Pfarrer Reichert ist "nicht bereit, Leute nach Hause zu schicken"
Trotz Lockerungen will Pfarrer Reichert aus "Rationalität und Nächstenliebe" auf Gottesdienste verzichten

Von Katharina Schröder
Ladenburg. Wegen des Verbots, Gottesdienste zu besuchen, ist die Landesregierung derzeit mit den Kirchen im Gespräch. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte gestern in Stuttgart: "Wir können sicher zusagen, dass es in 14 Tagen eine Öffnung geben wird." Unter welchen Auflagen ist noch nicht bekannt.
David Reichert, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Ladenburg, sieht das kritisch. Auf Facebook setzte er kürzlich einen Post ab, in dem er seine Meinung zu den Forderungen nach Lockerungen des Gottesdienstverbots kundtat.
Adressiert an Pfarrkollegen und -kolleginnen äußert er Verständnis für die Freude über mögliche Lockerungen des Gottesdienstverbots. Aber er stellt auch die Frage: "Seid Ihr wirklich bereit, Menschen am Eingang auszuwählen beziehungsweise wegzuschicken?". Er würde lieber kleine Schritte gehen bei der Öffnung der Gottesdienste. Unter dem Post zeigt sich, was Reichert auch im Gespräch mit der RNZ berichtet: Zu diesem Thema sind alle Meinungen vertreten. Der Pfarrer erntet viel Zuspruch für seine Worte. Aber einige weisen auch auf die Wichtigkeit der persönlichen Begegnung und auf die Raumverhältnisse in vielen Kirchen hin.
"In mir schlagen zwei Herzen", sagt Reichert. Einerseits vermisse er selbstverständlich die Gottesdienste und wünsche sich, sie bald wieder vollumfänglich feiern zu können. "Aber wir leben noch mit und nicht nach der Pandemie." Auch er sieht, dass die Religionsfreiheit durch das Verbot eingeschränkt wird, "aber es wird ja nicht nur die Religionsfreiheit, sondern alles eingeschränkt." Zum Wohle der Mitmenschen sei dies nun nötig. "Es sind reine Rationalität und Nächstenliebe, die uns davon abhalten, Gottesdienste zu feiern", findet er.
Auch interessant
Den Vergleich zwischen Autohäusern und Gottesdiensten, der zuletzt häufig laut wurde, findet er schwierig. "Wenn Autohäuser jetzt aus wirtschaftlichen Gründen wieder öffnen, geht es da um die Existenz", erklärt er. "Aber es geht nicht um die Existenz der Kirche, wenn wir gerade keine analogen Gottesdienste haben."
Eine Regelung wie in Sachsen, wo Gottesdienste mit 15 Personen wieder möglich sind, kann Reichert sich nicht vorstellen. "Geht es dabei um Taufen oder Trauungen, die man auf die Familie beschränken kann, dann bin ich voll dabei", sagt er. "Aber wenn es um die Sonntagsgottesdienste geht, habe ich große Hemmungen, Menschen aufgrund irgendwelcher Kriterien heimzuschicken." Und er wird sogar noch deutlicher: "Ich will bei Personenbeschränkungen keine Leute nach Hause schicken, dazu bin ich nicht bereit." Eine Kirche könne niemanden ausschließen. "Wir haben alle Platz am Tisch des Herrn", sagt Reichert.
Außerdem hätten die vergangenen Wochen gezeigt, wie man Kirche anders leben könne. Dem Pfarrer fallen die Onlineangebote, Grußkarten und zahlreichen Telefonate ein. Hier müsse man nach weiteren Lösungen suchen, um mit den Menschen in Kontakt zu sein. "Um das altbewährte Mittel des Briefes werden wir nicht herumkommen", meint er. Auch das Angebot der offenen Kirche werde gut angenommen. "Am Wochenende sind eigentlich immer Leute drin", erzählt der Pfarrer. Man hangele sich eben mit Hilfsmitteln durch die Krisenzeit.
Das findet Reichert besser als verfrühte Öffnungen. "Ich möchte auch niemanden der Gefahr aussetzen, dann doch in den Gottesdienst zu gehen,", erzählt er. Dabei denkt er an Menschen, die sich sonst strikt an die Regeln zur Kontaktbeschränkung halten, aber im Fall einer Lockerung sofort in die Gottesdienste eilen würden. Bei einer Lockerung unter Schutzmaßnahmen hat Reichert auch logistische Fragen. "Wer kontrolliert, ob der Abstand eingehalten wird, wer desinfiziert Gesangbücher und Griffe, wer von den Ehrenamtlichen möchte diese Verantwortung tragen?". Auch bei der Gestaltung der Gottesdienste kommen ihm Fragen. Wahrscheinlich werde das gemeinsame Singen gestrichen, um Tröpfcheninfektionen vorzubeugen. "Ein Gottesdienst ohne Gesang ist für mich nicht vorstellbar", erklärt Reichert schlicht.
Letztendlich entscheidet der Kirchengemeinderat vor Ort, wie mit Lockerungen umgegangen wird. Das heißt, auch wenn Gottesdienste wieder zugelassen sind, besteht kein Zwang, sie zu feiern. Mit seinen Bedenken zu Lockerungen habe Reichert sich bereits an den Kirchengemeinderat gewandt.
Den Landeskirchen möchte er aber keine Vorwürfe für die Forderungen nach Öffnung machen. "Die stehen unter enormem Druck", betont er. Dennoch mahnt er zur Vorsicht. "Wir sollten lieber in kleinen Schritten vorwärts gehen", sagt der Pfarrer. "Ich plane liebend gerne jetzt ein Freudenfest für die Zeit, wenn die Krise überstanden ist."