgehen im Vorfeld ebenfalls durch unsere Rechtsabteilung überprüfen lassen. Es bleibt jedoch das gute Recht einer Fraktion, Vorgänge selber auf den Prüfstand zu stellen. Aber ich habe keinen Zweifel an der Meinung meines Hauses. Es handelt sich bei der Auswahl der Gutachter um eine Bestellung. Das Verfahren ist weder in der Gutachterausschussverordnung noch in der Gemeindeordnung ganz explizit für diesen Fall geregelt.

Eine Bestellung aber ist laut Paragraf 37 der Gemeindeordnung durch Wahl durchzuführen, per Listen- oder Personenwahl. Nachdem klar gewesen war, dass ein Stadtrat auf geheime Wahl besteht, befanden wir uns im Wahlverfahren. Dieses musste aus den zwei vorhandenen Möglichkeiten heraus definiert werden, und der Gemeinderat hat entschieden. Damit steht für mich und unser konkretes Handeln nicht wirklich eine Rechtsfrage im Raum.

Aber ist das nicht ein Präzedenzfall, weil man es erstmalig in diesem Bundesland mit Gutachterausschüssen zu tun hat, die für ganze Regionen zuständig sind? Theoretisch hätte der Weinheimer Gemeinderat ja auch einen Kandidaten aus Wilhelmsfeld ablehnen können. Oder eben doch nicht.

Wenn es mit dieser, von Ihnen beschriebenen Konstellation Probleme geben sollte, muss der Gesetzgeber handeln. Dann muss er das Verfahren definieren. Selbst wenn man uns sagen würde, dass es nicht zulässig wäre, was wir getan haben: Dann müsste sich ja daraus auch erschließen, was wir hätten anders machen sollen. Es steht nur in der Gutachterverordnung, dass "zu bestellen ist". Mit dem Gemeinderat haben wir unstrittig ein dafür zuständiges Gremium. Und wie bestellt der Gemeinderat? Er wählt. Nach Paragraf 37 Gemeindeordnung. Also ist möglicherweise eine Regelungslücke vorhanden – die man uns aber nicht zum Vorwurf machen kann, weil wir das passendere Instrument gar nicht gehabt hätten. Aber vor Gericht und auf hoher See ...

Ist es aber rein politisch gesehen nicht ein Tabubruch, dass der Vorschlag einer Fraktion von den anderen Kräften im Gremium mehrheitlich abgelehnt wird?

Es ist ein bedeutender Ausschuss, und für Weinheim stand ein kleiner Personenkreis zur Wahl. Ich kann verstehen, dass es als Tabubruch empfunden wurde. Jetzt haben wir aber die Situation in Weinheim, dass wir schon mehrfach die Besetzung von Ausschüssen, die Entsendungen in Zweckverbände oder andere Gremien in geheimer Wahl bestimmen "durften". Diese Abstimmungen finden seit Beginn der laufenden Legislaturperiode (und dem damit verbundenen Amtsantritt von Günter Deckert als Einzelstadtrat der "Deutschen Liste", Anm. d. Red.) schon gar nicht mehr per Akklamation statt.

Und wenn Sie sich die jeweiligen Wahlergebnisse genau anschauen, stellen Sie fest, dass viele Stadträte von anderen gar nicht immer alle Stimmen bekommen haben. Das mag in diesem Fall besonders markant gewesen sein; es war im Verlauf der Wahlmarathons der vergangenen Monate aber schon öfter der Fall, dass es nicht nur eine Gegenstimme gab. Und es war im Falle Tröschers auch nicht so, dass sie nur von ihrer Ex-Fraktion, der CDU, nicht gewählt wurde. Denn ansonsten wäre sie noch immer mehrheitlich gewählt worden. Das gehört auch zur Wahrheit dazu.

Die traditionellen Reden zum Ende des alten und zum Beginn des neuen Jahres fallen aus. Gibt es weitere Videobotschaften?

Wir haben je ein Video als Weihnachtsbotschaft gemacht, wir planen aber auch anstelle des traditionellen Neujahrsempfangs, der ja ebenfalls nicht stattfindet, ein solches. Wir haben dieses Stilmittel durchaus entdeckt, nicht nur für derart neuralgische Anlässe. Wir haben gemerkt, dass man die zwischenmenschlichen Facetten in dieser Zeit der Pandemie und der damit verbundenen Entscheidungen sehr gut rüberbringen kann.

Man kann verdeutlichen, dass wir bei vielen Entscheidungen mit uns gerungen, uns vielleicht sogar gestritten haben im Krisenstab, um zu einem abwägenden Ergebnis zu kommen. Das lässt sich im Video einfacher erklären als in einer schriftlichen Verlautbarung, wo diese zwischenmenschlichen Töne vielleicht gar nicht ankommen. Es ist wohl eine "Errungenschaft" der Pandemie, dass nicht nur wir, sondern Menschen allgemein vor Kameras treten, um andere zu erreichen.

Wäre dies eine Möglichkeit, Botschaften auch nach der Pandemie zu verbreiten, etwa im Rahmen des Neujahresempfangs?

Für 2022 gibt es da noch keine Pläne. Aber ich persönlich würde ungern auf den persönlichen Kontakt verzichten, sofern er wieder möglich ist. Ich bleibe ein Verfechter der Kontaktpflege vor Ort. Ich bin froh, wenn man den ganzen Mann oder die ganze Dame sieht – und das Bild nicht ruckelt. Aber immer wenn die Kamera als ergänzendes Instrument Sinn ergibt oder im Tagesgeschäft etwas nutzt, bin ich dafür. Etwa wenn der Architekt nicht mehr aus Dortmund anreisen muss für eine eineinhalbstündige Besprechung. Das dient auch dem Umwelt- und Klimaschutz. Aber wenn Begegnung im Vordergrund steht, sollte man weiter auf persönliche Treffen setzen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.