Feuerwehr-Seelsorger

"Ich weiß, ich kann helfen"

Seit acht Jahren ist Professor Wolfgang Werner aus St. Leon-Rot Feuerwehr-Seelsorger und leistet "Erste Hilfe für die Seele".

13.08.2019 UPDATE: 18.08.2019 06:00 Uhr 4 Minuten, 38 Sekunden

"Ich bin für Sie da": Das versichert Feuerwehr-Seelsorger Wolfgang Werner, wenn er bei großen und kleinen Vorfällen Menschen in Not beisteht. Foto: Lerche

Von Sebastian Lerche

St. Leon-Rot. "Es hat einfach gepasst", sagt Prof. Dr. Wolfgang Werner. Seit 2011 ist er Feuerwehrseelsorger im Team des Kreisfeuerwehrverbands und bietet bei Unfällen, Bränden oder anderen Einsätzen von Feuerwehr und auch Polizei "psychosoziale Notfallversorgung" - oder wie es auch genannt wird: "Erste Hilfe für die Seele".

"Da sagte eine innere Stimme: ’Du machst das jetzt’", erinnert sich der 66-Jährige an die Anfrage des damaligen St. Leoner Feuerwehrkommandanten Willi Hofmann vor gut acht Jahren. Damals wie heute sagt er sich: "Ich weiß, ich kann helfen, also mach ich’s."

Nach dem Studium ab 1973 begann eine Hochschullaufbahn mit dem Hauptgebiet Biogeografie und "von verschiedenen Fachgebieten beleckt", darunter Klima-, Gletscher- und Tropenforschung, Naturschutz sowie auch Städteplanung und Entwicklungshilfe. Spannende Forschungsreisen, Lehr- und Berateraufträge führten ihn unter anderem nach Asien und in die Karibik, aber leider waren es "immer nur Zeitverträge", sogar zuletzt die kommissarische Leitung der Geografie am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Da wirkte das Angebot des Privatgymnasiums in St. Leon-Rot attraktiv, das einen Religionslehrer suchte und eine unbefristete Stelle anbot - für elf Jahre war Werner dort tätig.

Wieso Religion? Wolfgang Werner ist seit 23 Jahren Prädikant im evangelischen Kirchenbezirk. 1989 wurde er zum Kirchenältesten in der damaligen Johannesgemeinde in Wiesloch gewählt, erhielt danach die Lektoren- und Prädikantenausbildung in Freiburg. Seither sei er "in Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung vom Landesbischof beauftragt", vertrete Pfarrer während Urlaub oder Vakanz, halte Gottesdienste, auch mit Abendmahl, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen gehörten ebenfalls dazu.

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Mit der Anstellung am Privatgymnasium kam 2009 der Umzug von Wiesloch nach St. Leon-Rot, wo er inzwischen auch für die SPD im Gemeinderat sitzt. Mit dem Wunsch des jüngsten Sohnes, in der Jugendfeuerwehr aktiv zu sein, kam der Kontakt zu den St. Leoner Kameraden und Kommandant Hofmann - zugleich eine gute Gelegenheit, gleich eine gute Beziehung mit der neuen Heimat aufzubauen.

Werner durchlief eine eigene Ausbildung durch das Feuerwehr-Seelsorgeteam des Kreisfeuerwehrverbands. Er kann weit über St. Leon-Rot hinaus eingesetzt werden, ist aber Mitglied der St. Leoner Wehr - wenn auch kein Feuerwehrmann im eigentlichen Sinne. Marco Lehn, jetzt Kommandant der Feuerwehr St. Leon, habe die Arbeit der Notfall-Seelsorge "von Anfang an bedingungslos unterstützt". Ein Fahrdienst wurde eingerichtet, immer wieder fahre Lehn selbst oder sein Stellvertreter Markus Blass.

