Computer als Richter?

Wenn KI kein Buch mit sieben Siegeln ist

Der Weinheimer Ralf Otte beschreibt das Thema Künstliche Intelligenz verständlich und anschaulich.

07.03.2022 UPDATE: 08.03.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 9 Sekunden
Ralf Otte beschäftigt sich mit Künstlicher Intelligenz. In dem Buch „Maschinenbewusstsein“ vermittelt er dies so, dass auch Laien die Chancen und Risiken verstehen. F.: Kreutzer

Marion Gottlob

Weinheim. Was Menschen leichtfällt, etwa gehen oder Geschirr vom Tisch abräumen, ist Computern oder Robotern schier unmöglich. Was für den Rechner jedoch umgekehrt ein Leichtes ist, ist für Menschen oft unerreichbar. Mit diesem Paradox beschäftigt sich Dr. Ralf Otte in seinem neuen Sachbuch "Maschinenbewusstsein". Der Weinheimer beschreibt darin die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Der Professor für Industrieautomatisierung und Künstliche Intelligenz an der Technischen Hochschule Ulm erklärt: "Ich wünsche mir, dass Deutschland die KI nicht ablehnt oder verteufelt, sondern die Entwicklungen aktiv gestaltet – ohne den deutsch-moralischen Zeigefinger, aber im Bewusstsein der Gefahren und Chancen."

Als die RNZ den Experten trifft, ist er gerade aus Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten zurück. Dort hat er auf der Weltausstellung Expo 2020 – sie wurde wegen Corona verschoben – über Fragen zur KI und zum Künstlichen Bewusstsein gesprochen: "Ich bin für die Einladung der Universität Luxemburg auf diese KI-Konferenz in Dubai äußerst dankbar, es war hoch spannend, sich mit KI-Experten aus aller Welt auszutauschen."

Unter seinen Zuhörern waren Luxemburger, Araber, Amerikaner und auch einige wenige Deutsche. Obwohl zum Beispiel die Universität Heidelberg an dem Europäischen "Human Brain Project" groß beteiligt war, das von der Europäischen Union mit einer Milliarde Euro gefördert wurde. In dem Projekt ging es um den Versuch, das menschliche Gehirn auf einem Super-Computer zu simulieren.

Otte ist fasziniert von Mathematik und Physik: "Die Physik beschäftigt sich mit dem Urgrund des Universums. Ich liebe das." Der hochbegabte Techniker wurde in Thüringen geboren und ist in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Als Schüler durfte er einige Jahre eine Spezialschule für Mathematik und Physik besuchen. Danach startete er ein Studium der Informationstechnik in Chemnitz. Als die Mauer fiel, fuhr er noch in der gleichen Nacht nach Berlin, wo seine spätere Frau Marén lebte: "Wir fühlten uns in dieser Nacht unsterblich." Seine Diplomarbeit schrieb er an der TU Berlin und der renommierten Berliner Virchow-Klinik. Dort untersuchte er mit Spezialisten, wie man anhand von präzisen (nicht invasiven) Messungen Tumore im Gehirn erkennt: "Es ist ein Faszinosum, das Gehirn zu erforschen."

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Nach dem Abschluss wechselte der Diplom-Ingenieur nach Mannheim zum damaligen Weltkonzern ABB und promovierte gleichzeitig auf einem Gebiet der KI an der Universität Dortmund. Bei ABB beschäftigte er sich mit Data-Mining, also mit der Analyse von Daten durch Computer. 1992 zog die Familie nach Weinheim, wo auch seine beiden Kinder aufgewachsen sind.

Nach zwölf Jahren in Mannheim ging Otte für zehn weitere Jahre in die Schweiz und leitete ein Unternehmen des Schweizer Industriellen Urs Bühler in Uzwil. Der Wohnsitz blieb jedoch in Weinheim. "Ich wollte nicht, dass meine Familie für meine Karriere umzieht. Also bin ich gependelt." Erneut war er mit Daten-Analyse und mit Möglichkeiten des maschinellen Lernens befasst. Seit 2015 ist er Professor an der Technischen Hochschule Ulm. "Ich genieße die Arbeit mit den Studierenden sehr."

Wer den Namen "Ralf Otte" in die Google-Suchmaschine eingibt, der wird ein Mischmasch aus Daten von sechs Menschen gleichen Namens erhalten. Der Weinheimer ist amüsiert: "Ich verstecke mich." Dies ist ein Beispiel dafür, dass sich moderne Rechner trotz aller Perfektion irren können. Eine Ursache dafür sei, dass der Rechner eine Unzahl von Daten zwar aufnehmen, verarbeiten und Ergebnisse liefern kann – aber die Rechenmaschine versteht nicht, was sie tut. Ein weiteres Beispiel: Wenn ein Mensch einem anderen Menschen zum Geburtstag gratuliert, können sich beide freuen. Der Computer kann es nicht. Der Rechner kann nur Freude simulieren – und zwar nur mit Worten oder Zeichen, die einprogrammiert wurden.

Trotzdem ist es so: Viele Menschen wollen gern glauben, dass der Computer Gefühle hat und selbstständige Entscheidungen trifft. Otte zeigt in seinem Buch, warum der Computer niemals Gefühle haben wird und niemals Entscheidungen über Menschen treffen darf. Auch nicht zukünftige "Maschinen mit Bewusstsein", an denen er selbst arbeitet.

So gab es Versuche in den USA, in denen zum Beispiel Computer als Richter eingesetzt wurden. In der Folge wurde ein Mensch wegen einer Kleinigkeit zu sechs Jahren Gefängnis "verurteilt" – wegen der errechneten Gefahr eines Rückfalls. "Wir dürfen Computern niemals Entscheidungen über das Schicksal von Menschen überlassen." Die Versuchung, Computer und Roboter zu vermenschlichen, birgt Gefahren: "Wenn ein Roboter als Persönlichkeit anerkannt würde, dann würden die Hersteller die Verantwortung und die Haftung für die Aktivitäten des Rechners loswerden. Aber ein Roboter, zumindest ein digitaler, bleibt immer ,nur’ ein Rechengerät, das nichts fühlen kann und niemals Verantwortung übernehmen darf."

Das Besondere an dem Buch erklärt Otte so: "Wir Techniker erklären unsere Arbeit meist in mathematischen Begriffen und schließen damit über 90 Prozent der Bevölkerung aus. Das ist wie im Mittelalter, als wenige Menschen mithilfe der lateinischen Sprache ihren Herrschaftsanspruch durchsetzten. Das möchte ich nicht." So ist das Buch ein Meilenstein, mit dem Nicht-Mathematiker eine Vorstellung von neuesten Forschungen rund um die KI erhalten. Es liest sich fast wie ein Krimi. Und falls sich Bewusstsein wirklich auf Maschinen erzeugen lässt, könnte das unser Weltbild für immer verändern.

Info: Ralf Otte: Maschinenbewusstsein. 245 Seiten. Campus Verlag. 27.95 Euro.

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