Hintergrund

Im ehrenamtlich aktiven Feuerwehr-Seelsorge-Team arbeiten Seelsorger der beiden Kirchen, Ärzte, Psychologen und Mitglieder von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Träger ist der Kreisfeuerwehrverband Rhein-Neckar, die katholische und evangelische

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Im ehrenamtlich aktiven Feuerwehr-Seelsorge-Team arbeiten Seelsorger der beiden Kirchen, Ärzte, Psychologen und Mitglieder von Feuerwehr und Rettungsdiensten. Träger ist der Kreisfeuerwehrverband Rhein-Neckar, die katholische und evangelische Kirche unterstützen das Team, das als gemeinnützige, der Nächstenhilfe dienende Einrichtung ins Leben gerufen wurde.

Die aktuell 35 ehrenamtlichen Einsatzkräfte sind im gesamten Rhein-Neckar-Kreis und im Stadtkreis Heidelberg tätig, und das grundsätzlich rund um die Uhr, das ganze Jahr. Laut dem Jahresbericht des Seelsorgeteams betreuten die Mitarbeiter 2018 insgesamt 1206 Personen bei 166 Einsätzen.

Besonders gefordert waren sie bei einem Großbrand, beim Zusammenstoß eines Sportflugzeugs mit einem Rettungshubschrauber und bei Busunfällen mit zwischen 10 und 89 Beteiligten.

In den vergangenen zehn Jahren bewegte sich die Zahl der Einsätze pro Jahr zwischen 114 und 181, darunter überwiegend plötzliche Todesfälle im privaten Raum und Nachbesprechungen von Einsätzen mit den Einsatzkräften, an dritter Stelle aber schon Verkehrsunfälle sowie die Überbringung von Todesnachrichten.

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Für Wolfgang Werner ist wertvoll, dass er das Feuerwehrfahrzeug nicht selbst steuern muss, sondern zum Einsatz gefahren wird: Dann könne er sich auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren und sich auch mit den Kollegen vom Seelsorgeteam absprechen. Und klar sei, dass andere beispielsweise Löschangriff oder Bergung starten, während er sich um die Menschen in Not kümmere.

Für ihn gibt es zum einen häusliche Einsätze, beispielsweise Todesfälle, oft mit ungeklärter Ursache, bei denen er sich um die Angehörigen kümmert. "Ich fahre mit der Polizei mit: Die überbringen die traurige Nachricht, wir Seelsorger fangen die Leute auf." Da werde geschrien, geweint oder sogar getobt, für die Polizisten sei die Hilfe der Feuerwehr-Seelsorger "eine Riesenerleichterung". Für in der Regel drei Stunden ist Werner für sie da, bis das Netzwerk aus Verwandten, Nachbarn oder Freunden den Betroffenen beistehe.

Zu Außeneinsätzen wiederum gehören beispielsweise Autounfälle. "Wir betreuen Angehörige und Zeugen, aber auch Unfallverursacher." Schließlich "sind wir keine Verkehrsrichter", da gebe es keinen Unterschied, wenn jemand die Hilfe benötige. So erinnert Werner sich an einen tödlichen Unfall, bei dem ein Auto eine Radfahrerin erfasst hatte. Während ein Kollege sich der Angehörigen angenommen habe, sei er zum Unfallverursacher gegangen, der "total verzweifelt" war. "Der hat darunter gelitten, was er angerichtet hat."

Zu Großschadenslagen, bei denen meist auch ein größeres Seelsorgerteam ausgesandt wird, zählen beispielsweise Busunfälle oder Brände, bei denen zahlreiche Menschen Unterstützung benötigen. Beim Brand einer Halle im Gewerbegebiet Rot-Malsch war Werner für Betroffene vor Ort, glücklicherweise wurde niemand verletzt. Schlimm seien Bahnunfälle, wenn eine große Zahl an Fahrgästen und Zeugen, dazu die Lokführer, betreut werden müssten und sich dabei die Bergungs- und Ermittlungsarbeiten aufwendig und langwierig gestalteten. "Ich sehe Tote, sehe schreckliche Dinge, das lässt sich nicht vermeiden."

"Es gibt kein Konzept": Man müsse sich intuitiv heranarbeiten und auf die Leute einstellen. Werner betont, dass er sich nicht aufdränge. Oft biete er etwas zu trinken an, "Wasser habe ich immer dabei", lade die Menschen ein, sich bei ihm aufzuhalten, versichere: "Ich bin für Sie da." Vielfach genüge es, einfach Gesellschaft zu leisten, "da muss man gar nicht viel reden, Mitgefühl kann man auch ohne Worte spürbar machen". Völlig ausgeschlossen für ihn seien Phrasen wie "Das muss schrecklich für Sie sein" oder "Das geht vorbei".

Er sei auch niemand, der Leute von sich aus in den Arm nehme, "da bin ich zurückhaltend". Und auch wenn es Seelsorge heiße, "haben Religion oder Kirche ganz selten etwas damit zu tun", er sei in seiner Herangehensweise völlig frei. Wenn es gewünscht werde, spreche er mit den Menschen ein Gebet, das sei aber eher selten.

Für den Fall, dass Kinder unter den Betroffenen sind, "habe ich immer einen Teddy in meiner Ausrüstung". Da helfe selbstverständlich, wenn man selbst Kinder großgezogen habe, "natürlich fängt bei uns keiner mit 20 als Feuerwehr-Seelsorger an". Lebenserfahrung sei generell unverzichtbar, aber besonders, um die ehrlichen Antworten, die die Kinder brauchen, auf angemessene Art zu geben.

Oft helfen "ganz praktische Tipps", wie die nächsten Schritte aussehen sollen, Angehörige zu informieren, Nachbarn anzurufen, also zu helfen, das soziale Netz aufzubauen. "Schön ist es, wenn ich den Leuten wirklich helfen konnte, wenn ich das Gefühl habe, es geht ihnen besser." Das Feuerwehr-Seelsorgeteam biete auch telefonisch eine Nachbetreuung an, falls sie gewünscht werde, er selbst aber halte nach dem Einsatz keinen persönlichen Kontakt zu den Betroffenen.

Eine wichtige Aufgabe ist auch die Nachbetreuung der Einsatzkräfte, die mit Schrecklichem konfrontiert wurden. Denen biete das Seelsorge-Team später im Feuerwehrhaus ein Gespräch an, so Werner. Ihm liege daran, "dass sie aussprechen, was ihnen besonders in Erinnerung ist, dass sie es loswerden", anstatt es mit sich herumzutragen. Er weise auch immer darauf hin, dass ein harter Einsatz durchaus einige Tage oder Wochen nachwirken könne "und Bilder ganz plötzlich hochkommen". Wenn nach zwei Wochen immer noch eine Belastung spürbar sei, empfehle sich auch eine psychotherapeutische Behandlung.

Dass ihm selbst die Einsätze nahe gehen, merkt man in den Gesprächspausen, wenn sich Wolfgang Werners Blick nach innen richtet. Wenn er durch die Region fahre, könne er immer wieder auf Orte deuten, an denen er schon im Einsatz gewesen sei, bis Sinsheim, Eberbach, Neckargemünd oder Weinheim.

Loslassen "fällt ein bisschen schwer", aber "man will es verdrängen, das gehört dazu", man dürfe die Einsätze "nicht so nah an sich herankommen lassen, man muss innerlich abschließen". Sich selbst anderen anzuvertrauen, sei wegen der Schweigepflicht nur eingeschränkt möglich, aber wenn er auf dem Weg zurück wieder gefahren werde und ein erfahrener Feuerwehrmann neben ihm sitze, sei das tröstlich, auch wenn man nicht über den Einsatz rede. Zudem bietet das Feuerwehrseelsorgeteam auch Supervisionen an, wo sich die Team-Mitglieder aussprechen und austauschen können.

2018 hatte Werner 25 Einsätze, jetzt, mit 66, sei sein Ziel, die Zahl unter 20 im Jahr zu senken. Als Rentner sei er tagsüber flexibel, Nachteinsätze wiederum überlasse er inzwischen möglichst Jüngeren. Aber, ist Werner entschlossen: So lange er noch kann, wird er helfen.

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